Flüchtlinge auf einem Schlauchboot
APA/AFP/Federico Scoppa
UNHCR

Täglich sechs Tote im Mittelmeer

Die tödlichen Gefahren der Flucht über das Mittelmeer haben für Geflüchtete im vergangenen Jahr nach UNO-Angaben alarmierende Ausmaße angenommen. Sechs Menschen starben laut dem UNO-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) täglich im Mittelmeer. Besonders drastisch war die Entwicklung zwischen Libyen und den EU-Ländern Malta und Italien, so das UNCHR in der Nacht auf Mittwoch.

Bei der Flucht via Libyen über das Mittelmeer stieg die Todesrate fast auf das Dreifache: Während 2017 ein Migrant oder eine Migrantin für alle 38 Ankömmlinge auf See ums Leben kam, war es im vergangenen Jahr 2018 ein Toter bzw. eine Tote pro 14 Ankömmlinge. Wahrscheinlich habe die Einschränkung der Such- und Rettungsmissionen dazu beigetragen, so das UNHCR.

Jeden Tag seien 2018 im Durchschnitt sechs Menschen ums Leben gekommen, heißt es weiter. Im Jahr davor waren es zwar mehr als acht Menschen pro Tag, da waren die Flüchtlingszahlen aber auch deutlich höher. Insgesamt kamen 2018 fast 117.000 Menschen über das Mittelmeer nach Europa. Das sei die mit Abstand geringste Zahl seit fünf Jahren, so das UNHCR. Im Jahr zuvor waren es 172.301, 2016 waren es noch 1.015.078 Menschen gewesen. Mindestens 2.275 seien 2018 ums Leben gekommen. Im Jahr davor waren es 3.139 Tote. Über das ganze Mittelmeer gesehen stieg die Todesrate damit von einem Toten pro 55 auf einen Toten pro 51 Ankömmlinge.

Flüchtlingsrouten haben sich verschoben

Hilfsorganisationen verweisen immer wieder darauf, dass wahrscheinlich mehr Menschen bei der Flucht ertrinken. Nicht alle untergehenden Boote und Opfer würden überhaupt entdeckt. Das Sterben hat auch im neuen Jahr nicht aufgehört, wie UNICEF auf seiner Website berichtet. In den ersten Wochen des Jahres ertranken nach UNHCR-Schätzung schon 185 Menschen im Mittelmeer, heißt es weiter.

„Man kann sich nicht aussuchen, ob man Menschen in Seenot rettet oder nicht. Es ist keine Frage der Politik, sondern eine uralte Pflicht“, sagte UNHCR-Chef Filippo Grandi. „Wir können diese Tragödien beenden, indem wir Mut und Vision zeigen und nicht nur das nächste Flüchtlingsboot sehen, sondern eine langfristige Lösung mit regionaler Kooperation finden, bei der das menschliche Leben und die Würde im Mittelpunkt stehen.“

Die Flüchtlingsrouten haben sich, wie der UNICEF-Bericht zeigt, im vergangenen Jahr Richtung Spanien verschoben. Während die Zahl der Ankömmlinge in Italien um 80 Prozent auf gut 23.000 zurückging, stieg sie in Spanien um 164 Prozent auf knapp 59.000. Viele Boote legen inzwischen in Marokko ab. Das UNHCR rief dazu auf, den Menschenschmugglern das Handwerk zu legen.

Experte: Tödlichste Grenze der Welt

Das Mittelmeer sei immer noch die tödlichste Grenze der Welt, hatte der Migrationsexperte Gerald Knaus letzte Woche in der ZIB2 gesagt. „Wir hatten im letzten Jahr rund 2.300 Tote im Mittelmeer“, so Knaus. Das seien immer noch „sehr viel mehr Tote als vor fünf Jahren“. Die Strategie der EU, die Leute durch eine immer gefährlicher werdende Überfahrt an der Flucht zu hindern, gehe also nicht auf.

Zwar sei die Zahl der Flüchtlinge, die in Italien ankämen, zurückgegangen, sagte der Erfinder des Flüchtlingsabkommens zwischen der EU und der Türkei. Doch hätten gerade die großen Unfälle 2013 dazu geführt, dass sich viele Staaten und NGOs mit Schiffen auf den Weg gemacht hätten, um die Menschen zu retten.

Knaus kritisiert Italien

In Libyen gebe es laut UNO unzumutbare Zustände, so Knaus. Noch schlimmer sei es allerdings, dass es in Italien eine Politik gebe, die „nicht nur in Kauf nimmt, dass Menschen auf ihren Booten ertrinken, sondern die dann auch noch versucht, die Seenotretter“ zu kriminalisieren. „Da zeigt sich Europa wirklich von seiner hässlichsten Seite.“

In einem hätten aber der italienische Innenminister Matteo Salvini und die österreichische Bundesregierung recht, so Knaus: Ein Zurückgehen zur Situation vor zwei, drei Jahren könne nicht die Lösung sein. Vielmehr brauche es ein Signal, „dass sich Menschen gar nicht auf den Weg nach Europa machen“, sagte er.

Dazu brauche es aber die schnellere Bearbeitung von Asylanträgen und Rückführungsabkommen mit den Herkunftsländern. Der Strategie von Innenmister Herbert Kickl (FPÖ), das Signal zu senden, dass keine Asylanträge mehr angenommen werden, stünden die von Österreich unterzeichneten Konventionen entgegen, so Knaus. Der einzige Weg wäre es daher, Verfahren zu beschleunigen, menschliche Aufnahmezentren zu haben, „denn die meisten bekommen keinen Schutz und bleiben trotzdem jahrelang in Europa“.