EZB-Präsident Mario Draghi
AP/Michael Probst
EZB unter Draghi

Lockere Geldpolitik bis zum Schluss

Es wird wohl eine Premiere in der Geschichte der Europäischen Zentralbank (EZB): Mario Draghi könnte als erster EZB-Präsident das Amt verlassen, ohne je den Leitzins erhöht zu haben. Seit 2011 wurde der Zinssatz nach unten gedreht, nun liegt er schon seit knapp zwei Jahren bei null Prozent. Eine Änderung der Geldpolitik ist nicht in Sicht.

Die Senkung des Leitzinssatzes war in den vergangenen Jahren – neben den zum Jahresende 2018 eingestellten Anleihekäufen – das wichtigste Instrument, um die schwächelnde Konjunktur seit der Finanz- und Wirtschaftskrise anzukurbeln. Wegen der niedrigen Zinsen konnten Banken günstig Kredite vergeben, und die Menschen wurden dazu bewegt, Geld auszugeben – das Geld anzulegen lohnt sich nicht. Nach knapp neun Jahren wird sich an dieser Geldpolitik, der auch das Attribut „ultralocker“ zugeschrieben wird, nicht viel ändern.

EZB-Chef Draghi, der eben seit 2011 im Amt ist, hatte nämlich vor wenigen Tagen eine Zinswende vor 2020 ausgeschlossen. Zumindest über den Sommer hinaus wollen die Euro-Wächter ihre Schlüsselzinsen nicht erhöhen. Als Grund wird eine wirtschaftliche Schwächephase genannt. In den Raum stellte der EZB-Präsident auch, dass neben der Nullzinspolitik Anleihekäufe wieder eine Option werden könnten. Aber nur, „wenn die Dinge sehr schiefgehen“. Seit Beginn der Anleihekäufe 2015 erwarb die EZB Wertpapiere in Höhe von 2,6 Billionen Euro.

Wenig Spielraum für Änderung

Dass „Dinge sehr schiefgehen“ könnten, wird zwar nicht erwartet. Für eine Änderung der lockeren Geldpolitik der EZB wäre der Spielraum aber auch zu gering. Internationale Handelskonflikte bremsen den Welthandel, das chinesische Wirtschaftswachstum fiel im vergangenen Jahr auf den niedrigsten Stand seit fast drei Jahrzehnten, in Europa droht ein ungeordneter EU-Austritt Großbritanniens, dessen Folgen wohl kaum einer abschätzen kann. Auch die Inflation im Euro-Raum entwickelt sich nicht so, wie es die EZB erwartet hatte.

EZB-Präsident Mario Draghi erhält eine Auszeichnung
Reuters/Francois Lenoir
EZB-Präsident Draghi wurde Ende Jänner 2019 für seine Bemühungen, „den Euro zu retten“, ausgezeichnet

Es spricht also alles dafür, dass die EZB ihre Schlüsselzinssätze nicht erhöhen wird. Das ruft sowohl Kritiker als auch Befürworter auf den Plan. Während die einen der Meinung sind, dass diese Politik in den letzten Jahren den Zerfall des Euro-Raums verhindert habe, sind für Kritiker, wie für den Ex-Chefökonomen der EZB, Jürgen Stark, diese Maßnahmen „nicht zu rechtfertigen“. Weder habe es die von der EZB behauptete Deflationsgefahr gegeben noch sei eine Inflationsgefahr im Raum gestanden, schrieb Stark zuletzt in einem Gastkommentar für die „Neue Zürcher Zeitung“. Der Preis sei immer stabil gewesen, die lockere Geldpolitik also ohne jegliche Grundlage.

Stark, der von 2006 bis 2012 als EZB-Chefvolkswirt tätig war, wirft seinen Ex-Kollegen vor, den Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik immer wieder hinausgeschoben – selbst in Zeiten des „wirtschaftlichen Booms“ – und letztlich verpasst zu haben. „Oder sie (EZB, Anm.) will ihn gar nicht“, so der Ex-Chefökonom, der sich seit jeher gegen den Kauf von Staatsanleihen von kriselnden Staaten ausgesprochen hatte. Unter Draghi, so Stark, sei die EZB in eine Richtung gelenkt worden, die lange über die Amtszeit des Italieners hinaus wirken werde. Schon in einem Abschiedsbrief an seine Kollegen im Jahr 2012 schrieb Stark, dass die EZB ihr Mandat, den Preis stabil zu halten, „ins Extreme“ ausgedehnt habe.

Die Politisierung der EZB

Bereits Ende des vergangenen Jahres hatte Volker Wieland, Professor für Monetäre Ökonomie an der Goethe-Universität Frankfurt, die EZB davor gewarnt, „die geldpolitische Wende zu spät einzuleiten“. In einem Gastkommentar für die „Welt am Sonntag“ schrieb er, dass die Inflation schneller steigen könnte, „riskante Kredite“ vergeben und „unproduktive Investitionen“ getätigt werden könnten. Zudem sollte sich die Zentralbank mit ihren Instrumenten nicht in die Fiskalpolitik der Mitgliedsstaaten einmischen. Eine Nebenwirkung der lockeren Geldpolitik sei nämlich eine zunehmende Politisierung der EZB.

Leitzins der EZB

Eine Preisniveaustabilität ist das Ziel der EZB. Dafür schraubt sie an drei Schlüsselzinsätzen, darunter der Hauptrefinanzierungssatz. Er dient als Orientierung heimischer Banken für ihre Zinsen.

Der Vorwurf, dass sich die EZB zum größten Gläubiger der Euro-Zone entwickelt hat, ist nicht neu. Warum sich Draghi, dessen Amtszeit mit 31. Oktober 2019 ausläuft, in den letzten Jahren gegen eine Straffung der Geldpolitik ausgesprochen hat, ist vielen ein Rätsel. Einige sagen, wenn die EZB ihre Geldpolitik ändere, brächte sie hochverschuldete Staaten wie Italien unnötig in Bedrängnis. Zudem hätte die EZB ihre Politik schon etwas gestrafft, indem die Anleihekäufe gestoppt wurden, heißt es. Kritiker hingegen meinen, dass sich Draghi an seinen Vorgänger Jean-Claude Trichet erinnert, der sich gegen Ende seiner Amtszeit die Finger verbrannt hatte.

   Leitzinsen EZB Eurozone und Fed – Kurvengrafik
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Im Frühjahr 2011 – kurz vor dem Höhepunkt der Euro-Schuldenkrise – erhöhte die EZB unter Trichet den Leitzins in zwei Schritten (April und Juni) von einem auf 1,5 Prozent. Experten kritisierten den Schritt und forderten, den Schritt rückgängig zu machen, weil sich Europa im wirtschaftlichen Abschwung befinde. Erst unter Draghi wurde der Leitzins nach unten gedrückt. Trichet wurde auch dafür kritisiert – vor allem aus Deutschland –, dass die EZB mit dem Staatsanleihenkauf über ihr Mandat hinausging. Zudem erteilte Trichet Regierungschefs der EU-Krisenländer Ratschläge in Budgetführung. Für Experten ein No-Go.

Zuerst Strafzinsen senken

Wenn Draghi Ende Oktober den Chefsessel der EZB räumt, könnte der nächste Präsident freilich die Geldpolitik straffen. Unter den möglichen Kandidaten befindet sich unter anderen der Chef der niederländischen Notenbank, Klaas Knot. Er gilt als Verfechter eines strafferen Kurses. Im Gegensatz zum Präsidenten der Deutschen Bundesbank, Jens Weidmann, dessen Name auch schon in den Topf geworfen wurde, ist Knot aber weniger strikt. Es wird aber damit gerechnet, dass die EZB zuerst die Strafzinsen für Kreditinstitute verringern wird. Derzeit sind für geparktes Geld bei der EZB 0,4 Prozent Strafzinsen fällig.

Unterdessen kündigte die US-Notenbank Fed am Mittwoch eine Zinspause an. Der Schlüsselsatz zur Versorgung der Geschäftsbanken mit Geld bleibt in der Spanne von 2,25 bis 2,5 Prozent, beschlossen die Währungshüter einstimmig. Zugleich signalisierte die Fed, dass sie bei Entscheidungen über künftige Zinsschritte „geduldig“ agieren werde. Sie hatte den Leitzins im vorigen Jahr insgesamt viermal angehoben und damit auf den Wirtschaftsboom in den USA reagiert.