Computergeneriertes Rendering zeigt die Vielzahl an Weltraumschrott um die Erde
ESA
„Deorbiting“

Mit gezielten Abstürzen gegen Müll im All

Mit dem Start des russischen Satelliten Sputnik 1 hat 1957 nicht nur das Zeitalter der Raumfahrt, sondern auch die Vermüllung der Erdumlaufbahnen begonnen. Mittlerweile schwebt die Erde nach den Worten der TU Braunschweig „in einer Wolke aus Müll“ und diese sorgt bei den Raumfahrtbehörden für anhaltendes Kopfzerbrechen. Mit einher geht dabei auch der Ruf nach mehr Nachhaltigkeit im All.

Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt (DGLR) umkreisen derzeit rund 18.000 Objekte von einer Größe von mehr als zehn Zentimetern Größe die Erde. Nach Berechnungen der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) wird die Zahl der Teile mit einer Größe von mehr als einem Zentimeter auf über 750.000 und jener Teilchen, die größer als ein Milimeter sind, auf 150 Millionen geschätzt.

Der Weltraumschrott stammt von ausrangierten Raketenstufen, abgeschalteten, defekten und außer Kontrolle geratenen Satelliten, dazu kommen die Überreste von kollidierten Erdtrabanten, aber auch Hinterlassenschaften von Astronauten, wie beispielsweise verloren gegangene Werkzeuge. Selbst „kleinste Teile können großen Schaden an Satelliten oder Raumstationen verursachen und damit Mensch und Technik gefährden“, heißt es dazu beim Institut für Raumfahrtsysteme (IRAS) der TU Braunschweig, das zuletzt das aktuelle Ausmaß des Weltraumschrottproblems eindrucksvoll illustrierte.

1.600 Satelliten im All – Tendenz stark steigend

Zur Gewährleistung eines sicheren Betriebes von Satelliten und Raumfahrtmissionen, aber auch zum Schutz vor möglichen Gefahren durch herabstürzende Weltraumschrottteile auf die Erde gibt es weltweit bereits etliche Überwachungssysteme. Deren weiterer Ausbau steht derzeit im Zentrum eines ESA-Kongresses im Europäischen Raumflugkontrollzentrum in Darmstadt. Erklärtes Ziel ist eine bessere Erfassung von Weltraumschrott, um rechtzeitig – etwa mit Ausweichmanövern – Kollisionen vermeiden zu können.

Müllberge im Weltraum

Viele tausend Kleinteile von Weltraumschrott kreisen um den Erdball und können vor allem für Satelliten gefährlich werden. Die ESA diskutiert mögliche Maßnahmen.

Der ESA-Mitarbeiter und Mitorganisator der Darmstadt-Konferenz Rüdiger Jehn verweist in diesem Zusammenhang auf die stark steigende Zahl der vor Weltraumschrott zu schützenden Satelliten. „Wir gehen davon aus, dass 1.500 bis 1.600 Satelliten unterwegs sind“, so Jehn, der gleichzeitig davon ausgeht, dass in den kommenden Jahren „mehrere tausend Objekte“ dazu kommen werden.

Verweis auf „Selbstverpflichtung“

Damit diese auf kurz oder lang den Weltraummüllberg nicht weiter anwachsen lassen, geht es in Darmstadt auch um Lösungen zur Müllvermeidung. Einen vielversprechenden Lösungsansatz liefern hier „Deorbiting“-Systeme, die Satelliten nach ihrem Missionsende gezielt zum Absturz bringen sollen.

Talk zum Thema Weltraumschrott

Der Leiter der ORF-Wissenschaftsredaktion, Günther Mayr, erläutert die technischen Möglichkeiten, den Weltraummüll wieder einzusammeln.

An den hier zugehörigen Technologien arbeitet unter anderem das Fraunhofer-Institut für Hochfrequenzphysik und Radartechnik (FHR). Diesem zufolge sind „Deorbiting“-Systeme zwar eine „relativ junge“, aber nach und nach immer mehr zum Einsatz kommende Maßnahme. Als möglichen Hintergrund nennt Fraunhofer FHR „die Selbstverpflichtung der Raumfahrtbetreiber zu diesen Maßnahmen“.

Satellit mit entfalteten Bremssegeln

Das von der französischen Raumfahrtagentur CNES eingeleitete Ende der Microsope-Mission ist laut Fraunhofer ein – zumindest bisher – erfolgreich verlaufenes Beispiel der hier zum Einsatz kommenden Technologie. Dazu zählen unter anderem zwei im Herbst 2018 entfaltete und jeweils 4,5 Meter lange Deorbiting- bzw. Bremssegel. Diese sollen den Microsope-Satelliten auf eine der Erde immer nähere Umlaufbahn bringen, „sodass er in 25 Jahren in der Erdatmosphäre verglühen soll“.

Eine tragende Rolle spielt laut Fraunhofer FHR unter anderem das nun in Darmstadt in die Auslage gestellte Weltraumradarsystem TIRA. Dieses habe der französischen Raumfahrbehörde bei dem Microsope-Manöver etwa die Bestätigung zur vollständigen Entfaltung der Microsope-Bremssegel geliefert. Nun soll TIRA den Fraunhofer-Angaben zufolge auch sicherstellen, dass „die Segel weiterhin stabil bleiben und sich die Umlaufbahn des Satelliten veringern wird“.

„Weitere Trümmer darf es nicht mehr geben“

Zu einem nachhaltigeren Umgang mit dem Weltraum rät auch die DGLR. „Weitere Trümmer darf es schlichtweg nicht mehr geben“, sagte dazu DGLR-Mitglied und Leiter des ESA-Büros für Raumfahrtrückstände, Holger Krag. Vielmehr sollten auch laut DGLR „funktionsunfähige Satelliten nach Ende des operationellen Betriebes aus der Umlaufbahn entfernt werden, ehe sie auseinanderfallen oder mit anderen kollidieren“.

Bei der DGLR geht man allerdings davon aus, dass die Trümmerzahl vor allem in den niedrigsten und damit die vom Weltraumschrott bereits jetzt am meisten betroffenen Umlaufbahnen in den nächsten Jahrezehnten weiter ansteigen werde. „Einerseits häufen sich die Objekte in diesen Bahnen weiter an, da weiterhin neue Satelliten und Raketen-Oberstufen mit dem Ziel 800-Kilometer-Orbit gestartet werden“, wie DGLR per Aussendung mitteilte: Andererseits sei auch damit zu rechnen, „dass es zunehmend zu Kollisionen dieser Objekte untereinander kommen wird“.

Auch DGLR verweist schließlich auf die vom Weltraumschrott ausgehende Gefahr: Bereits ein wenig Zentimeter großes Objekt könne einen Satelliten vollständig außer Funktion setzen, ab einer Größe von etwa zehn Zentimeter drohe eine „katastrophale Kollision“, bei der ein Raumfahrzeug vollkommen zertrümmert werden könne.

Rendering des Weltraummüllsammlers e.Deorbit
ESA–David Ducros, 2016
Weltraumschrottbeseitigung mit Fangnetz: „e.Deorbit“ soll 2023 ins All starten

Fangnetz für Satelliten

Neben der Weltraummüllvermeidung seien dabei auch Weltraummüllaufräumarbeiten „sehr wichtig“. Damit verweist DGLR auf die in Darmstadt ebenfalls thematisierten Bergungssmissionen, die bisher allerdings weitgehend nur in der Theorie existieren.

So gibt es zwar immer wieder Ansätze, um Weltraumschrott etwa einzufangen – eine Umsetzung ist nicht zuletzt eine Frage des Geldes. Experten sind sich einig, dass derartige Projekte nur mit verstärkter internationaler Kooperation umgesetzt werden können. Dennoch gibt es schon konkrete Vorhaben: Ob und wann etwa „e.Deorbit“ erstmals sein Fangnetz auswirft, wird sich allerdings erst nach dem von der ESA für 2023 angesetzten Start weisen.