Die britische Premierministerin Theresa May
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Plan B ohne viel Neues

May spielt in Brexit-Poker auf Zeit

Eigentlich sollte die britische Premierministerin Theresa May am Montag im britischen Unterhaus einen Plan B für ihren Brexit-Deal präsentieren. Ihre kaum veränderten Vorschläge deuten auf ein Spiel auf Zeit hin. Das könnte riskant sein: Die Opposition brachte einen Antrag für ein zweites Referendum ein.

Kaum Neues hatte May zuvor präsentiert. Ihr Plan B sieht weiter kein zweites Referendum, keine Verschiebung des Austrittsdatums Ende März, dafür aber weiterhin Gespräche mit der Opposition und neuerliche Verhandlungen mit der EU in puncto Nordirland vor. Auch ein „No Deal“-Szenario schloss sie nach wie vor nicht aus.

Einzig ein Zugeständnis in Richtung EU gab es: Eine Gebühr von 65 Pfund für die Ausstellung von Aufenthaltsgenehmigungen für EU-Bürgerinnen und -Bürger wird es doch nicht geben. Labour-Chef Jeremy Corbyn bezeichnete ihren Plan B am Montag als „PR-Betrug“. „Keine Veränderung, kein Kompromiss, kein kühner, neuer Vorschlag: Sie hält weiterhin grimmig an dem Deal fest, der bereits (vom britischen Parlament, Anm.) abgelehnt worden ist“, hieß es im „Daily Telegraph“.

Medien: May will Druckmittel nicht verlieren

In Wirklichkeit, so mutmaßen britische Kommentatoren, wolle May den „No Deal“-Brexit mit seinen drastischen Folgen für die Wirtschaft und viele andere Lebensbereiche nicht als Druckmittel verlieren. Sie hoffe wohl darauf, die EU-Befürworter in ihrer Partei und auch einige Oppositionsabgeordnete doch noch auf ihre Seite ziehen zu können, wenn der Sturz in den „No Deal“-Abgrund am 29. März nur nahe genug heranrückt.

EU-Experte: „May spielt mit Zukunft des Landes“

Premierministerin Theresa May versuche Druck aufzubauen und Zeit zu gewinnen, so EU-Experte Paul Schmidt in der ZIB2. Er erklärte zudem, warum der „Backstop“ der Knackpunkt des Austrittsvertrags ist.

„Es ist ein Spiel auf Zeit“, sagte auch Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik, Paul Schmidt, im ZIB2-Interview, „ein Spiel mit hohem Risiko.“ May versuche ein Spannungsfeld zwischen ihrem Deal mit einem neuen „Backstop“ und auf der anderen Seite einen „harten“ Brexit aufzubauen, den keiner möchte. Je näher der Austritt rückt, ohne dass es eine echte Alternative zu ihrem Deal gibt, desto wahrscheinlicher ist es, dass er doch noch angenommen wird.

„Backstop“-Regel

Diese Regel ist der größte Kritikpunkt an Mays Brexit-Paket. Sie sieht vor, dass Großbritannien mit der EU in einer Zollunion bleibt, wenn keine andere Vereinbarung getroffen wird. Hardliner eines Austritts fürchten eine Bindung an die EU auf unabsehbare Zeit.

Labour für Abstimmung über zweites Votum

Die oppositionelle Labour-Partei brachte am Dienstag nun einen Antrag für eine Parlamentsabstimmung über ein zweites Referendum ein. In dem Antrag, den die Oppositionspartei am Montagabend einreichte, wird die Regierung aufgefordert, dem Unterhaus Zeit für Beratungen zu geben, um einen ungeregelten Austritt Großbritanniens aus der EU abzuwenden.

Labour schlägt darin Nachverhandlungen des von May mit der EU ausgehandelten Brexit-Vertrags vor, der dann eine neue Zollunion und eine „feste“ Anbindung an den EU-Binnenmarkt enthalten soll. Vorgeschlagen wird zudem eine Volksabstimmung „über ein Abkommen oder einen Plan“.

Erste Risse in der EU?

Am Montag gab es aber auch erstmals den Anschein erster Risse in der Einheit der EU: Polen hatte für ein großes Zugeständnis an Großbritannien geworben. Er sei für eine Befristung des „Backstops“ für Nordirland auf fünf Jahre, sagte Außenminister Jacek Czaputowicz. May sagte daraufhin, dass sie zuversichtlich sei, was den polnischen Vorstoß betreffe.

Auch der rumänische EU-Vorsitz zeigte sich offen für Änderungen an der Brexit-Vereinbarung mit Großbritannien. Wenn in London Klarheit über den Kurs herrsche, werde die EU versuchen, ihre „Position anzupassen“, sagte Außenminister Teodor Melescanu am Montag in Brüssel. Obgleich die EU weiter hinter Irland stehe, könne dabei auch über die umstrittene Auffanglösung für Nordirland gesprochen werden: „Der ‚Backstop‘, alles ist offen, steht auf der Tagesordnung.“

Seit vergangener Woche habe sich nichts geändert, erklärte ein Sprecher von EU-Ratschef Donald Tusk am Montag. „Wir sind immer bereit, uns zu treffen und zu reden.“ Doch hätten die bleibenden 27 EU-Staaten schon im Dezember gesagt, dass das mit May ausgehandelte Austrittsabkommen nicht nachverhandelt werden könne, so der Sprecher. „Die Bundesregierung erwartet, dass sich die britische Regierung bald auf Vorschläge einigt, die von einer Mehrheit des Unterhauses unterstützt werden“, teilte ein deutscher Regierungssprecher mit. Für Dienstag wird eine offizielle Reaktion der EU erwartet.

Abgeordnete fordern zweites Referendum

Auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel rief indes die britische Regierung zu raschen und in London konsensfähigen Vorschlägen im Brexit-Streit auf. „Die Bundesregierung erwartet, dass die britische Regierung sich bald auf Vorschläge einigt, die von einer Mehrheit des Unterhauses unterstützt werden“, teilte ein deutscher Regierungssprecher am Montagabend mit. Er äußerte sich nach dem Vorstoß von May für Nachverhandlungen über die Irland-Frage. „Die Bundesregierung setzt sich weiter für einen geordneten Austritt Großbritanniens aus der EU ein“, fügte er hinzu.

Einige führende Europaabgeordnete sehen eine neue Volksabstimmung in Großbritannien als einzigen Ausweg. „Um Stabilität zurückzugewinnen, muss man das Volk fragen“, sagte der Fraktionschef der Sozialdemokraten im EU-Parlament, Udo Bullmann, der dpa in Brüssel. Ähnlich äußerte sich die grüne Brexit-Expertin Terry Reintke. „Der sogenannte Plan B zeigt: May hat nichts aus ihren Fehlern gelernt“, sagte Reintke der dpa. Trotz Mays Niederlage sei keine Kehrtwende in Sicht.

Abstimmung über Plan B am 29. Jänner

Beobachter mutmaßen bereits, dass May versuchen wird, das Votum am 29. Januar zu einer Abstimmung über den „Backstop“ werden zu lassen. Würde eine große Zahl, wenn auch keine Mehrheit der Abgeordneten, für eine zeitliche Begrenzung stimmen, könnte sie vielleicht doch noch auf ein Einlenken in Brüssel hoffen, so möglicherweise das Kalkül der Premierministerin.

Die britische Premierministerin Theresa May spricht im House of Commons
APA/AFP/PRU
Britische Abgeordnete waren nach Mays Rede planlos

Eine andere Vermutung ist, dass May die EU-freundlichen Abgeordneten dazu reizen will, den „No Deal“-Brexit vom Tisch zu nehmen. Wenn der Regierung vom Parlament die Hände gebunden werden, könne sie einer Revolte der Brexit-Hardliner im eigenen Lager entgehen und trotzdem auf einen weicheren Brexit zusteuern.

Die britische Regierung arbeitet nach Angaben von Brexit-Minister Stephen Barclay schon an einem Vorschlag für eine geänderte Notfalllösung für Nordirland. Barclay warb am Dienstag im BBC-Fernsehen für den vorliegenden Vertrag. Im Parlament gebe es die Einsicht, dass ein Kompromiss nötig sei, sagte er. Es sei im Interesse sowohl Großbritanniens als auch der EU, dass es einen geordneten Brexit gebe. Ein zweites Referendum würde die Demokratie beschädigen, sagte Barclay.