Detailaufnahme des Buchcovers von „Das Licht“
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG/ORF.at (Repro)
T. C. Boyle

Auf einen Trip mit Timothy Leary

Ein Ex-Punk auf dem Trip: Routinier T. C. Boyle liefert seinen Fans einen Roman, den sie lieben werden. In „Das Licht“ begibt er sich in die Welt von LSD-Papst Timothy Leary. Nun ist der Roman auf Deutsch lieferbar – und zwar nur auf Deutsch; eine ungewöhnliche Weltpremiere.

Das Originalmanuskript war mit recht langer Vorlaufzeit in Deutschland, deshalb konnte Übersetzer Dirk von Gunsteren so früh fertig sein. Ecco, der amerikanische Verlag, hat schließlich der Weltpremiere auf Deutsch sein Okay gegeben. Für den Hanser-Verlag ein Glücksfall. So kann Boyle seine Lesereise in Deutschland in Ruhe absolvieren, zeitnah zur Veröffentlichung (Er streift auch Österreich. Die Lesung am 12. Februar in Innsbruck ist allerdings bereits ausverkauft). Außerdem tut es dem Titel nicht schlecht, wenn man ihn nicht vorab schon auf Englisch bekommen kann.

In Deutschland beginnt der „Bücherfrühling“ mit den Titeln der neuen Kataloge schon im Jänner, in den USA jedoch etwas später, im April – und da erscheint „Outside Looking In“ dann auch auf Englisch. Oft kommt das nicht vor, wiewohl öfter als früher. Ein Indiz dafür, wie wichtig der trotz Rückschlägen in jüngster Zeit immer noch vergleichsweise stabile deutsche Buchmarkt mittlerweile im internationalen Vergleich geworden ist.

Timothy Leary dearie

Nach einem ersten Blick auf die deutsche Übersetzung lässt sich sagen, dass Boyle hier auf der Höhe seiner Kunst ist und das tut, was er seine Literaturstudenten lehrt: schreiben für die Leserin, schreiben für den Leser. Der Roman ist unterhaltsam, leichtfüßig, mit immer wieder geschlossenen Spannungsbögen, die von Cliffhangern zur engmaschigen Kette verknüpft werden, von der man sich gerne fesseln lässt.

Buchhinweis

T. C. Boyle: Das Licht. Hanser, 384 Seiten, 25,70 Euro.

Gleich zu Beginn wird der erste LSD-Trip der Geschichte, ein Selbstexperiment des Chemikers Albert Hofmann, so spannend erzählt, als wohnte man einem Verbrechen oder einer heißen Liebesszene bei. Dann Schnitt – und Wiedereinstieg Jahrzehnte später, direkt in den engsten Kreis des damals 41-jährigen Psychologieprofessors Timothy Leary, der im Buch durchgängig Tim genannt wird.

Das Kaleidoskop des Bewusstseins

Wenn man dazugehören wollte, und das wollten praktisch alle jungen Psychologiestudenten und -dozenten, dann musste man mit LSD experimentieren. Leary wollte damit die freudianische Analyse über Bord werfen und gleich die Skinner’sche, biologistisch-empirische Psychologie dazu. Schließlich, so sagte er, war bei ihm ein einziger Trip in Sachen Erkenntnis ergiebiger als 15 Jahre Beschäftigung mit den klassischen Feldern der Psychologie.

Erzählt wird aus der Sicht von Fitz, der, anfangs skeptisch, doch zunehmend begeistert, gemeinsam mit seiner Frau in die Welt der fließenden Farben, der Lichtspiele und Erscheinungen eintritt. Quasireligiöse Erleuchtung im Gewand der Wissenschaft, verschworenes Zusammengehörigkeitsgefühl, fliegende Gedanken und die flirrenden Melodien des John Coltrane: Sollte der Trupp tatsächlich die Psychologie revolutionieren und nebenher eine neue, befriedigendere Lebensform gefunden haben?

Timothy Leary
AP/Robert W. Klein
Der Guru und seine Groupies: Timothy Leary 1967, als er im Golden Gate Park in San Francisco den Kultsager der Hippie-Generation prägte: „Turn on, tune in, drop out.“

Der „inner circle“ verlässt schließlich gemeinsam Harvard und zieht weiter, nach New York, dann Mexiko. Aber wenn sie tatsächlich den immerwährend glücklich machenden Stein der Weisen gefunden hätten, dann wüssten wir das heute. Haben sie nicht. Und so nimmt die unvermeidliche Katastrophe ihren Lauf. Je higher das life, desto harder they fall.

„Alle Drogen, die der Menschheit bekannt sind“

Inhaltlich kommt hier für Boyle einiges zusammen, biografisch wie literarisch. Er wuchs in den 50er Jahren nördlich von New York als Sohn von Alkoholiker-Eltern auf. Zunächst war er ein überangepasstes, vorsichtiges Kind, als Teenager revoltierte er dafür umso heftiger: Vandalismus, Alkohol, Drogen, eine absurde Begeisterung fürs Rasen mit dem Auto, die Werke Aldous Huxleys, JD Salingers und Jack Kerouacs – all das katapultierte ihn hinaus aus der miefigen Welt seiner Kindheit.

Schon als 17-jähriger ging er nach New York, um Musiker zu werden. Als das nicht lief, belegte er, ohnehin von Literatur mindestens so begeistert wie von Musik, einen Kurs für kreatives Schreiben. Heute ist Boyle 70 und erzählt gerne, dass er damals alle Drogen genommen habe, die der Menschheit bekannt seien. Nur, weil sich das Dauer-High nicht mit dem Schreiben vereinbaren habe lassen, sei er davon abgekommen. Und ohnehin sei das Schreiben die beste Droge, zitiert der „Guardian“ Boyle: „Das Schreiben ist das beste High, das ich jemals erleben durfte. Ich bin dem Schreiben völlig hoffnungslos verfallen, ich bin süchtig. Ich begebe mich jeden Tag in eine Art Traum hinein.“

T.C. Boyle
Hanser Verlag
T.C. Boyle – auch mit 70 ist ihm noch ein wenig Punk-Attitüde geblieben

„Das Mysterium des Bewusstseins“

Analogien zu LSD-Trips sind bewusst gewählt, zumindest legt Boyle das gegenüber dem „Guardian“ nahe: „Jeden Tag wache ich auf, konfrontiert mit dem Mysterium des Bewusstseins und der Perplexität gegenüber der Sterblichkeit – und die einzige Art, damit umzugehen, ist für mich, all diese Entdeckungsreisen zu machen – und alle meine Geschichten sind Entdeckungsreisen, die sich organisch entwickeln, Tag für Tag, bis sie wissen, auf was sie hinauslaufen.“

„Licht“ von T.C. Boyle
Hanser Verlag
Cover und Innencover sind angemessen trippig

„Der war doch sehr abgedreht“

Wobei Boyles Schreiben nie explorativ herummäandert. Zu viel Bedacht nimmt er auf die Form. Wie zuvor schon in „Drop City“, „Dr. Sex“ und im Grunde auch zuletzt in den „Terranauten“, erzählt er über Gurus aus der Sicht ihrer Adepten. Im Interview mit Radio Berlin Brandenburg (rbb) erklärt er diesen Umweg so:

„Wir alle erinnern uns an 1969, Jimmy Hendrix und andere. Den Höhepunkt der LSD-Ära. Ich gehe aber zurück zu den Anfängen, als LSD in der Psychiatrie erstmals eingesetzt wurde. Und dann unter dem Einfluss von Leuten wie Leary seinen Weg in die Gesellschaft gefunden hat. (…) Ich weiß nicht, ob mir wirklich wohl dabei gewesen wäre, mich in Leary hineinzuversetzen. Der war doch sehr abgedreht.“

Timothy Leary
picturedesk.com/Everett Collection
Timothy Leary, ungefähr in dem Alter, in dem er in Boyles Buch ist: viril, verrückt und mit dem unbedingten Wunsch, der Welt als Prophet in Erinnerung zu bleiben

„Ich habe diese Methode ja schon beispielsweise in meinem Roman ‚Dr. Sex‘ angewendet, in dem ich Albert Kinsey aus der Perspektive eines seiner Mitarbeiter darstelle. Weil es mich viel mehr interessiert, wie ein Guru seine Anhänger beeinflusst. Und auch: Was bedeutet es eigentlich, Anhänger von jemandem zu sein? Was muss man dafür von der eigenen Persönlichkeit aufgeben?“

„Turn on, tune in, drop out“

Muss man sich auf diesen Trip mit Boyle begeben? Es gibt dieser Tage vielleicht zwingendere Lektüren, aber Boyles Vermögen, historische, gesellschaftspolitische Themen mit einer Leichtigkeit zu präsentieren, als würde man Traumschiff schauen, und trotzdem dabei die Komplexität dieser Themen nicht zu reduzieren, ist faszinierend. Es macht Spaß, ihm lesend beim Schreiben zuzuschauen. In diesem Sinne, mit Leary gesprochen: „Turn on, tune in, drop out.“