Beheizte Gleise in Chicago
AP/Kiichiro Sato
Extreme Kälte

Chicago muss Weichen „anzünden“

Die seit Tagen anhaltende Kältewelle in Nordamerika will noch nicht weichen: Der National Weather Service sagt für den Mittleren Westen und den Norden der USA weiterhin lebensgefährliche Kälte voraus. In Chicago werden die Weichen „angezündet“, um ihr weiteres Funktionieren zu sichern.

Chicagos „Öffi“-Betreiber Metra ist derzeit rund um die Uhr damit beschäftigt, den Bahnverkehr trotz der klirrenden Kälte am Laufen zu halten. Entscheidend dafür ist, die zahlreichen Weichen vor allem vor Vereisung zu schützen. Während in Europa Weichen längst überwiegend elektrisch beheizt werden, geschieht das in Teilen der USA per Gasheizung.

Wartungsmannschaften zünden die installierten Gasheizungen an und kontrollieren laut CNN den Gaszufluss. Die Mannschaften, die in Zwölfstundenschichten arbeiteten, blieben an Ort und Stelle, während die Weichen mit den Gasflammen beheizt würden. Teilweise würden dabei Schwellen beschädigt. Die Methode sei aber immerhin deutlich sicherer als die früher verwendete. Dabei wurden mit Kerosin gefüllte Behälter in die Schienenzwischenräume gesteckt und von Hand angezündet.

Beheizte Gleise in Chicago
AP/Kiichiro Sato
Viele Weichen in Chicago werden derzeit regelmäßig mit Gasflammen beheizt

Bereits mehr als 20 Tote

Klirrender Frost verbunden mit teils auffrischendem Wind führe zu Bedingungen, die anfälligen Menschen Probleme bereiten könnten. Am Donnerstag waren stellenweise Temperaturen von deutlich unter minus 30 Grad Celsius gemessen worden. Landesweit seien bisher mindestens 21 Menschen der Kälte zum Opfer gefallen, berichtete die „New York Times“.

Behörden machten die extremen Temperaturen unter anderem für den Tod eines 18-jährigen Studenten in Iowa verantwortlich. Er war bewusstlos auf dem Campusgelände gefunden worden und später im Krankenhaus gestorben. Einige der 21 Todesopfer seien erfroren, andere seien bei wetterbedingten Unfällen gestorben, hieß es. Viele Fälle würden noch untersucht, um die genaue Todesursache zu klären. Die Behörden gingen aber in davon aus, dass das Wetter eine Rolle gespielt habe.

Hoffen auf Plusgrade

In der stark von der Kältewelle betroffenen Millionenmetropole Chicago ließ der Frost etwas nach, auch wenn Freitag und Samstag noch immer sehr kalt bleiben sollen. Dann hoffen die Einwohnerinnen und Einwohner auf Plusgrade. In Chicago alleine wurden über 60 Wärmestuben für Wohnungslose eingerichtet. Auch alle Polizeidienststellen dienen als Möglichkeit für Menschen, sich aufzuwärmen.

Schwarze Schienen

Gasflammen sichern angesichts der Kälte den Betrieb des Bahnverkehrs in Chicago. Die Weichen sind nachher pechschwarz. (Videoquelle: CNN)

Kein Bier und keine Post

Die Kältewelle führte zum Teil zu skurrilen Begebenheiten. In vielen Orten wurden die Lieferketten unterbrochen. Gastwirte wurden nicht mehr mit Bier beliefert, aus Angst, der Gerstensaft könnte einfrieren. In den Rocky Mountains fielen am Donnerstag stellenweise noch einmal bis zu 50 Zentimeter Schnee.

Die Kälte führte vereinzelt zu Stromausfällen. In vielen Bundesstaaten blieben Schulen und manche Universitäten geschlossen. Die Flughäfen kamen teils mit dem Enteisen der Maschinen nicht nach. Laut der Website Flightaware wurden bis Donnerstagvormittag rund 2.000 Flüge gestrichen und rund 900 verspäteten sich, US-Medien berichteten von bis zu 4.800 gestrichenen Flügen.

Angesichts des brutalen Frosts müssen selbst die wettergeprüften Zusteller des US-Postdienstes vielerorts kapitulieren. Der USPS teilte mit, der Dienst werde in Iowa, Minnesota sowie in Teilen von Wisconsin und Illinois eingestellt.

Beheizte Gleise
AP/Kiichiro Sato
Auch in Europa wurden Weichen früher bei großer Kälte mit Gas oder Kerosin beheizt

Polarwirbel als Auslöser

Verantwortlich für die „arktische Kälte“ ist der Polarwirbel. Diese Luftströmung ist nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes (DWD) eigentlich gar nicht ungewöhnlich. Denn der Wirbel entsteht regelmäßig am Pol, wenn im Winter keine Sonne durch die arktische Dauernacht dringt, die die angesammelte Kaltluft wärmen könnte. Das dabei entstehende Höhentief kann auf der Nordhalbkugel kräftige westliche Winde erzeugen.

Doch während der Polarwirbel normalerweise stabil mit seinem Zentrum über der Arktis bleibt, hat er sich nun ungewöhnlich weit nach Süden ausgebreitet. Dazu tragen nach Angaben von DWD-Sprecher Gerhard Lux auch die besonderen geografischen Gegebenheiten Nordamerikas bei: Die von Norden nach Süden verlaufenden Rocky Mountains bilden immer wieder eine Art Leitplanke.

In nächsten Jahren öfter möglich

Klimaforscher rechnen in den kommenden Jahren mit häufigeren Kälteeinbrüchen als Folge der Schwäche des Polarwirbels. „Von Zeit zu Zeit kann die arktische Luft, die normalerweise wie eingezäunt auf dem Pol festsitzt, dort ausbrechen und auf die angrenzenden Kontinente wandern“, sagte der Leiter des Bereichs Erdsystemanalyse beim Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Stefan Rahmstorf, der dpa. Das passiere vor allem, wenn der Polarwirbel schwach sei, zusammenbreche, sich umdrehe oder – wie jetzt – in zwei Teile zerbreche.

Chicago
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Der tiefwinterliche Lake Michigan vor dem Hintergrund der Skyline von Chicago

Folge des Treibhausgasausstoßes

„Mehrere Studien gehen davon aus, dass das mit der schwindenden Meereisdecke auf dem arktischen Ozean zu tun hat, insbesondere auf der Barents-Kara-See“, sagte Rahmstorf. „Die schrumpfende Meereisdecke ist eine Folge der globalen Erwärmung und unserem Treibhausgasausstoß. Die Tatsache, dass der Polarwirbel häufiger und länger instabil wird, ist daher wahrscheinlich auch eine Folge der globalen Erwärmung.“

Europa und Asien sind nach Angaben des Wissenschaftlers noch stärker und häufiger von Kaltluftausbrüchen aus der Arktis betroffen. „Hier sieht man sogar seit der Jahrtausendwende eine Serie besonders kalter Winter – allerdings nicht bei uns in Deutschland, aber weiter östlich mit Zentrum Sibirien“, sagte Rahmstorf. „Es ist ein Phänomen, das wahrscheinlich durch die globale Erwärmung häufiger auftritt.“