Fayez Mustafa al-Sarradsch und Alexander Van der Bellen
AP/Ronald Zak
Lager in Libyen

Van der Bellen gegen „Zurückschicken“

Die Migrationspolitik ist am Montag bei einem Wien-Besuch des libyschen Regierungschefs Fajis al-Sarradsch eines der Hauptthemen gewesen. Während Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) der Küstenwache des Landes mehr Unterstützung zusicherte, übte Bundespräsident Alexander Van der Bellen Kritik an den Zuständen in libyschen Internierungslagern. Er sprach sich dagegen aus, Menschen dorthin zurückzuschicken.

Angesichts der derzeitigen Umstände in den heftig kritisierten Lagern sollten Menschen „nicht dorthin zurückgeschickt werden“, so Van der Bellen. „Aber das ist meine persönliche Meinung“, sagte er bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Sarradsch.

Die Situation in den Internierungslagern sei „alles andere als zufriedenstellend“. Er sei sich mit Sarradsch darüber einig, dass die Lage „möglichst rasch verbessert“ werden müsse. Er wies aber auch darauf hin, dass die Zentralregierung angesichts der politischen Spaltung Libyens nicht überall Zugriff habe. Deswegen sei die Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen von großer Bedeutung.

Fatale Zustände in Lagern

Zahlreiche Menschen sind oder waren in libyschen Lagern Missbrauch, Folter, Vergewaltigung oder auch Versklavung ausgesetzt, berichten die UNO und mehreren Hilfsorganisationen. Alle von der libyschen Küstenwache aufgegriffenen Personen im Mittelmeer werden laut Ärzte ohne Grenzen (MSF) automatisch in die Internierungslager gebracht, weswegen es auch Kritik am Einsatz der Küstenwache gibt. „Man bringt die Leute hier für unbestimmte Zeit in Gefängnisse mit inakzeptablen Zuständen, ohne auch nur einen Lösungsansatz zu haben“, sagte der MSF-Einsatzleiter Julien Raickman zur APA.

Fayez Mustafa al-Sarradsch und Alexander Van der Bellen
APA/AFP/Joe Klamar
Der libysche Premier Sarradsch war am Montag zu Besuch bei Bundespräsident Van der Bellen

Die Küstenwache wird von der EU mit 300 Millionen Euro gefördert und darüber hinaus unter anderem auch von der italienischen Regierung unterstützt. Ihr Einsatz soll zur Bekämpfung von Schlepperkriminalität beitragen und die Fluchtbewegung über das Mittelmeer eindämmen. Kurz sagte am Montag in einer gemeinsamen Stellungnahme mit Sarradsch, dass die Küstenwache eine „sehr, sehr positive Rolle“ spiele.

Der libysche Ministerpräsident Fajis al-Sarradsch und Bundeskanzler Sebastian Kurz
APA/AFP/Joe Klamar
Die wirtschaftliche Entwicklung dürfte ein zweites großes Thema im Arbeitsgespräch gewesen sein

Er versprach der libyschen Regierung, sich auf zwischenstaatlicher und europäischer Ebene weiter für eine Stärkung der Küstenwache einzusetzen. Auf Nachfrage sagte er, dass Österreich etwa durch technische Ausrüstung oder Trainings helfen könne. Österreich habe „massives Interesse“ an Sicherheit und Stabilität in Libyen, so Kurz. Auch Van der Bellen drückte seine Unterstützung für die Zentralregierung Sarradschs aus.

Sarradsch: Kritik an Lagern „unangebracht“

Die internationale Kritik an den libyschen Lagern nannte Sarradsch im Vorfeld im Gespräch mit der APA „unangebracht“. Vor allem dass einige EU-Staaten „selbst nicht einmal einen Migranten aufnehmen wollen“, gleichzeitig aber Libyen „ständig kritisieren“, sei „inakzeptabel“, so Sarradsch. Gleichzeitig gestand er ein, dass die Lage in den Camps „nicht ideal“ sei. Seine Regierung tue aber alles in ihrer Macht Stehende, um die Versorgung der Geflüchteten sicherzustellen. Zudem wolle man die Verantwortlichen für kriminelle Zustände in Lagern zur Rechenschaft ziehen.

Zudem hatte Sarradsch gegenüber der APA gesagt, er sei sich bewusst, dass das Thema Migration für die EU Priorität habe und in einigen Ländern oft innenpolitisch missbraucht werde. Man müsse sich aber in Erinnerung rufen, dass das Thema ein „viel größeres“ sei – ein Sicherheitsthema, ein humanitäres, ein wirtschaftliches Thema, so Sarradsch. Libyen sei „eigentlich ein Opfer, wir sind nicht der Ursprung des Problems“. Das Problem müsse an seinen Wurzeln gepackt werden, die Herkunftsländer brauchten mehr Entwicklung.

Unternehmen sollen nach Libyen zurückkehren

Anlässlich seines Besuchs in Wien wünschte sich Sarradsch eine „echte Kooperation“ mit Europa. Ihm zufolge habe sich das Arbeitsgespräch auch um Themen wie Energie, das Gesundheitswesen und die Landwirtschaft gedreht. Er erinnerte daran, wie wichtig die wirtschaftliche Entwicklung für die Stabilität seines Land sei.

Viele Firmen hatten sich nach den Unruhen infolge des Sturzes des langjährigen Machthabers Muammar al-Gaddafi aus dem Land zurückgezogen – so auch temporär die OMV. Diese Unternehmen sollten zurück nach Libyen kommen, forderte der Regierungschef. An dem Treffen mit dem libyschen Regierungschef nahmen unter anderen auch die OMV, Vamed, Rosenbauer und Rauch Fruchtsäfte teil.

Kontrolle nur über Bruchteil des Landes

Die Situation in Libyen wurde seit Gaddafis Sturz im Jahr 2011 immer unübersichtlicher. So wird Sarradschs „Regierung der nationalen Einheit“ von den Vereinten Nationen (UNO) unterstützt. Sie kontrolliert aber nur einen Bruchteil des Landes. Ihr gegenüber steht eine Gegenregierung des Generals Chalifa Haftar, die faktisch den Osten des Landes beherrscht. Zusätzlich kämpfen rivalisierende Milizen, Stämme und Dschihadisten um die Kontrolle von Gebieten und großen Ölvorkommen.

Eine mit Hilfe der UNO verhandelte Waffenruhe erwies sich als brüchig. Zuletzt gab es bei tagelangen Gefechten in Tripolis wieder mindestens 30 Tote. „Natürlich gibt es diese Spaltung in unserem Land“, sagte Sarradsch zu der problematischen politischen Lage. Auch innerhalb der Institutionen sei diese vorhanden. Seine Regierung der „nationalen Einheit“ stehe aber „in keiner Konkurrenz zu anderen Seiten“ in dem Land, mit manchen arbeite sie sogar zusammen. „Wir sind absolut bereit, die Sicherheitslage zu verbessern und mit allen zusammenzuarbeiten“, sagte der 58-Jährige in Wien.