SPÖ-Klubchefin Pamela Rendi-Wagnerund Sozialministerin Beate Hartinger-Klein
APA/Robert Jaeger
NR-Sondersitzung

Schlagabtausch über Schuld am Ärztemangel

Der Streit über Österreichs Ärztemangel hat es am Dienstag via Sondersitzung in den Nationalrat geschafft. Die von der SPÖ initiierte Sitzung sollte dazu dienen, eine Attraktivierung des Hausarztberufs zu debattieren. Es folgte eine offene Konfrontation zwischen Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) und ihrer Vorgängerin im Amt, SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner.

Österreich hat im Europavergleich viele Ärzte und Ärztinnen – laut OECD hat nur Griechenland mehr. Allerdings ordinieren immer weniger davon in einer Praxis mit Kassenvertrag. Das bedeutet, dass mehr Patienten bei Ärzten ohne Kassenvertrag ihre Behandlung zuerst selbst bezahlen müssen und dann nur einen Teil von der Kasse zurückbekommen. In der Ärzteschaft steht eine Pensionierungswelle bevor, doch allzu oft finden die niedergelassenen Medizinerinnen und Mediziner keine Nachfolger.

Wer verantwortlich für den Status quo ist, darüber herrschen unterschiedliche Ansichten. Bei den Regierungsparteien ÖVP und FPÖ sieht man die Schuld bei der SPÖ, stellte diese doch zehn Jahre den Gesundheitsminister bzw. die Gesundheitsministerin. Die SPÖ sieht wiederum Versäumnisse der aktuellen Regierung. Dazu legte die SPÖ am Dienstag einen Dringlichen Antrag vor. Darin wurde Hartinger-Klein aufgefordert, umgehend Maßnahmen einzuleiten, um mehr Nachwuchs für den Hausarztberuf zu finden. Auch der Primärversorgungsbereich solle weiter ausgebaut werden.

Gesundheit „am freien Markt“

Hartinger-Klein habe in ihren 13 Monaten im Amt bisher „die Augen verschlossen“ vor den Problemen in der Gesundheitspolitik – „genau wie bei der Pflege“, so Rendi-Wagner am Dienstag im Parlament. Die Haltung der Regierungsparteien sei, „die Menschen sollen halt zum Privatarzt gehen oder sie müssen halt länger warten. Ihr Zugang ist: Der freie Markt wird das schon regeln“, so Rendi-Wagners Vorwurf.

Zwar habe man in absoluten Zahlen eine der höchsten Ärztedichten Europas. Man müsse sich aber fragen, wieso Menschen in überfüllten Wartezimmern stundenlang warten müssten und monatelang auf einen Termin bei einem Facharzt. Auch fänden Ärztinnen und Ärzte, die in Pension gehen, keine Nachfolger, so Rendi-Wagner.

Vorwurf des Postenschachers

„Die Lunte brennt von zwei Seiten“, so die SPÖ-Chefin, eine alternde Bevölkerung brauche mehr medizinische Betreuung. Gleichzeitig alterten die Ärzte selbst, eine Pensionierungswelle stehe bevor. Fast die Hälfte der Ärztinnen und Ärzte werde in den nächsten zehn bis 15 Jahren in den Ruhestand treten. Derzeit seien schon 90 Kassenstellen nicht besetzt. Das bedeute, dass rund 200.000 Menschen keine wohnortnahe adäquate hausärztliche Versorgung hätten, aber auch, dass Ärzte immer weniger Zeit für ihre Patienten hätten.

Pamela Rendi-Wagner (SPÖ) mit Kritik an der FPÖ-Gesundheitspolitik

SPÖ-Chefin Rendi-Wagner ortete Versäumnisse in den vergangenen 13 Monaten. Die Regierung müsse Lehrpraxen und Primärversorgung stärken.

Die Gesundheitsministerin müsse dafür Sorge tragen, dass der Beruf wieder attraktiver wird und auch die Primärversorgungszentren ausgebaut würden. „Sie kümmern sich aber nicht um die Versorgung der Patientinnen und Patienten in diesem Land“, sagte Rendi-Wagner in Richtung FPÖ, „sondern nur um die Versorgung Ihrer Parteifunktionäre mit gut bezahlten Posten“.

Nicht nur, dass die Regierung nichts dagegen tue, mache sie die Lage durch die Sozialversicherungsreform noch schlimmer, so Rendi-Wagner. Die versprochene Patientenmilliarde dadurch werde es nämlich nicht geben, sondern ganz im Gegenteil werde der Umbau eine Milliarde kosten, die im Kampf gegen den Ärztemangel fehlen werde. 48 zusätzliche Leitungsposten würden geschaffen – „statt Ärztestellen blaue Versorgungsstellen“.

„Geschenk“ für Hartinger-Klein

Hartinger-Klein konterte, die von der SPÖ verlangte Sondersitzung sei „ein Geschenk“, „weil ich damit ihre Versäumnisse der letzten zehn Jahre auflisten kann“. Der SPÖ, die vor Hartinger-Klein seit 2008 dem Gesundheitsressort vorstand, habe der Mut gefehlt, Verantwortung werde einfach abgeschoben. Ein Beispiel dafür sei das Krankenhaus Nord der Stadt Wien. Für das Geld, das die SPÖ hier „verschleudert“ habe, so Hartinger-Klein, hätte man 251 Ärztinnen und Ärzte für fünf Jahre finanzieren können.

Beate Hartinger-Klein (FPÖ) in der Sondersitzung

Die Gesundheitsministerin antwortete der SPÖ umgehend: Man habe eine Gesundheitspolitik übernommen, in der viel diskutiert worden sei, aber nichts umgesetzt.

Bereits 2011 sei in einer Studie des damaligen Gesundheitsministers Alois Stöger (SPÖ) ein drohender Ärztemangel festgestellt worden – „aber gemacht hat man nichts“, so Hartinger-Klein. Auch der Trend Richtung Wahlarztpraxen sei damals schon erkannt worden – „aber gemacht hat man nichts“. Österreich habe ein Strukturproblem, nicht zu wenige Ärzte, so das Fazit der Ministerin.

Regierung will mehr Kassenärzte

Die Regierung habe ein Ärztegesetz auf Schiene gebracht, das die Anstellung von Ärzten durch Ärzte ermögliche. Zudem haben man die Finanzierung von Lehrpraxen sichergestellt, und die Primärversorgungszentren würden „bestmöglich unterstützt“, etwa durch einen Gründungsleitfaden. Auch dem Landärztemangel sei man schon entgegengetreten. „Aber die wesentlichste Voraussetzung für eine nachhaltige Änderung ist die Reform der Sozialversicherungen“, so Hartinger-Klein.

Damit seien Finanzierung und Stärkung hausärztlicher Versorgung gesichert. Die Regierung stehe hinter den Kassenärzten und wolle ihren Abwärtstrend stoppen. Am Montag hatte die Ministerin bereits eine bessere Bezahlung für die Hausärzte angekündigt. Dafür sollten die Honorarpositionen neu erarbeitet werden.

Rechnungshof soll prüfen

Auch die Klubobmänner von ÖVP und FPÖ sehen die Schuld am Ärztemangel bei der SPÖ. „Es ist unglaublich, dass die SPÖ in der Gesundheitspolitik die Verantwortung hier von sich schieben will. Darum werden wir einen gemeinsamen Antrag auf Rechnungshofprüfung des Gesundheitsressorts der letzten zehn Jahre unter SPÖ-Gesundheitsministern einbringen“, kündigte ÖVP-Parlamentsklubobmann August Wöginger am Dienstag an. Auch FPÖ-Klubobmann Walter Rosenkranz sprach sich für eine RH-Prüfung aus. Rendi-Wagner sah einer solchen Prüfung „gelassen“ entgegen, wie sie zuvor sagte. SPÖ-Minister hätten vorausschauend viel getan, so Rendi-Wagner.

Antrag abgelehnt

Mit ihrer Kritik blieb die SPÖ am Dienstag relativ allein. NEOS ortete etwa in der Debatte einen Streit auf Kleinkindniveau. „Wie im Sandkasten wird gegenseitig das Türmlein zusammengetrümmert“, so Gesundheitssprecher Gerald Loacker. Jetzt sah Panikmache, wie sie seinerzeit auch die FPÖ als Oppositionsfraktion betrieben habe.

Für den Dringlichen Antrag stimmte schließlich neben den Sozialdemokraten nur Jetzt. Mit Koalitionsmehrheit angenommen wurde hingegen ein Antrag der Regierungsparteien, mit dem die Bundesregierung um Stärkung der niedergelassenen Versorgung im Sinne der Patienten ersucht wird. Beantragt wurde von ÖVP und FPÖ auch die Prüfung des Gesundheitsressorts durch den Rechnungshof.