Nathalie Loiseau
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Umbruch in Straßburg

Politikneulinge heizen EU-Wahl an

Bei der Europawahl im Mai droht den Großen im EU-Parlament eine herbe Niederlage: Umfragen zufolge verlieren die Konservativen und Sozialdemokraten erstmals ihre Mehrheit. Davon besonders profitieren könnten neue Kräfte. Während manche Parteien mit skurrilen Frontfiguren auffallen, haben eine Handvoll anderer das Potenzial, den Kampf zwischen proeuropäischen und nationalistischen Kräften weiter anzuheizen.

Der Durchbruch von rechts- sowie linkspopulistischen Parteien zeichnete sich bereits bei der letzten EU-Wahl vor fünf Jahren ab. Damals ergatterten die Alternative für Deutschland (AfD), die rechtspopulistischen Schwedendemokraten und die linke, spanische Podemos-Partei bei ihrem Antreten erstmals einige der 751 Sitze in der EU-Volksvertretung in Straßburg – im Mai sollen die drei Parteien noch besser abschneiden.

Dass die Chancen anderer, neuer Kräfte bei der kommenden Wahl nicht schlecht stehen, deuten auch Prognosen des EU-Parlaments sowie von dem Projekt „Poll of Polls“ des Politikmagazins „Politico“ an. Ins Treffen geführt werden dabei unter anderem die Partei von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, die Partei Frühling des ersten offen homosexuellen Politikers Polens, Robert Biedron, bis hin zu Nigel Farages Brexit-Partei.

Frankreich mit neuer, liberaler Fraktion?

Den größten Gewinn aller neuen Parteien wird voraussichtlich die proeuropäische Bewegung La Republique en Marche (LREM) des französischen Präsidenten einfahren. Zwischen 19 und 22 Sitze soll sie Prognosen zufolge bekommen. In Frankreich – das nach Deutschland die meisten Sitze im Parlament zählt – steht die Bewegung aufgrund der „Gelbwesten“-Proteste seit Monaten unter Druck. Mit Marine Le Pens rechtspopulistischer Partei Rassemblement National (RN) liefert sie sich in Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen um den Wahlsieg.

Nathalie Loiseau  (La Republique En Marche)
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Frankreichs Ex-Europaministerin Nathalie Loiseau geht als Spitzenkandidatin für LREM ins Rennen

Spekuliert wurde lange Zeit, ob sich LREM mit der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE), zu denen NEOS zählt, verbündet. „Wir wollen mit ALDE zusammenarbeiten, aber eben nicht exklusiv“, sagte Parteichef Stanislas Guerini Mitte April in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“. Man wolle eine Gruppe bilden, „an der niemand vorbeikommt“. Die ALDE-Fraktion ist mit 68 Sitzen aktuell die viertgrößte Fraktion hinter der Europäischen Volkspartei (EVP; 217 Sitze), der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE; 187 Sitze) und der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR; 76 Sitze).

Farage will Brexit-Feldzug fortsetzen

An den EU-Wahlen teilnehmen werden – sollte im Mai nicht noch unerwartet ein Durchbruch in Sachen Brexit gelingen – wahrscheinlich auch die Britinnen und Briten. London stellt derzeit knapp zehn Prozent der EU-Abgeordneten. Viele kleine, britische Parteien sehen die Wahl als große Chance – unter anderem, weil mit einem Einzug in das Parlament in Straßburg Geld fließt. So hatte sich erst kürzlich die proeuropäische UK EU Party gebildet, die sich für einen Verbleib in der EU ausspricht.

Nigel Farage und Annunziata Rees-Mogg
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Der Brexit-Partei von Nigel Farage gehört auch Annunziata Rees-Mogg – Schwester des Brexit-Hardliners Jacob Rees-Mogg – an

Brexit und die EU-Wahl

Eigentlich hätte das Europaparlament infolge des Brexits von 751 auf 705 Mandate verkleinert werden sollen. Dabei hätte ein Teil der 73 britischen Mandate anderen Mitgliedsstaaten, darunter Österreich, zugeschlagen werden sollen. Weil die Austrittsfrist nun aber auf Herbst verschoben worden ist, wird Großbritannien nun offenbar an den Wahlen teilnehmen.

Für Furore sorgte aber die Gründung der Brexit-Partei des europakritischen EU-Abgeordneten, Brexiteers und Ex-UKIP-Politikers Nigel Farage. Laut einer YouGove-Umfrage liegt Farages Brexit-Partei mit 27 Prozent sogar deutlich vor den regierenden Torys und der größten Oppositionspartei Labour. 2016 wurde Farage zur Schlüsselfigur für den Erfolg der Brexit-Kampagne.

Befürchtet wird auch, dass britische Mandatare wie Farage die Arbeit in Straßburg lähmen könnten. Fachleute gaben aber Entwarnung: Nur die wenigsten Abstimmungen gehen knapp aus. Außerdem könnte eine britische Blockadepolitik dazu führen, dass große Fraktionen enger zusammenrücken.

Polen: Katholiken vs. Punkrocker vs. Frühling

Obwohl sich in Polen in erster Linie die absolut regierende nationalkonservative, christdemokratischen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und ein mehrere Parteien umfassendes, proeuropäisches Oppositionsbündnis gegenüberstehen, sorgen auch zwei kleine Bewegungen für viel Gesprächsstoff.

Die nicht als Partei registrierte rechtspopulistische Bewegung Kukiz’15 des Punkrockmusikers Pawel Kukiz könnte drei der über 50 polnischen Sitze belegen. Gemeinsam mit der italienischen Fünf-Sterne-Bewegung und der populistischen, oppositionellen Zivi zid (Lebende Mauer) aus Kroatien will Kukiz’15 eine neue Fraktion bilden. Politico zufolge käme diese auf mehr als 20 Sitze und wäre somit die kleinste Fraktion im Parlament.

Robert Biedron
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Mit seinem Kampf für die Rechte Homosexueller hat sich der Atheist Robert Biedron im katholischen Polen einen Namen gemacht

Vor Kukiz und drittstärkste Kraft Polens ist die proeuropäische Partei Frühling (Wiosna) des ehemaligen Bürgermeisters der nordpolnischen Stadt Slupsk und lange Jahre einzigen offen homosexuellen Politikers des streng katholischen Landes, Robert Biedron. Laut der Politologin Agnieszka Lada ist Frühling eine „frische“ Option für jene, die „schon genug von Konflikten und Streitigkeiten haben“. Unklar ist, welcher Fraktion sich die Partei anschließen würde.

Schicksalswahl für Rumänien

Im aktuellen EU-Ratsvorsitzland Rumänien sprechen Politologen durch die Bank von einer Schicksalswahl für das Land. Immerhin steht die sozialdemokratische Regierungspartei PSD und ihr liberaler Koalitionspartner ALDE Romania aufgrund umstrittener Justizreformen in der Kritik. Europas Sozialdemokraten haben ihre Beziehungen zur PSD deshalb auf Eis gelegt – mit ähnlichen Schritten drohte die ALDE-Fraktion zuletzt der rumänischen Schwesterpartei.

Wenig überraschend setzen aufstrebende, rumänische Parteien vor allem auf ein Thema: Korruptionsbekämpfung. Als besonders aussichtsreich gelten unter anderem die bürgerliche Union Rettet Rumänien (USR), die mit der Mitte-rechts-Partei PLUS von Ex-Premierminister Dacian Ciolos – der bis 2018 parteilos war – koalieren möchte. Gemeinsam könnten sie sieben Sitze gewinnen.

Rückkehr der extremen Rechten in Spanien?

Jahrzehnte nach dem Ende der faschistischen Franco-Diktatur kehrt auch in Spanien die extreme Rechte zurück. Nach ihrem überraschenden Erfolg bei der Regionalwahl in Andalusien dürfte die Partei Vox (Stimme) bei der Parlamentswahl Ende April landesweit mehr als zehn Prozent der Stimmen bekommen. Fachleuten zufolge hängt der Aufstieg von Vox, die unter anderem den Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt reduzieren will, weniger mit der Flüchtlingskrise als mit dem Katalonien-Konflikt zusammen. Bei der EU-Wahl könnte die Partei aktuell etwa sieben der 54 spanischen Sitze erlangen.

Santiago Abascal
Reuters/Sergio Perez
Fachleuten zufolge hängt der Erfolg von Vox mit dem Katalonien-Konflikt zusammen

Möglich ist, dass sich Vox der vom italienischen Innenminister und Lega-Chef Matteo Salvini aus der Taufe gehobenen Fraktion Europäische Allianz der Völker und Nationen anschließt. Rund zehn Bewegungen und Parteien – darunter die FPÖ – wollen sich laut Salvini der Wahlallianz anschließen. Sowohl mit der FIDESZ-Partei des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban als auch Vox sind noch Gespräche im Gang. Aktuellen Prognosen zufolge kommt die Fraktion auf knapp unter 50 Sitze.

Tschechiens Piraten

Von Tschechiens 21 Sitzen könnten fünf Sitze erstmals auf die vor zehn Jahren gegründete tschechische Piratenpartei fallen. Bei der Piratenpartei handelt es sich um eine liberale Partei mit umweltpolitischen Akzenten, die gegen Korruption ankämpfen will und besonders jüngere Wählerinnen und Wähler ansprechen soll. Neben Tschechien sind auch die luxemburgische sowie die isländische Piratenpartei in den jeweiligen nationalen Parlamenten vertreten. Im EU-Parlament waren die Piratenparteien bis Ende März mit der deutschen Abgeordneten, Julia Reda, vertreten.

In Umfragen ringen die tschechischen Piraten und die konservative Demokratische Bürgerpartei (ODS) laufend um den zweiten Platz. Erstmals ins EU-Parlament einziehen könnte zudem die rechtspopulistische Freiheit und direkte Demokratie (SPD), die vom japanischstämmigen Unternehmer Tomio Okamura gegründet worden ist.

Pamela Anderson wirbt für paneuropäische Partei

Für Aufsehen in Sozialen Netzwerken sorgten „Politico“ zufolge zwei transnationale Bewegungen – Democracy in Europe Movement 2025 (DiEM25) und Volt; und das, obwohl den Bewegungen bei der Wahl nur geringe Chancen zugebilligt werden. Bei DiEM25 handelt es sich um eine radikal proeuropäische Bewegung, die eine europäische Verfassung bis 2025 fordert und in elf Ländern antritt. Der griechische Ex-Finanzminister und Ikone der weltweiten Linken, Gianis Varoufakis, steht auf Platz eins der deutschen Liste.

Varoufakis machte sich im Zuge der Staatspleite Griechenlands international einen Namen – mittlerweile gilt der Bestsellerautor als Ikone der globalen Linken. Wahlkampfhilfe holte sich Varoufakis, der von griechischen Medien gerne auch als „Mann mit großem Ego“ bezeichnet wird, unter anderem von der Schauspielerin Pamela Anderson.

Yianis Varoufakis
APA/AFP/Louisa Gouliamaki
Der griechische Ex-Minister Varoufakis gilt als Ikone der weltweiten Linken

Wie DiEM25 will auch Volt die erste transnationale Partei in Europa werden. Volt wurde ursprünglich von einem Italiener, einer Französin und einem Deutschen gegründet und will unter anderem EU-Bürgern mehr Mitsprache ermöglichen, eine nachhaltige Wirtschaft stärken sowie die Bedingungen für Start-ups verbessern. In Österreich hat es Volt nicht auf den Stimmzettel geschafft.