Bryant Park, New York
AP/Frank Franklin II
Eisiger Polarwirbel

Nun muss US-Ostküste zittern

Nach dem Mittleren Westen muss sich nun auch die Ostküste der USA auf eine extreme Kältewelle aus der Arktis vorbereiten. Der Nationale Wetterdienst (NWS) warnte für Freitag vor gefährlichem Winterwetter in der Metropole Boston im Ostküstenstaat Massachusetts. Auch für den Norden des Staates Rhode Island wurde eine Warnung herausgegeben.

In den Bundesstaaten des Mittleren Westens sollten die Temperaturen indes laut NWS im Laufe des Freitags wieder steigen und könnten am Samstag knapp 15 Grad plus erreichen. Zunächst seien in einigen Regionen wegen heftiger Winde aber noch gefühlte Temperaturen von minus 29 bis minus 49 Grad zu erwarten, warnten die Meteorologinnen und Meteorologen.

Für eine Entwarnung sei es aber noch zu früh, urteilte auch die Gouverneurin von Michigan, Gretchen Whitmer. „Wir sind noch nicht fertig damit“, betonte sie und fügte hinzu, die lebensbedrohlichen Temperaturen blieben der Region noch weitere 24 Stunden erhalten. Die extreme Kältewelle hatte im Mittleren Westen seit Mittwoch zu Minusrekorden geführt. Ursache war arktische Luft, die sich von dem normalerweise um den Nordpol kreisenden Polarwirbel gelöst hatte.

Mindestens 21 Menschen gestorben

Landesweit seien bisher mindestens 21 Menschen der Kälte zum Opfer gefallen, berichtete die „New York Times“ („NYT“). Behörden machten dem Bericht zufolge die extremen Temperaturen unter anderem für den Tod eines 18-jährigen Studenten in Iowa verantwortlich. Er war bewusstlos auf einem Campusgelände gefunden worden und später im Krankenhaus gestorben. Einige der Todesopfer seien erfroren, andere seien bei wetterbedingten Unfällen gestorben, hieß es. Viele Fälle würden noch untersucht, um die genaue Todesursache zu klären.

Menschen am gefrorenen Lake Michigan
APA/AFP/Joshua Lott
Der teils gefrorene Michigan-See in Chicago gleicht zur Zeit eher einer Szene vom Nordpol

Chicago musste Weichen „anzünden“

Das öffentliche Leben war am Donnerstag im Mittleren Westen weitgehend lahmgelegt, langsam entschärft sich die Lage am Freitag. Zuvor kam es zu massiven Störungen des Zug- und Flugverkehrs sowie der Strom- und Wasserversorgung. Das Bahnunternehmen Amtrak leitete aber in Chicago langsam wieder den Betrieb ein, nachdem es seinen Verkehr am Mittwoch in der Stadt komplett eingestellt hatte. In Chicago wurden zum Teil die Weichen „angezündet“, um ihr weiteres Funktionieren zu sichern. Während in Europa Weichen längst überwiegend elektrisch beheizt werden, geschieht das in Teilen der USA per Gasheizung.

Beheizte Gleise in Chicago
AP/Kiichiro Sato
Viele Weichen in Chicago mussten mit Gasflammen beheizt werden

Bewohnerinnen und Bewohner Chicagos berichteten unterdessen von Frostbeben mit lauten Knallgeräuschen. Nach Angaben des Lokalsenders WGN kommen die Geräusche zustande, wenn gefrorene Feuchtigkeit den Boden unter den Füßen aufsprengt. In Michigan und Minnesota drohten wegen der auf Hochtouren laufenden Heizungen Engpässe in der Versorgung mit Erdgas. Die Lage wurde durch einen Brand in einer Gasanlage in Michigan noch verschärft. Die örtlichen Behörden forderten die Verbraucherinnen und Verbraucher auf, ihre Heizregler herunterzudrehen.

Kein Bier und keine Post

In vielen Orten wurden zudem die Lieferketten unterbrochen. Gastwirte wurden nicht mehr mit Bier beliefert, aus Angst, es könnte einfrieren. Die Kälte führte vereinzelt zu Stromausfällen. In vielen Bundesstaaten blieben Schulen und manche Universitäten geschlossen. Die Flughäfen kamen teils mit dem Enteisen der Maschinen nicht nach.

Pittsburgh
AP/Gene J. Puskar
Die Sonne ging in Pittsburgh am Freitag bei minus zwölf Grad auf

Angesichts des brutalen Frosts müssen selbst die wettergeprüften Zusteller des US-Postdienstes vielerorts kapitulieren. Der USPS teilte mit, der Dienst werde in Iowa, Minnesota sowie in Teilen von Wisconsin und Illinois eingestellt. Auch in Kanada warnten die Behörden vor der klirrenden Kälte. In Winnipeg im Zentrum des Landes sei es kälter als in Sibirien, berichtete der Fernsehsender CTV. Dennoch blieb das öffentliche Leben davon weitgehend unberührt.

Extreme Kälte in Zukunft häufiger

Forscher aus Deutschland rechnen damit, dass es in Zukunft häufiger extreme Kältephasen geben könnte. Das liegt daran, dass der Polarwirbel schwächer wird.

Polarwirbel bleibt normalerweise über Arktis

Der Polarwirbel ist nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes (DWD) eigentlich gar nicht ungewöhnlich. Denn der Wirbel entsteht regelmäßig am Pol, wenn im Winter keine Sonne durch die arktische Dauernacht dringt, die die angesammelte Kaltluft wärmen könnte. Das dabei entstehende Höhentief kann auf der Nordhalbkugel kräftige westliche Winde erzeugen.

Schnee in Buffalo
Reuters/Lindsay DeDario
In Buffalo im Bundesstaat New York werden am Freitag minus 17 Grad erwartet

Doch während der Polarwirbel normalerweise stabil mit seinem Zentrum über der Arktis bleibt, hat er sich nun ungewöhnlich weit nach Süden ausgebreitet. Dazu tragen nach Angaben von DWD-Sprecher Gerhard Lux auch die besonderen geografischen Gegebenheiten Nordamerikas bei: Die von Norden nach Süden verlaufenden Rocky Mountains bilden immer wieder eine Art Leitplanke.

Folge des Treibhausgasausstoßes

Klimaforscherinnen und -forscher rechnen in den kommenden Jahren mit häufigeren Kälteeinbrüchen als Folge der Schwäche des Polarwirbels. „Von Zeit zu Zeit kann die arktische Luft, die normalerweise wie eingezäunt auf dem Pol festsitzt, dort ausbrechen und auf die angrenzenden Kontinente wandern“, sagte der Leiter des Bereichs Erdsystemanalyse beim Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Stefan Rahmstorf, der dpa. Das passiere vor allem, wenn der Polarwirbel schwach sei, zusammenbreche, sich umdrehe oder – wie jetzt – in zwei Teile zerbreche.

„Mehrere Studien gehen davon aus, dass das mit der schwindenden Meereisdecke auf dem arktischen Ozean zu tun hat, insbesondere auf der Barents-Kara-See“, sagte Rahmstorf. „Die schrumpfende Meereisdecke ist eine Folge der globalen Erwärmung und unserem Treibhausgasausstoß. Die Tatsache, dass der Polarwirbel häufiger und länger instabil wird, ist daher wahrscheinlich auch eine Folge der globalen Erwärmung.“

Europa und Asien sind nach Angaben des Wissenschaftlers noch stärker und häufiger von Kaltluftausbrüchen aus der Arktis betroffen. „Hier sieht man sogar seit der Jahrtausendwende eine Serie besonders kalter Winter – allerdings nicht bei uns in Deutschland, aber weiter östlich mit Zentrum Sibirien“, sagte Rahmstorf. „Es ist ein Phänomen, das wahrscheinlich durch die globale Erwärmung häufiger auftritt.“