EU-Ratspräsident Donald Tusk
Reuters/Yves Herman
Brexit neu verhandeln

EU erteilt London erneut Abfuhr

Die britische Premierministerin Theresa May und das Unterhaus in London haben für ihre Forderungen nach Änderungen des Brexit-Vertrages eine Abfuhr erhalten. Die Europäische Union lehnte nach dem Beschluss des Parlaments am Dienstagabend Nachverhandlungen postwendend ab, wie ein Sprecher von EU-Ratspräsident Donald Tusk in Brüssel mitteilte.

Das britische Parlament will den „Backstop“, also die bestehende Regelung für die irisch-nordirische Grenze, im Brexit-Deal neu verhandeln. „Das Austrittsabkommen ist und bleibt der beste und der einzige Weg, einen geordneten Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union sicherzustellen“, so der Tusk-Sprecher weiter. Der „Backstop“ sei Teil des Austrittsabkommens, und das Austrittsabkommen sei nicht für Nachverhandlungen offen, hieß es weiter. Diese Linie sei mit den Hauptstädten der 27 bleibenden EU-Staaten abgestimmt.

„Sollte es einen begründeten Antrag für eine Verlängerung geben, wären die EU-27 bereit, ihn in Erwägung zu ziehen und darüber einstimmig zu entscheiden“, so Tusk. Bei der Frage, wie lange die Frist verlängert würde, werde die EU „das Funktionieren der EU-Institutionen einbeziehen“. Tusk wird laut seinem Sprecher Mittwochabend mit May telefonieren, um über das weitere Vorgehen zu sprechen. Der Sprecher von Tusk teilte das am Vormittag über Twitter mit.

Timmermans fordert Klärung

EU-Vizekommissionspräsident Frans Timmermans forderte am Mittwoch die britische Regierung dazu auf, die Position zu klären. „Wir drängen das Vereinigte Königreich nach wie vor dazu, seine Absichten mit Blick auf die nächsten Schritte zu verdeutlichen.“

Irlands Außenminister Simon Coveney sieht keine Alternative zu der im Brexit-Abkommen vereinbarten Notfalllösung für Irland. Bei den zweijährigen Verhandlungen habe man nach anderen Wegen gesucht, um eine harte Grenze auf der Insel zu vermeiden, sagte Coveney dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk RTE. Es sei keiner gefunden worden, der funktioniere. „Und jetzt haben wir eine britische Premierministerin, die wieder für die gleichen Dinge wirbt, die wir geprüft haben.“

Kurz gegen Nachverhandlungen

Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron lehnte Nachverhandlungen ab. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bekräftige am Mittwoch, dass der Brexit-Deal nicht aufgeschnürt wird: „Unsere Hand ist nach wie vor ausgestreckt für eine gemeinsame Lösung und Präzisierungen, aber wir sind nicht bereit, Nachverhandlungen zum Austrittsabkommen zu führen“, sagte Kurz im Pressefoyer nach dem Ministerrat. „Es ist ein gutes Abkommen.“

Im Ministerrat wurde am Mittwoch ein Sammelgesetz beschlossen, das unterschiedliche Rechtsfragen betrifft, etwa für Briten, die hier leben. Damit stelle man sicher, dass der Schaden für Österreich gering gehalten werde, wenn es zu einem harten Brexit kommen sollte. Auch Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) unterstrich dementsprechend, dass die Regierung Vorbereitungsmaßnahmen für einen ungeordneten Austritt getroffen habe. Die „Dramatik“ im „Brexit-Dilemma“ erinnerte den Vizekanzler „ein bissl auch an Shakespeare“.

Theresa May
APA/AP/Jessica Taylor
Premierministerin May kündigte nach der Abstimmung an, das Gespräch mit Brüssel zu suchen

Parlament stützt May-Strategie

Die britischen Abgeordneten hatten am Dienstagabend mehrheitlich für einen Vorstoß, der die Zustimmung des Parlaments zum ausgehandelten Brexit-Deal von erfolgreichen Nachverhandlungen mit der EU abhängig macht, gestimmt. 317 Abgeordnete stimmten am Dienstagabend in London dafür, die „Backstop“-Regelung für Nordirland in dem Abkommen zu ersetzen, 301 Parlamentarier wandten sich dagegen. Mit diesem Antrag stützte das Unterhaus die Strategie von Premierministerin May, die vorab gesagt hatte, das Brexit-Abkommen mit der EU noch einmal aufschnüren zu wollen.

„Backstop“-Regel

Diese Regel ist der größte Kritikpunkt an Theresa Mays Brexit-Paket. Sie sieht vor, dass Großbritannien mit der EU in einer Zollunion bleibt, wenn keine andere Vereinbarung getroffen wird. Hardliner eines Austritts fürchten eine Bindung an die EU auf unabsehbare Zeit.

May kündigte nach der Abstimmung an, das Gespräch mit der EU über rechtlich bindende Änderungen an dem Abkommen zu suchen. Das werde nicht einfach werden, sagte sie. „Es ist jetzt klar, dass es einen Weg zu einer tragfähigen und nachhaltigen Mehrheit dafür gibt, die EU mit einem Deal zu verlassen.“ May will den Abgeordneten schnellstmöglich einen geänderten Austrittsvertrag zur Abstimmung vorlegen. Sollte sie keinen Erfolg bei Nachverhandlungen mit der EU haben, werde sie spätestens am 13. Februar vor dem Unterhaus eine Erklärung abgeben. Für den Tag darauf – also den 14. Februar – plane May eine Abstimmung zu ihrer Erklärung, teilte Downing Street 10 mit.

Labour fordert weiter geordneten Brexit

Das Austrittsdatum 29. März ist im EU-Austrittsgesetz festgeschrieben. Sollte es weder ein Abkommen noch eine Verschiebung der Brexit-Frist geben, würde Großbritannien ohne Vertrag aus der EU ausscheiden.

Die britische Opposition pochte indes darauf, dass Großbritannien nur mit einem Brexit-Abkommen aus der EU ausscheidet. Labour-Chef Jeremy Corbyn werde bei einem Treffen mit May darauf bestehen, „dass der Wille des Parlaments respektiert wird und dass ein No-Deal jetzt vom Tisch ist“, sagte ein Vertreter der Opposition. Brexit-Minister Stephen Barclay schloss indes einen ungeordneten Ausstieg nicht aus. Sein Land werde am 29. März ohne Abkommen aus der EU ausscheiden, „außer wir können uns auf etwas einigen“, sagte er der BBC.

„Klares Signal“ vor Abstimmungen gefordert

Vor den Abstimmungen hatte May im Unterhaus ein „klares Signal“, was es für die Zustimmung zu einem Brexit-Deal braucht, gefordert. „Das Unterhaus hat keine Zweifel daran gelassen, was es nicht will. Heute müssen wir ein nachdrückliches Signal senden, was wir wollen“, so May.

Journalistin Kate Connolly zum Brexit-Verlauf

Die Deutschland-Korrespondentin der britischen Tageszeitung „Guardian“ zeigt sich in der ZIB2 irritiert über die mangelde Willensbildung im Parlament des Vereinigten Königreichs.

In ihren Gesprächen über die Parteigrenzen hinweg sei für sie klar geworden, dass es drei wesentliche Änderungen für ihren bisherigen Plan brauche, so May. Man müsse sich mehr mit den Abgeordneten beraten, man müsse sicherstellen, dass Umwelt- und Arbeitsstandards nicht gesenkt werden. Drittens müsse es Änderungen am „Backstop“ geben, der eine Notlösung darstellt, um die Grenze zwischen Irland und Nordirland in jedem Fall offen zu halten.