Tanzpaar
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„Payola“-Skandal

Der große Schwindel mit dem Rock ’n’ Roll

Als Rock ’n’ Roll in den USA der 1950er Jahre zum großen Geschäft geworden war, entbrannte unter den Plattenfirmen ein vehementer Kampf um Öffentlichkeit. DJs wurden bestochen, um Songs zu Radioeinsätzen zu verhelfen. Eine Praxis, die 1959 im „Payola“-Skandal mündete – und die Karrieren einiger Star-DJs jäh beendete.

Erste Verdachtsmomente hinsichtlich bestochener Radio-DJs und –Redaktionen waren bereits Mitte der 1950er Jahre laut geworden. Damals hatten die noch jungen Genres Rhythm and Blues und Rock ’n’ Roll in den USA für eine musikalische Revolution gesorgt, die auch in geschäftlicher Hinsicht ein Novum war. Erstmals richtete sich Musik an eine ausschließlich junge Zielgruppe, die noch dazu über das nötige Kleingeld verfügte. Gleichzeitig erlebte die Musikwirtschaft eine strukturelle Revolution.

Die größten Umsatzbringer waren nicht mehr die Livekonzerte der Künstler, sondern die boomenden Tonträger in Form von Schallplatten. Die damals neu eingeführten kostengünstigen Singleschallplatten spielten dabei eine wesentliche Rolle. In der Folge erlangten auch die Radiostationen eine noch größere Bedeutung. Sie wurden zum wichtigsten Vermittler von Musik. Wer als Plattenfirma gute Umsätze machen wollte, war auf die Radiostationen angewiesen. Es war eine Zeit, in der sich das Geschäft mit Musik vollkommen neu auszurichten begann.

Dick Clark mit Schallplatten
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Dick Clark – der Star-DJ geriet ebenfalls in den Strudel der Ereignisse

Dominanz kleiner Labels

Charakteristisch für die neuen Verhältnisse war der Umstand, dass die etablierten Plattenfirmen jener Zeit das Geschäft mit der neuen ungestümen Musik verschlafen hatten. Träger der neuen Genres waren kleine Labels, die das Potenzial der neuen Musik früh genug erkannt hatten, was einen Konflikt zwischen den Verwertungsgesellschaften heraufbeschwor. Die für die alteingesessenen großen Plattenfirmen zuständige Verwertungsgesellschaft ASCAP sah damals ihre Felle davonschwimmen und entsprechend großen Handlungsbedarf.

DJs und Redakteure im Visier

In unmittelbarer Konkurrenz zur ASCAP stand damals die Verwertungsgesellschaft BMI, die vorwiegend für die jungen kleinen Musikverlage und deren Sounds zuständig war. Die ASCAP ortete zunehmend Anzeichen, dass es bei den zahlreichen Radioeinsätzen der BMI-Musikschaffenden nicht mit rechten Dingen zugehen konnte. 1959 trat sie im großen Stil auf den Plan und nahm die DJs und das Redaktionspersonal der Radiostationen ins Visier. Der Vorwurf lautete auf Bestechlichkeit.

Dabei hatte es sich um einen pragmatischen Zugang gehandelt: Kleine Plattenfirmen hatten kaum Budgets, um für ihre Künstler große Werbekampagnen zu organisieren. Sie wählten den unmittelbaren und wesentlich günstigeren Weg über die Bestechung des Radiopersonals.

Die Geburt des Rock ’n’ Roll

Der „Payola“-Skandal, eine Wortschöpfung aus den Wörtern „Pay“ und der Grammophonmarke Victrola, nahm seinen Lauf, als die Federal Communications Commission (FCC), die für Medien zuständige US-Behörde, auf den Plan trat. Im Mittelpunkt des Skandals stand der DJ-Pionier Alan Freed, der beim Aufstieg des Rock ’n’ Roll zur wichtigsten Jugendkultur des 20. Jahrhunderts eine wesentliche Rolle gespielt hatte.

Es war Freed, der die Bezeichnung der neuen Musik als Rock ’n’ Roll landesweit populär machte – ursprünglich hatte der Begriff als afroamerikanische Slangbezeichnung für Sex gedient. Freed beflügelte das Image des Rock ’n’ Roll als skandalumwitterte Jugendkultur, was die konservative US-amerikanische Gesellschaft über Jahre hinweg beschäftigen sollte.

Die Musik des Teufels

Zunächst durchleuchtete die FCC die Tätigkeit von gut zwei Dutzend DJs und Redaktionsmitgliedern. Allen voran Freed, aber auch damals bekannte Namen wie Dick Clark. Und der Fall begann sich auszuweiten. Letztlich mussten landesweit über 5.000 Radiostationen, aber auch TV-Anstalten, unter Eid exakte Angaben zu den Gepflogenheiten hinsichtlich des Zustandekommens des Musikprogramms machen. Es entwickelte sich eine Eigendynamik, die Woche für Woche für neue skandalträchtige Schlagzeilen sorgte.

Alan Freed
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Freed wurde 1962 zu einer Haftstrafe verurteilt

Rundfunkmitarbeiter wurden bespitzelt. Selbst Lügendetektoren kamen zum Einsatz. Gegen den ohnehin als außerordentlich aufrührerisch geltenden Rock ’n’ Roll wurde medial kampagnisiert. Für viele passte es perfekt ins Bild, dass der wilde Sound, der in die Hüften der Jugend schoss wie keine Musik zuvor, auch eine illegale geschäftliche Seite hatte. Rock ’n’ Roll als Teufelszeug, deren Protagonisten eine Neigung zum Kriminellen hatten.

Praxis mit langer Tradition

Dabei war „Payola“ nichts Neues. Der Begriff wurde bereits im Jahr 1938 vom „Variety“-Magazin erstmals verwendet, um die Bestechlichkeit in der Unterhaltungsbranche hinsichtlich Orchesterleitern und deren Musikauswahl zu beschreiben. Das Phänomen des „Pay to Play“ reicht jedoch bis in Zeiten zurück, in denen weder Tonträger noch Rundfunk existierten.

Interpreten der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts außerordentlich populären Unterhaltungsform des Vaudeville – in Theaterhäusern dargebrachte revueartige Nummernprogramme – wurden von Komponisten bestochen, deren Lieder zu Gehör zu bringen. Auch bei den Musikverlagen der Tin-Pan-Alley-Ära, die ab 1900 das Great American Songbook hervorbrachte, floss Geld in Richtung der Interpreten, um so für Öffentlichkeit zu sorgen.

Anklage und Verurteilung

Freed wurde im Mai 1960 verhaftet und nach einem langen Prozess im Jahr 1962 wegen Bestechung zu einer Geld- und einer Haftstrafe auf Bewährung verurteilt. Auch Clark fand sich auf der Anklagebank wieder, entging aber einer Verurteilung. Für Freed war es das Ende der Karriere. Er verlor seine Sendungen in Radio und TV. Die Justiz reagierte auf den „Payola“-Skandal in Form neuer Gesetze, um solche Praktiken zukünftig zu verhindern. Doch die neue Rechtslage sollte sich als relativ zahnlos erweisen.

Plattenfirmen fanden andere Wege, um für Öffentlichkeit zu sorgen. So kam es bereits in den 1970er Jahren zur Manipulation der Billboard-Charts durch das US-Label Casablanca Records, um Alben in hohe Positionen zu hieven. Der Umstand, dass die US-Band Kiss damals mit vier Alben gleichzeitig in den Top 100 vertreten war, hatte mit bestochenen Magazinmitarbeitern zu tun. Nicht nur in Form von Geld. Auch Sex, Drogen und Einladungen, etwa ins verheißungsvolle New Yorker Studio 54, spielten eine Rolle.

Dauerbrenner

Zuletzt erlangte „Payola“ anno 2005 größere mediale Aufmerksamkeit. Die Plattenfirmen Sony BMG und die Warner Music Group sorgten für entsprechende Geldflüsse und Geschenke, um bei Medien hinsichtlich des Einsatzes von Musik nachzuhelfen. Davon profitierten damals Künstlerinnen und Künstler wie Jessica Simpson und Franz Ferdinand. Der ganz große Aufschrei wie in den 1960er Jahren blieb aber aus. Man einigte sich mit der Staatsanwaltschaft auf die Zahlung von Entschädigungen.

Auch menschliche Dramen blieben im Gegensatz zum ersten „Payola“-Skandal aus. Freed hatte auf tragische Weise bis an sein Lebensende für die Etablierung noch heute existenter Rock-’n’-Roll-Klischees gesorgt. Er verstarb Anfang des Jahres 1965, keine drei Jahre nach seiner Verurteilung, an Alkoholmissbrauch.