Die zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures (SPÖ) und NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger
APA/Helmut Fohringer
Gewalt gegen Frauen

Appell für sachliche Debatte

In den ersten drei Wochen des Jahres sind bereits fünf Frauen Opfer tödlicher Gewalt geworden. Am Mittwoch lud die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures (SPÖ) zu einem parlamentarischen Dialog. Ihr Fazit: Es gibt viel zu tun.

Im Sinne des Mottos „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ kamen die Frauen- und Gleichbehandlungssprecherinnen fast aller Parlamentsfraktionen sowie Experten und Expertinnen zusammen, um sich ein Bild von aktuellen Problemstellungen und Herausforderungen im Kampf gegen Gewalt an Frauen zu machen – und mögliche Lösungswege zu diskutieren.

Es solle ein „Schulterschluss über Parteigrenzen hinweg für Prävention, Opferschutz und Sensibilisierung“ sein, hieß es. Der Einladung folgten bis auf die ÖVP alle Fraktionen. Die Regierungspartei ließ sich laut Bures wegen ihrer Klubtagung entschuldigen. „Wir werden sie für das nächste Mal wieder einladen“, sagte die Nationalratspräsidentin.

„Gesellschaftliche und politische Verantwortung“

Es sei eine gesellschaftliche und politische Verpflichtung, gegen Gewalt an Frauen anzutreten, sagte Bures. Das Gespräch über das „hochemotionale“ Thema sei auf sachlicher Ebene geführt worden. „Es zeigt, dass wir alle gefordert sind.“ Das Zuhause sei „eigentlich der Ort, wo man sich Schutz und Fürsorge erwartet“, so Bures. „Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, dass Frauen ohne Angst leben können.“

Die Politikerinnen und die Experten und Expertinnen, die sich in der täglichen Arbeit mit dem Thema befassen, waren sich bei dem ersten Dialog in vielen Punkten einig. Ein wichtiger Aspekt sei die Sensibilisierung und Präventionsarbeit. Bereits in Kindergärten und Schulen sollten Rollenklischees behandelt werden „mit dem Ziel einer Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen“. Die wichtigste Gewaltprävention sei, dass Frauen gestärkt, unabhängig und selbstbestimmt leben können.

Opferschutz vor Datenschutz

Jene, die Opfer häuslicher Gewalt geworden sind, müssten unterstützt werden, sagte Bures. Das beginne bei Opferschutzeinrichtungen und ende bei der Existenzsicherung der Frauen, die sich meist in einem finanziellen Abhängigkeitsverhältnis zu den Tätern befinden – „Stichwort Unterhaltsgarantie“, führte Bures an.

Pressekonferenz nach dem parlamentarischen Dialog „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“
APA/Helmut Fohringer
Frauensprecherinnen fast aller Fraktionen sowie mehrere Expertinnen und Experten trafen sich zum Dialog

Grundvoraussetzung für all diese Maßnahmen sei auch eine stärkere Vernetzung, wie sie nun begonnen worden sei, so Bures. In der Zusammenarbeit von Opferschutzeinrichtungen und Polizei dürfe Datenschutz nicht als Ausrede gelten. Ähnlich sieht das Andrea Brem, Leiterin der Wiener Frauenhäuser. Bei „High Risk“ dürfe Datenschutz nicht vor Opferschutz stehen.

Anti-Gewalt-Training nach Wegweisung

Auch die Täterarbeit – etwa ein Anti-Gewalt-Training bereits bei der ersten Wegweisung – müsse ausgebaut werden und in weiterer Folge zum Opferschutz führen. In zwei der fünf Mordfälle habe es Wegweisungen gegeben, jedoch habe sich niemand weiter mit den Männern beschäftigt, so Alexander Haydn, Vorstand der Männerarbeit Wien.

Er forderte daher eine gesetzliche Regelung, um „aktiv und unmittelbar“ nach der Wegweisung Gefährder kontaktieren und zu einem „Veränderungsangebot“ einladen zu können. Dabei könne auch eine Risikoeinschätzung durchgeführt werden. „Da muss man Geld in die Hand nehmen, und es ist kein Geld aus der Portokasse“, sagte Haydn. „Aber es ist eine Investition in die Gesellschaft.“ Die höhere Budgetierung von Täterarbeit, so waren sich alle einig, dürfe nicht auf Kosten des Opferschutzes gehen.

Höhere Verurteilungsquote der Täter gefordert

Abgesehen vom Datenschutz sei die Gesetzeslage in Österreich aber „ausreichend“, so die Strafrechtsexpertin und Kriminologin Katharina Beclin – es mangle lediglich an der Umsetzung. Ein Anheben der Strafdrohungen sei daher kontraproduktiv, vielmehr brauche es eine erhöhte Anzeigebereitschaft der Opfer sowie eine höhere Verurteilungsquote der Täter. Denn: „Je mehr es zu Verurteilungen kommt, desto höher ist die Abschreckung“, so Beclin. Zudem forderte sie bei Fällen häuslicher Gewalt eine persönliche Einvernahme, da Polizeiprotokolle allein keine Beweiswürdigkeit sicherstellen könnten.

Hilfe für Betroffene

Auch Kerstin Schinnerl von der Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie betonte die Wichtigkeit von Sanktionen gegen die Täter: „Das ist eine Nachricht für andere Täter, wenn es ohnehin keine juristischen Folgen hat.“ Wenn nötig, müsse über den Täter auch rasch U-Haft verhängt werden können. Gerade Frauen mit Migrationshintergrund befänden sich laut Beclin oft in einem höheren Abhängigkeitsverhältnis und könnten daher aus einer Gewaltbeziehung nicht so einfach ausbrechen.

Regierung kritisiert Veranstaltung

Beate Meinl-Reisinger (NEOS), Stephanie Cox und Alma Zadic (beide Jetzt) sowie die Obfrau der Initiative Freiheitlicher Frauen, Stefanie Karlovits als Vertreterin von Carmen Schimanek (FPÖ), begrüßten die Initiative für den Dialog. Es dürfe nicht sein, dass Österreich Spitzenreiter bei Gewalt sei, so Meinl-Reisinger besonders in Hinblick auf die Morde an Frauen. „Es bringt nichts, Regierung und Opposition gegeneinander auszuspielen. Die Präsidentin hat heute den Grundstein gelegt und wir wollen auf einer sachlichen Ebene kooperieren.“, so die NEOS-Klubobfrau, die sich damit Bures anschließt.

Seitens der Regierung hieß es nach der Pressekonferenz jedoch, die Opposition verstricke sich in zahlreiche Diskussionen, anstatt die Lösungen der Bundesregierung abzuwarten oder an diesen mitzuarbeiten. „Es wäre bei Weitem sinnvoller, wenn SPÖ, NEOS und Liste Jetzt gemeinsam mit den Mitgliedern der Bundesregierung an den Problemen arbeiteten, anstatt diese mit eigenen Veranstaltungen zu konterkarieren“, so Schimanek in einer gemeinsamen Aussendung mit ÖVP-Frauensprecherin Barbara Krenn.

Parlamentarische Mehrheit gefordert

Bures sagte, dass es im Kampf gegen Gewalt an Frauen nicht darum gehe, „politisches Kleingeld zu machen“. Um die Situation zu verbessern, brauche es einen Schulterschluss über alle Parteigrenzen hinweg. Und: „Die Vorschläge aus dem heutigen Gespräch werden zusammengefasst“, sagte die Zweite Nationalratspräsidentin. Der Dialog werde fortgesetzt und konkrete Maßnahmen formuliert. Sie werde sich bemühen, für die Forderungen eine parlamentarische Mehrheit zu bekommen, um diese voranzutreiben.

Es gehe aber auch darum, im gesellschaftlichen Leben Veränderungen umzusetzen: „Es macht einen Unterschied, wenn wir von Frauen und Männern in der Bundeshymne singen, wenn wir sagen, dass wir die Einkommensschere verringern wollen und Frauen nicht mehr an eine gläserne Decke stoßen lassen, um eine ökonomische Unabhängigkeit zu garantieren.“ Sie schloss mit den Worten, es sei noch „viel zu tun“.