Arzt bei Hausbesuch
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Vor Kassenfusion

Kontroverse über Hausärztemangel

Der drohende Hausärztemangel in Österreich sorgt erneut für Kontroversen. Immer weniger Hausärzte und -ärztinnen müssten immer mehr Kranke versorgen, kritisiert die Ärztekammer. Hauptverbandschef Alexander Biach war am Montag um Beruhigung bemüht: Österreich habe immer noch die zweithöchste Ärztedichte in der EU. Ärztevertreter können diese Zahl nicht nachvollziehen.

Denn speziell auf dem Land gebe es viel zu wenig Nachwuchs, kritisierte der Präsident der Ärztekammer Wien, Thomas Szekeres, im Ö1-Journal. Szekeres sah vielmehr eine falsche Darstellung der Ärztedichte, da Biach die Ärzte in Ausbildung mitzähle.

„Die Ärztedichte in Österreich ist sicherlich niedriger, als behauptet wird. Bei der Statistik werden Ausbildungsärzte mitgezählt, und wir haben einen extrem hohen Anteil an teilbeschäftigten Ärztinnen und Ärzten", so Szekeres – Audio dazu in oe1.ORF.at. Der Hauptverband wiederum schießt zurück: „Ärzte in Ausbildung sind auch Ärzte“, heißt es gegenüber ORF.at.

Zahl der Kassenstellen rückläufig

Hinzu komme, dass die Zahl der Kassenstellen bei einer wachsenden Bevölkerung in Österreich rückläufig ist. Während es früher mehr Kassen- als Wahlärzte gab, habe sich dieses Verhältnis vor rund zehn Jahren gedreht. Die Schere geht seither auf. Mit Stand Dezember 2018 arbeiteten in Österreich nach jüngsten Daten der Ärztekammer 7.099 Ärzte und Ärztinnen mit einem Vertrag einer Gebietskrankenkasse. Dazu kamen 1.089 Mediziner und Medizinerinnen mit einem Vertrag kleinerer Kassen oder Krankenfürsorgeanstalten (KFA). Die Zahl der Wahlärzte und -ärztinnen habe sich dagegeng von 4.768 auf 10.099 mehr als verdoppelt, wobei mehr als 7.000 davon Fachärzte und -ärztinnen sind.

Grafik zu niedergelassenen Ärzten
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA/ÖÄK

Zusätzlich könnten die existierenden Kassenstellen immer weniger nachbesetzt werden, da zu wenig Anreiz bestehe. Szekeres forderte daher ein höheres Honorar für Hausärzte und -ärztinnen. „Ein Kassenhausarzt verdient in Wien zum Beispiel die Hälfte eines Facharztes. Ein durchschnittlicher Hausarzt in Wien verdient circa 5.000 Euro brutto im Monat“, rechnete der Ärztekammer-Präsident vor.

Als Ausweg forderte die Ärztekammer österreichweit 1.000 zusätzliche Ärzte und Ärztinnen und vor allem bessere Arbeitsbedingungen. 2017 gab es zwar an den öffentlichen Universitäten 1.665 Medizinabsolventen und -absolventinnen, aber nur rund 40 Prozent davon würden in Österreich in ihrem erlernten Beruf arbeiten.

SV: Nicht alle Wahlärzte „versorgungswirksam“

Der Hauptverband erklärt gegenüber ORF.at die „exorbitante Zunahme an Wahlärzten“ damit, dass die Ärztekammer auch hier großzügig zähle. Denn „die meisten“ jener Wahlärzte und -ärztinnen würden einer Haupttätigkeit im Spital nachgehen und nur hin und wieder in ihrer Wahlarztpraxis arbeiten. Beim Hauptverband rechnet man daher nur einen Bruchteil der über 10.000 Wahlärzte und -ärztinnen als „versorgungswirksam“.

Messe man nämlich die „Versorgungswirksamkeit“ von Wahlärzten und -ärztinnen an der gesamten ambulanten Versorgung nicht an der Anzahl der Ärzte und Ärztinnen, sondern daran, wie viele Patientinnen und Patienten sie versorgt haben, so entspreche das laut Hauptverband bloß 5,2 Prozent jener 10.099.

Immer weniger Hausbesuche

Auch die Zahl der Hausbesuche geht stetig zurück, obwohl diese extra bezahlt werden. Der Grund liege bei der Zeit, nicht beim Geld, hieß es von der Ärztekammer. Kassenvertragsärzte und -ärztinnen sind zwar prinzipiell zum Hausbesuch verpflichtet, wenn ein Patient bzw. eine Patientin aufgrund des Gesundheitszustands keine Praxis aufsuchen kann. Doch ist es im Kassenvertrag geregelt, dass der Arzt bzw. die Ärztin entscheidet, wie dringlich ein Hausbesuch ist.

Gerade bei Hausbesuchen sei es oft auch ein subjektives Gefühl, sagte der Hauptverbandschef der österreichischen Sozialversicherungsträger im Interview mit Ö1. Man müsse die Kirche im Dorf lassen: 99 Prozent der relevanten Stellen seien besetzt – Audio dazu in oe1.ORF.at. Auch die Pensionswelle bei Kassenärzten und -ärztinnen würde durch Junge in medizinischer Ausbildung abgefangen, so Biach, was Szekeres wiederum kritisierte.

SPÖ beruft Sondersitzung ein

Mit weiteren heftigen Debatten ist jedenfalls in den kommenden Tagen zu rechnen, im April soll mit der Fusionierung der Gebietskrankenkassen begonnen werden. Die SPÖ hat den Ärztemangel als Thema auserkoren und widmet dem eine eigene Sondersitzung am Dienstag. Die ÖVP-FPÖ-Regierung kündigte als Teil der Steuerreform eine Senkung der Sozialversicherungsbeiträge an. Zu Leistungskürzungen soll es aber nicht kommen.

Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) will eine Strukturreform, die auch die Zahlen der praktischen Ärzte und Ärztinnen insgesamt verbessern soll. „Wir haben ein Strukturproblem, was die Ärzte betrifft, und nicht zu wenig Ärzte", so die Ministerin, die das Verhältnis zwischen Wahl- und Kassenärzten kritisierte. Der Anreiz der Kassenärzte müsse steigen, auch eine entsprechende Honorierung sei vonnöten. Zuerst wolle man sich deshalb einem einheitlichen Leistungskatalog widmen, danach aber würden Honorarverhandlungen geführt, kündigte die Gesundheitsministerin an.

Im Zuge der Honorarvereinbarung 2018 bis 2020 wurde laut Hauptverband in Wien ab Juli 2018 in drei Schritten bis Oktober 2020 eine Honorarerhöhung für Allgemeinärzte und -ärztinnen zu je zehn Prozent beschlossen. Honorarerhöhungen habe es bereits auch in der Steiermark (plus zehn Prozent), Salzburg (plus 10,2 Prozent), Niederösterreich (plus sechs Prozent) und Oberösterreich (plus 3,68 Prozent) gegeben. Die restlichen Bundesländer seien noch in Verhandlung mit den jeweiligen Landesärztekammern.

ÖGAM: „Ziel ist Versorgungssicherheit“

Christoph Dachs, Präsident der Österreichische Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (ÖGAM), rief in einer Aussendung am Montag die Politik zum sofortigen Handeln auf. „Dringlichstes Ziel ist die Sicherung einer solidarischen medizinischen Versorgung der gesamten österreichischen Bevölkerung“, so Dachs. Der ÖGAM zufolge müsse es eine Aufwertung der Allgemein- und Familienmedizin an den Unis geben, aber auch eine ökonomische Gleichstellung und Anhebung des Gehalts.

Prinzipiell ist laut Dachs das Interesse der jungen Medizinerinnen und Mediziner an der Allgemeinmedizin sehr wohl vorhanden. Mehr als 50 Prozent hätten Interesse, sie ließen „sich allerdings von den Voraussetzungen und Möglichkeiten abschrecken“. Primärversorgungseinheiten und –netzwerke könnten ein Teil der Problemlösung sein, so die ÖGAM, für die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung müsse das bestehende System in die Reform aber eingebunden werden.