Bundeskanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Heinz Christian Strache
APA/Georg Hochmuth
Familienbeihilfe

Regierung fordert von EU „fairere Regeln“

Die Regierung zeigt sich von dem durch Brüssel eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren wegen der Indexierung der Familienbeihilfe unbeirrt. Vielmehr sehen Kanzler und Vizekanzler die künftige Kommission gefordert, in der EU für „fairere Regeln“ zu sorgen, wie sie am Samstag wissen ließen.

Die Analyse der EU-Kommission hatte ergeben, dass die Anpassung von Familienbeihilfe und Familienbonus für Kinder in EU- und EWR-Staaten nicht im Einklang mit EU-Recht stehe. Die Maßnahme verstoße „sowohl gegen die EU-Vorschriften über die soziale Sicherheit als auch gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern“, teilte die Kommission am Donnerstag mit.

Der Familienbonus ist ein Prestigeprojekt der ÖVP-FPÖ-Koalition und mit Kosten von 1,5 Mrd. Euro eine der teuersten der im ersten Regierungsjahr eingeleiteten Maßnahmen. Seit Jänner steht Familien eine Steuersenkung von bis zu 1.500 Euro pro Kind und Jahr zu. Vorausgesetzt wird aber ein entsprechend hohes Einkommen: Wer wenig verdient, wird von der Steuersenkung nicht voll profitieren – oder erhält nichts. Für Kinder in EU- und EWR-Staaten wird der Familienbonus – wie eben auch bei der Indexierung der Familienbeihilfe – an die dortige Kaufkraft angepasst. Sprich: In nordeuropäische Länder wird mehr ausgezahlt, in osteuropäische weniger.

Bisher „ungerechtes System“

Und dabei soll es der Regierung zufolge auch bleiben: Gerade der Familienbonus sei eine steuerliche Entlastung und keine Sozial- oder Transferleistung, betonten Kurz und Strache. Somit stehe aus Sicht der Bundesregierung außer Streit, dass der Bonus rechtens sei und von der EU keinesfalls infrage gestellt werden könne.

Bundeskanzler Sebstian Kurz (ÖVP) und sein Vize Heinz-Christian Strache (FPÖ) sehen sich mit ihrer Haltung nicht alleine in der EU. Man setze darauf, dass „das bisherige ungerechte System“ beseitigt werde und in Europa ein Umdenkprozess einsetze. So sieht die Bundesregierung besonders die zukünftige EU-Kommission am Zug, in der EU für „fairere Regeln“ zu sorgen. Man gehe davon aus, dass sie Themen wie die Indexierung der Familienbeihilfe angehen werde.

Schritte „gut überlegt“

Kurz versicherte, die gesetzten Schritte seien „gut überlegt und sorgen für mehr Gerechtigkeit“. Brüssel habe „massiven Erklärungsbedarf, wenn sie uns eine Steuerentlastung im Ausmaß von 1,5 Mrd. Euro für Österreichs Familien und alle, die arbeiten, nicht zulassen wollen“. Ähnlich die Argumentation Straches: „Wir stehen unseren österreichischen Familien im Wort, für sie tragen wir als Regierung die Verantwortung. Sowohl mit dem Familienbonus als auch der Indexierung der Familienbeihilfe schaffen wir Fairness und Gerechtigkeit. Das Vorgehen der EU-Kommission ist nicht akzeptabel.“

Marianne Thyssen
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Thyssen hatte die Neuregelung als „zutiefst unfair“ gebrandmarkt

Aufseiten der EU-Kommission sieht man das völlig anders. Sozialkommissarin Marianne Thyssen hatte bei der Bekanntgabe der Verfahrenseinleitung am Donnerstag scharfe Worte gefunden und gemeint, dass die Indexierung „zutiefst unfair“ sei. „Es gibt keine Arbeiter zweiter Klasse, und es gibt keine Kinder zweiter Klasse in der EU“, hielt die EU-Kommissarin fest. Die Maßnahme, die Österreich gesetzt habe, verhindere nicht einen „Sozialtourismus“, sondern treffe diejenigen Menschen, die zum österreichischen Sozialsystem beitragen.

125.000 Kinder betroffen

Von der Kürzung der Familienbeihilfe sind 125.000 Kinder betroffen, die meisten von ihnen leben in Ungarn (38.700), der Slowakei (27.180), Polen (14.865) und Rumänien (14.213). In Zukunft gibt es somit für ein Kind von bis zu zwei Jahren, das etwa in Rumänien lebt, nur noch 56,20 Euro österreichische Familienbeihilfe monatlich statt bisher 114 Euro; für Drei- bis Neunjährige sind es nun 60,10 statt 121,90 Euro. Für Deutschland beträgt die Differenz drei Euro.

Die Eröffnung eines Vertragsverletzungsverfahrens ist der erste Schritt. Erst nach einem zweiten Mahnschreiben mit der Möglichkeit für Österreich zur Stellungnahme kann die EU-Kommission entscheiden, den Fall vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu bringen. Wien hat nun zwei Monate Zeit, darauf zu reagieren.