Der afghanische Präsident Ashraf Ghani während einer Kabinettssitzung in Kabul
APA/AFP/Handout
US-Deal mit Taliban

Afghanische Regierung in Zuschauerrolle

Die Lösung des jahrelangen Kriegs in Afghanistan hat einen neuen Meilenstein erreicht. Die USA einigten sich laut ihrem Sondergesandten Zalmay Khalilzad mit den radikalislamischen Taliban auf Grundzüge eines Friedensvertrags. Allerdings fehlte ein wichtiger Player bei den Gesprächen in Doha: die afghanische Regierung.

Sechs Tage lange hat eine Delegation aus den USA mit den Taliban im katarischen Doha – mehr oder weniger – über die Zukunft Afghanistans verhandelt. Gegenüber der „New York Times“ sagte Khalilzad am Montag, dass Fortschritte erzielt werden konnten. So hätten etwa die Taliban zugesichert, dass man ausländischen Extremisten keinen Unterschlupf mehr gewähren werde. Die USA boten als Gegenzug an, ihre Soldaten vom Hindukusch abzuziehen. US-Präsident Donald Trump hatte den von den Islamisten geforderten Rückzug letztes Jahr angekündigt.

Für den deutschen Afghanistan-Experten Thomas Ruttig vom Thinktank Afghanistan Analysts Network ist der Deal „ein erster Schritt auf einem langen Weg“, wie er im Gespräch mit ORF.at sagte. „Die USA wollen ihre Truppen aus dem Land holen, und die Taliban wollen, dass die Soldaten das Land verlassen. Den Erfolg kann man schon mal als Durchbruch verkaufen“, betonte Ruttig. Allerdings müsste die afghanische Regierung in die nächsten Gespräche involviert werden, diese sei immerhin die „dritte Partei“ im Friedensprozess.

Direkte Gespräche mit Kabul gefordert

Bisher hatten die Taliban direkte Gespräche mit Kabul aber kategorisch abgelehnt. Die afghanische Regierung von Präsident Aschraf Ghani halten die Islamisten für eine Art Marionette der USA. „In gewisser Weise haben die Taliban natürlich recht. Die afghanische Regierung kann nicht sagen, ob die US-Truppen jetzt abziehen sollen oder nicht. Außerdem ist Kabul, auch wenn die USA nicht alles bestimmen, derzeit von Washington abhängig, sowohl finanziell als auch aus Sicht der militärischen Streitmacht“, sagte Ruttig.

Der Sondergesandte Zalmay Khalilzad
Reuters/US Embassy
Der US-Sondergesandte Zalmay Khalilzad bei Gesprächen mit Medienvertretern in der US-Botschaft in Kabul

Die Weigerung der Taliban, sich mit Kabul an den Verhandlungstisch zu setzen, sorgte in der Vergangenheit regelmäßig für Spannungen zwischen Kabul und Washington. Laut „New York Times“ würden die USA ihre Soldaten aber nur abziehen, wenn sich die Taliban mit der afghanische Regierung unter anderem über eine Waffenruhe im Land einigen. Zugeständnisse von den Islamisten gab es bisher keine. Aber – und auch das wird bereits als Fortschritt gewertet – die Vertreter der Taliban unterbrachen die Gespräche in Katar, um über einen möglichen Dialog mit Kabul zu beraten. Die nächste Verhandlungsrunde wurde für Ende Februar in Doha vereinbart.

„Auf Augenhöhe“ verhandeln

Von den direkten Gesprächen zwischen den USA und Taliban fühlte sich Kabul zeitweise vor den Kopf gestoßen und ausgeschlossen. Im Dezember twitterte der nationale Sicherheitsberater, Hamdullah Mohib, dass nur die Bevölkerung Afghanistans und ihre gewählten Führer Entscheidungen über die Zukunft des Landes treffen könnten. In dieselbe Kerbe stieß am Montag auch indirekt Afghanistans Präsident Ghani, der die Taliban abermals zu direkten Gesprächen aufforderte.

Der afghanische Präsident Ashraf Ghani während einer Kabinettssitzung in Kabul
APA/AFP/Handout
Khalilzad besprach die Ergebnisse der Verhandlungen in Doha auch mit Afghanistans Präsident Ghani

Diese hätten nämlich zwei Möglichkeiten, sagte er: Sie könnten entweder mit den Afghanen zusammenstehen oder das Werkzeug fremder Mächte und ihrer Ziele sein. „Gäbe es den Krieg mit den Taliban nicht, wäre das Leben von Millionen Afghanen angenehm“, sagte Ghani. Kein Afghane könne akzeptieren, dass seine Kinder Kanonenfutter würden oder ans Ausland verloren gingen. Gleichzeitig wünsche sich kein Afghane eine länger andauernde Präsenz internationaler Truppen. Aktuell sei diese aber notwendig.

So sieht es auch Ruttig. Die Anwesenheit westlicher Soldaten sei eine „Garantie“ dafür, dass die afghanische Regierung und ihre Gegner, wie etwa die Taliban, „auf Augenhöhe“ verhandeln könnten. Dass Ghani mit den Aussagen auch indirekt die USA kritisierte, erklärt sich der Experte so: Es gebe die eine oder andere Stimme, die nicht glaube, dass die USA das Beste für das Land wollen, „dazu gehört Ghani, der die US-Gespräche hinterfragt. Er will nicht zum Zuschauer degradiert werden.“

Furcht vor Wiedererstarken der Taliban

Wie es weitergehen wird, ist noch fraglich. Ende Februar könnten erste Details zu einer Friedensvereinbarung verhandelt werden. Insgesamt war es bereits die fünfte Gesprächsrunde zwischen Taliban-Vertretern und Washington seit Juli 2018. Khalilzad, der in Afghanistan geboren wurde, hatte sich aber bereits mehrmals mit Vertretern der Taliban getroffen, ohne dass das von Washington offiziell bestätigt wurde.

Säulengrafik über die Gebietskontrolle Afghanistans
Grafik: ORF.at; Quelle: SIGAR

Beobachter fürchten unterdessen, dass die Taliban durch ein Abzug der rund 14.000 US-Soldaten ihre Macht wieder ausweiten könnten. Die Islamisten hatten weite Teile Afghanistans von 1996 bis zum Einmarsch der US-Truppen 2001 unter ihrer Kontrolle. Der Kampf gegen al-Kaida und deren in Afghanistan vermuteten damaligen Anführer Osama bin Laden war der Grund für die US-Intervention in Afghanistan nach den Anschlägen vom 11. September 2001 gewesen.

Im vergangenen Jahr publizierte der US-Generalinspekteur für Afghanistan (SIGAR) einen Bericht, wonach sich nur knapp 56 Prozent der 407 Distrikte in Afghanistan unter der Kontrolle der Regierung befänden. Das sei die bisher niedrigste registrierte Zahl. Die restlichen Gebiete befänden sich entweder unter Kontrolle von „Aufständischen“ (etwa den Taliban) oder seien umkämpft. Das Resümee lautete: Die von den USA unterstützten afghanischen Streitkräfte hätten „minimalen oder gar keinen Fortschritt“ im Kampf gegen die Taliban gemacht.