Bundeskanzler Kurz telefoniert
AP/Markus Schreiber
Rechtsstaat

Kurz führte „klärendes Gespräch“ mit Kickl

Die Äußerungen zum Rechtsstaat von Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) im ORF-„Report“ haben auch am Donnerstag für Diskussionen gesorgt. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) habe dazu ein klärendes Gespräch mit Kickl geführt, teilte das Kanzleramt der APA mit. Kritik setzte es erneut von der Opposition, der Innenminister und FPÖ wiesen die Vorwürfe zurück.

Kurz sagte: „Klar ist, dass die Verfassung, die Grundprinzipien der Europäischen Union sowie die Grund- und Menschenrechte Gültigkeit haben und dass diese im Regierungsprogramm klar verankert sind.“ Was die Abschiebung straffällig gewordener Asylwerber betrifft, prüfe die Bundesregierung alle Möglichkeiten im Rahmen des Rechtsstaates, so der Bundeskanzler, der derzeit am Weltwirtschaftsforum in Davos teilnimmt.

Kurz meldet sich in Davos zu Wort

Die Empörung über Aussagen von Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) zum Rechtsstaat ebbt nicht ab. Am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos meldete sich jetzt auch Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zu Wort.

Dort sagte Kurz auf die Causa angesprochen: Er habe mit Kickl am Donnerstag telefoniert. „Ich habe ihm sehr klar meine Meinung gesagt, und ich glaube, dass er die nicht nur versteht, sondern auch akzeptiert.“ Die Verfassung und internationale Vereinbarungen müssten gültig bleiben, so Kurz in Davos. Diskussionen über die Abschiebung von straffälligen Asylwerbern gebe es aber auch in anderen Staaten.

Richterpräsidentin: „Erster Schritt“

Für Richter-Präsidentin Sabine Matejka ist das „klärende Gespräch“ von Kurz mit Kickl nur ein „erster Schritt“. „Aber das war ja nicht das erste Mal, dass solche Dinge infrage gestellt werden. Das kommt immer wieder vor, und ich glaube, da gehört einmal ein klärendes Wort gesprochen“, sagte sie im ZIB2-Interview.

Matejka: „Rechtsstaat wird angegriffen“

Die Präsidentin der Richtervereinigung, Sabine Matejka, sagte im ZIB2-Interview, dass Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) mit der Infragestellung der Menschenrechtskonvention auch den Rechtsstaat angreife.

Kickl habe nicht nur das Legalitätsprinzip infrage gestellt, sondern auch die Menschenrechtskonvention, sagte Matejka. „Wer sie infrage stellt, stellt auch unseren Rechtsstaat infrage.“ Die Kritik am Innenminister „teile nicht nur ich, sondern auch sehr, sehr viele Kolleginnen und Kollegen, die über diese Äußerungen des Herrn Innenministers sehr empört und eigentlich schockiert waren“, so Matejka.

Es komme auf die „Botschaft“ an. „Wenn er über Gesetzgebung sprechen möchte, dann kann er das auch klar so formulieren. Er hat aber etwas anderes gesagt. Und die Botschaft, die – glaube ich – bei den meisten Menschen so angekommen ist, war, dass eben das Recht der Politik – dem Zuruf der Politik – zu folgen hat, sprich die Vollziehung oder gar die Rechtsprechung“, sagte Matejka.

Kickl: Gesetze werden von der Politik gemacht

Der Innenminister hatte im ORF-„Report“ am Dienstag zunächst angekündigt, Grundregeln wie die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) hinterfragen zu wollen. Auch erklärte er: „Denn ich glaube immer noch, dass der Grundsatz gilt, dass das Recht der Politik zu folgen hat und nicht die Politik dem Recht.“

Innenminister Kickl im ORF-„Report“

Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) spricht im ORF-„Report“-Interview über Verschärfungen bei der Aberkennung von Asyl. Dabei fielen die Äußerungen, die danach für viel Wirbel sorgten.

Kickl sagte am Donnerstag, er bekenne sich zu 100 Prozent zum Legalitätsprinzip. Andererseits verwies auch er darauf, dass die Gesetze von der Politik gemacht und diese dann von der Justiz vollzogen würden. Auch bezüglich seiner umstrittenen Aussage zur Menschenrechtskonvention hielt der Innenminister allgemein fest, dass ja auch Gesetze immer wieder überprüft und allenfalls novelliert würden.

NEOS kündigt Misstrauensantrag an

NEOS kündigte am Donnerstag an, einen Misstrauensantrag gegen den Innenminister einzubringen. Der Zeitpunkt hierfür steht noch nicht ganz fest, „im Idealfall wollen wir das nächste Woche auf den Weg bringen“, sagte NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger gegenüber der APA. „Ich fand das unfassbar. Es offenbart, dass er keine Achtung vor der österreichischen Bundesverfassung hat“, so Meinl-Reisinger. Empört zeigte sie sich auch über die „Relativierungsversuche“ seitens der Regierungskoordinatoren Gernot Blümel (ÖVP) und Norbert Hofer (FPÖ).

Kritik von SPÖ, Jetzt, Grünen und ÖVP

Unterstützung für NEOS gab es umgehend von der SPÖ. Mit seinen Aussagen „hat sich Innenminister Kickl vom Verfassungsbogen und dem demokratischen Grundkonsens der Republik verabschiedet“, sagte SPÖ-Verfassungssprecher Peter Wittmann. „Ein Minister, der auf die Verfassung angelobt wurde und diese de facto in Frage stellt und aushebeln möchte, ist untragbar.“ Kurz müsse „einen solchen Innenminister sofort entlassen“, so Wittmann.

Jetzt-Abgeordneter Alfred Noll sagte: „Kickl hat mit seinen dreisten Aussagen zum Verhältnis zwischen Recht und Politik das zum Ausdruck gebracht, was in Österreich leider eine Tatsache ist. Das Parlament in Österreich ist ohnmächtig und schwach.“ Kickl sei als Innenminister „einfach nicht mehr tragbar“, sagte der grüne Bundessprecher Werner Kogler und forderte Kurz auf, zu handeln und Kickl als Innenminister abzuziehen.

Kritik an Kickls Aussagen übte auch der ÖVP-Spitzenkandidat für die EU-Wahl, Othmar Karas. „Jemand, der die Menschenrechtskonvention infrage stellt und die Regeln, die wir uns gemeinsam gesetzt haben, der rüttelt an den Grundlagen des Zusammenhalts der Gesellschaft und an der Zusammenarbeit in der Europäischen Union“, sagte der EU-Mandatar in einem Interview mit dem „Standard“.

Strache weist „absurde Vorwürfe“ zurück

Hinter ihren Innenminister stellten sich die Freiheitlichen mittels mehrerer Aussendungen. Mittags meldete sich Parteiobmann und Vizekanzler Heinz-Christian Strache zu Wort und wies die „absurden Vorwürfe“ gegen Kickl zurück und erläuterte dessen Aussagen: Die Politik, also die gewählten Volksvertreter, sei der Gesetzgeber. Exekutive und Judikatur hätten diese Gesetze zu vollziehen und müssten ihnen Wirkung verschaffen. Somit folge „natürlich das ‚Recht der Politik‘“, in Übereinstimmung mit der Verfassung und der Gewaltentrennung.

Selbstverständlich sei damit nicht gemeint, dass sich die Politik in die laufende Rechtsprechung einmischen dürfe, so Strache weiter. Es sei aber ihre Aufgabe, Gesetze zu beschließen und sie an die Notwendigkeiten der Gegenwart anzupassen.

Strache teilte am Abend auf seinem privaten Facebook-Account einen langen Facebook-Kommentar der FPÖ-Abgeordneten Petra Steger, in dem sie angesichts der Kritik an Kickl von einem „pseudomoralischen Standgericht“ schreibt. Dabei würden Aussagen „vollkommen aus dem Zusammenhang gerissen“, in diese „vorsätzlich das Übelste hineininterpretiert“ und auch Aussagen unterstellt, „die nie getätigt wurden“.

Rückendeckung von Gudenus

Rückendeckung erhielt Kickl auch vom geschäftsführenden FPÖ-Klubobmann im Nationalrat, Johann Gudenus, hinsichtlich seiner Aussage, wonach das Recht der Politik zu folgen habe: „Recht wird im Parlament erzeugt. Das ist die Legislative. Insofern stimmt das auch“, sagte Gudenus im „Standard“. Umgekehrt folge aber auch die Politik den Gesetzen, denn ein einfaches Gesetz müsse der Verfassung entsprechen.

Auf die Frage, ob die Menschenrechtskonvention geändert gehört, sagte Gudenus: „Nein, wenn man sie richtig auslegt. Im Rahmen der Menschenrechtskonvention ist viel mehr möglich. Wir sind gerade dabei, diese rechtlichen Möglichkeiten auszuloten.“ Auch die Menschenrechtskonvention sei „von Menschen gemacht und ist nicht gottgegeben“, so der FPÖ-Klubobmann.

Mahnende Worte von Altbundespräsident Fischer

Altbundespräsident Heinz Fischer fand mahnende Worte: „Wenn kürzlich ein Regierungsmitglied den Standpunkt vertreten hat, dass nicht die Politik dem Recht zu folgen hat, sondern das Recht der Politik, dann wird der Rechtsstaat massiv herausgefordert“, so Fischer in einem Beitrag für die „Wiener Zeitung“ (Freitag-Ausgabe). Denn im demokratischen Rechtsstaat sei auch die Politik an das Recht gebunden. „Die Grundwerte unserer Verfassung sind von größter Wichtigkeit und müssen von allen respektiert werden.“

Juristen widersprechen Innenminister

Namhafte Juristen traten am Donnerstag bei einer Pressekonferenz der Plattform Rechtsstaat den Äußerungen Kickls entgegen. Für Friedrich Forsthuber, Obmann der Fachgruppe Strafrecht in der Richtervereinigung, hat Kickl damit am „Wertegerüst unserer Rechtsordnung“ gerüttelt. „Ich finde es unerträglich, wenn die Grundsätze der Europäischen Menschenrechtskonvention infrage gestellt werden. Das ist eines Rechtsstaates unwürdig“, meinte dabei der Präsident der Wiener Rechtsanwaltskammer, Michael Enzinger.

Als „überzogen und respektlos gegenüber dem Rechtsstaat und allen Bürgern, die in diesem Rechtsstaat leben“, bezeichnete auch der Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertags (ÖRAK), Rupert Wolff, Kickls Aussagen. Wolff warnte in diesem Zusammenhang vor einem Infragestellen der unabhängigen Rechtsprechung. Kickl habe mit „flapsigen, möglicherweise unbedachten Aussagen Werte zertrampelt, die wir jahrzehntelang aufgebaut haben“, sagte er zur APA. Die Europäische Menschenrechtskonvention und die EU-Grundrechtecharta seien „seit Langem fester und unverzichtbarer Bestandteil der Rechtsordnung“.

„Gefahr für die Demokratie“ ortete auch Rektorin Eva Blimlinger, Präsidentin der Österreichischen Universitätenkonferenz (uniko), und 103 österreichische Autoren sowie Kunst- und Kulturschaffende forderten in einer Aussendung den sofortigen Rücktritt von Kickl.