Ein Mitarbeiter prüft Rohre für die zukünftige Ostsee-Erdgastrasse Nord Stream 2
APA/Jens Büttner
Energieunabhängigkeit

Polens Kampf gegen Windmühlen

In dem Bestreben, von russischen Erdgaslieferungen unabhängig zu werden, ist Polen in den vergangenen Monaten vorangekommen. Lieferverträge mit den USA wurden unterzeichnet und das Großprojekt „Baltic Pipe“ auf Schiene gebracht. Experten halten eine baldige Energieautarkie dennoch für illusorisch.

Im Oktober schloss der staatliche Energiekonzern PGNIG mit dem US-Konzern Venture Global LNG zwei Verträge über die Lieferung von verflüssigtem Erdgas (Liquified Natural Gas, LNG) aus den USA für die nächsten 20 Jahre. Ab 2022 sollen Tanker vom LNG-Terminal in Sabine Pass, Louisiana, ablegen und eine Gasmenge zum Lech-Kaczynski-Terminal nach Swinoujscie (Swinemünde) bringen, die rund einem Sechstel des derzeitigen polnischen Erdgasverbrauchs entspricht.

Nur gut einen Monat später einigten sich das polnische Unternehmen Gaz-System SA und die dänische Energinet SOV auf den Bau einer Erdgaspipeline unter der Ostsee. Das gemeinsame Projekt für die 900 Kilometer lange „Baltic Pipe“ sieht vor, Gas über dänisches Gebiet nach Polen zu pumpen. Bis zum 1. Oktober 2022 sollen „alle Elemente der Pipeline in Dienst gestellt“ werden – jährlich sollen so zehn Milliarden Kubikmeter Gas geliefert werden.

Grafik zu Pipelines
Grafik: ORF.at; Quelle: baltic-pipe.eu

Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki freute sich damals über einen „Riesenschritt hin zu Sicherheit und Unabhängigkeit des polnischen Energiesektors“. LNG für Polen soll auch aus Katar kommen, Erdgas darüber hinaus aus Norwegen. Eine erste Lieferung von Flüssiggas war bereits im Juni 2017 im Hafen von Swinoujscie eingetroffen. Dort sollen pro Jahr künftig 7,5 Milliarden Kubikmeter Flüssiggas umgeschlagen werden.

Vertrag mit Gazprom endet 2022

Das wird notwendig sein: 2022 läuft der Vertrag zwischen Warschau und dem russischen Energieriesen Gazprom aus, der derzeit an die 70 Prozent des polnischen Erdgasverbrauchs deckt. Und Polen scheint keine Intention zu haben, diesen zu erneuern. Einerseits zeigt man sich in Warschau ungehalten über wiederkehrende Lieferengpässe, anderseits hält man Russland vor, seine Energiepolitik als politisches Werkzeug zur Einflussnahme und als Druckmittel zu nutzen.

Mann mit Arbeitskleidung und Helm zwischen zwei Rohren einer Flüssiggasanlage
Reuters/Paul Hackett
Die USA – einer der weltweit größten Erdgasproduzenten – treten bei der Suche nach neuen Absatzmärkten auf der Stelle

Kampf der Pipelines

In dieser Auffassung gehen die baltischen Staaten und die Ukraine – die wie Polen um Einnahmen durch die bisherigen Transitpipelines fürchten –, insbesondere aber auch die USA konform. Ein besonderer Dorn im Auge ist ihnen die Gaspipeline „Nord Stream 2“. Die 1.200 Kilometer lange Röhre wird derzeit unter der Regie von Gazprom gebaut, sie soll ab 2020 zusätzliches russisches Erdgas über die Ostsee nach Deutschland und weiter nach Westeuropa liefern. Aktuell ist rund ein Viertel der Pipeline fertiggestellt, die USA aber erhöhen laufend ihren Druck im Kampf dagegen – wohl nicht zuletzt, da sie selbst Flüssiggas nach Europa liefern wollen.

Erst am Donnerstag legten die USA noch einmal nach: Die Botschafter in Deutschland, Dänemark und der EU forderten die Regierungen in einem Gastbeitrag für die Deutsche Welle dazu auf, sich gegen das umstrittene Pipelineprojekt auszusprechen. „Nord Stream 2 würde die Anfälligkeit Europas für russische Erpressungen im Energiebereich weiter erhöhen“, schrieben Richard Grenell (Deutschland), Carla Sands (Dänemark) und Gordon Sondland (EU).

Drohgebärden aus den USA

Grenell hatte bereits Mitte Jänner mehreren an dem Projekt beteiligten Konzernen einen Brief geschrieben. „Wir betonen weiterhin, dass sich Firmen, die sich im russischen Energieexport-Sektor engagieren, an etwas beteiligen, das mit einem erheblichen Sanktionsrisiko verbunden ist“, hieß es darin. Die Unternehmen würden „aktiv die Sicherheit der Ukraine und Europas“ untergraben, indem sie diese von russischer Energie abhängig machen würden. Aus Deutschland sind die zum BASF-Konzern gehörende Wintershall sowie die E.ON-Abspaltung Uniper an dem Pipeline-Projekt beteiligt, aus Österreich die OMV.

OMV-Vorstand Seele zu seiner Strategie

Rainer Seele, Vorstandsvorsitzender der OMV, erklärt die Expansionsstrategie in den Mittleren Osten und Asien sowie den Hintergrund des Pipelineprojekts mit Russland.

Bei der OMV gibt man sich unbeeindruckt von dem Druck aus den USA. „Das ist sogar gut“, sagte unlängst Vorstand Manfred Leitner. Dadurch würde nur der Zusammenhalt der Befürworter gestärkt. Diese Einschätzung teilt Michael Dei-Michei, Analyst bei JBC Energy in Wien: Der Widerstand von außen schweiße zusammen, er sei zuversichtlich bezüglich des Projekts. Zudem, hielt er gegenüber ORF.at fest, würde in den USA 2020 gewählt, danach könnte der Ton wieder an Aggressivität verlieren.

LNG-Tanker
Reuters/Darrin Zammit Lupi
In LNG-Tankern wird das Erdgas auf rund minus 160 Grad Celsius heruntergekühlt

Von einem brisanten Detail im Kampf „Baltic Pipe“ gegen „Nord Stream 2“ berichtete die „Financial Times“ („FT“) Ende Jänner: Irgendwo in der Ostsee werden sich die Pipelines kreuzen – nur dann allerdings, wenn Moskau seinen Sanktus gibt. „Die ‚Baltic Pipeline‘-Betreiber müssen diesbezüglich eine Vereinbarung mit Gazprom treffen. Dies ist eine technische Frage, aber ich halte es für möglich, dass Gazprom die Entscheidung verschieben oder den gesamten Prozess verlangsamen kann“, sagte der Analyst Robert Tomaschewski vom Warschauer Forschungsinstitut Polityka Insight.

Liquified Natural Gas

Als LNG wird durch Abkühlung auf minus 161 bis minus 164 Grad Celsius verflüssigtes und auf ein Sechshundertstel des ursprünglichen Volumens geschrumpftes Erdgas bezeichnet. In Terminals wird der Brennstoff nach der Lieferung in seinen gasförmigen Zustand zurückverwandelt.

Rohstoffanalytiker Jonathan Lamb sagte gegenüber der „FT“, dass der Bau der „Baltic Pipe“ in der vorgesehenen Zeit zwar „machbar“ sei, warnte aber vor einer überstürzten Aufnahme des Vollbetriebs – in diesem Fall bestünde ein großes Risiko, dass Polen einen überhöhten Preis bei der Befüllung der Leitung zahle.

Eine Frage der Wirtschaftlichkeit

Dei-Michei von JBC Energy in Wien erscheint es „komplett illusorisch“, dass sich Polen bis 2022 aus der russischen Gasabhängigkeit befreien kann – Selbiges gelte für Öl. Der Analyst gegenüber ORF.at: „Der Anteil der LNG-Volumina ist 2018 nur um vier Prozentpunkte gestiegen. Bis 2022 kann das LNG-Terminal im besten Fall bis zu 30 Prozent der Importvolumen abwickeln, aber auch da stellt sich die Frage der Wirtschaftlichkeit.“ Und eben diese Frage würde auch längerfristig nicht verschwinden. Außerdem, so Dei-Michei, könnten polnische Bestrebungen allein nichts gegen die systemische Abhängigkeit Europas von Russland ausrichten.

Eine Signalwirkung allerdings gibt es: Je diversifizierter die EU ihre Energiezulieferung gestaltet, desto bessere Konditionen könne man in Verhandlungen mit Gazprom herausholen. Ein Argument, dessen sich gleichermaßen die „Nord Stream 2“-Konkurrenz bedient: Die EU könne jederzeit den Import von nicht russischem Flüssiggas vervierfachen, ohne ein zusätzliches Terminal bauen zu müssen, sagte Sebastian Sass, Repräsentant der „Nord Stream 2“-Gesellschaft, vor wenigen Wochen. „Wir tun es im Moment nicht, weil das Pipeline-Gas aus Russland, Norwegen oder Nordafrika wettbewerbsfähiger ist.“