Minister und Teilnehmer im Rahmen eines Treffen der Eurogruppe
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Mächtig, aber mysteriös

Kritik an „geisterhafter“ Euro-Gruppe

Sie hat sich während der Euro-Krise zu einem der einflussreichsten Gremien der EU gemausert und sitzt in Sachen Wirtschaftspolitik bis heute an den Schalthebeln: die Euro-Gruppe. Doch so mächtig sie ist, so mysteriös ist sie auch. Dass ihre Entscheidungen weitgehend hinter geschlossenen Türen getroffen werden, kritisiert nun Transparency International. Dort ortet man Geheimniskrämerei und mangelnde demokratische Kontrolle.

Die Euro-Gruppe könne einem „fast geisterhaft“ erscheinen, schreibt die NGO Transparency in dem am Dienstag präsentierten Bericht. „Sie ist nicht in den EU-Verträgen verankert, ihre Mitglieder behaupten manchmal, keine Entscheidungen zu treffen, sie hat kein Personal und kein Hauptquartier“ – und keinen Twitter-Account. Nicht einmal Beschlüsse darf das informelle Gremium offiziell treffen.

Und doch handle es sich bei der „mysteriösen“ Euro-Gruppe um eine „De-facto-Wirtschaftsregierung“, deren Entscheidungen Auswirkungen auf das Leben von Millionen Europäerinnen und Europäern haben – bis heute, wie der jüngste Budgetstreit zwischen der EU und Italien zeigt. Transparency kritisiert nun, dass die Arbeitsweise des Gremiums und ihre Rolle im EU-Gefüge undurchsichtig sei. Durch diese Unklarheit sei die Euro-Gruppe niemandem Rechenschaft schuldig, was wiederum Fragen ihrer Legitimität aufwerfe.

Vom „Kamintreffen“ zum Krisengremium

Tatsächlich ist die Struktur der seit 20 Jahren existierenden Euro-Gruppe ungewöhnlich. Ursprünglich wurde die aus den Finanzministern der Euro-Staaten bestehende Versammlung für informelle „Kamingespräche“ ins Leben gerufen. Doch während der Euro-Krise rund um 2010 wurden die Karten neu gemischt: Ihre Entscheidungen zu milliardenschweren und an Auflagen reichen Kreditprogrammen für Spanien, Portugal, Zypern, Irland und Griechenland prägten die Staaten enorm, die Euro-Gruppe gewann gleichzeitig stark an Einfluss.

Wolfgang Schäuble und Yanis Varoufakis
AP/Michael Sohn
Deutschlands ehemaliger Finanzminister Wolfgang Schäuble und sein griechischer Kollege Yannis Varoufakis während der Krise. Letzterer gilt bis heute als Kritiker der Euro-Gruppe.

Die informelle Natur des Gremiums brachte „im Eifer des Gefechts“ der Krise einige Vorteile: So konnten Entscheidungen unbeeinflusst von Märkten und nahenden Wahlen durchgebracht werden. Die Verschwiegenheit der Gruppe sei ein „Feature, kein Bug“, so der Bericht von Transparency. Doch die Euro-Gruppe befinde sich heutzutage nicht mehr im Krisenbewältigungsmodus – und bleibe trotzdem weiter unter dem Radar, so die Kritik.

Ein Einwand, den der Sprecher des aktuellen Euro-Gruppen-Chefs Mario Centeno nicht gelten lassen will: Die Euro-Gruppe habe sich vor allem seit 2016 stark geöffnet, pflege den Dialog mit Fachleuten und wolle sich auch in Zukunft mehr Transparenz verschreiben. Den Vorwurf, dass die Euro-Gruppe ein großer, geheimer „Kontrollraum“ sei, wies er zurück. Bei dem Gremium handle es sich um ein Diskussionsforum.

Dominante große Staaten

Abseits der mangelnden Kontrolle kritisiert Transparency auch ein Ungleichgewicht im Machtgefüge. Bemängelt wird die Dominanz großer Staaten wie Deutschland und Frankreich. Laut dem Bericht könnten diese durch ihr politisches Gewicht mögliche Strafen wegen Defizitüberschreitungen wesentlich leichter abwehren als kleine Staaten. „In der Euro-Gruppe hat man einen sehr informellen Körper, wo man hinter verschlossenen Türen alles absprechen kann, und das führt dazu, dass die mächtigsten Mitgliedstaaten viel Druck ausüben“, so Leo Hoffmann-Axthelm von Transparency gegenüber dem ORF.

Wie stark das politische Element im Verhandlungsprozess – auch im Zusammenhang mit anderen EU-Institutionen – sei, zeige sich auch am jüngsten Beispiel Italien. Der Streit zwischen Rom und Brüssel über eine Budgetüberschreitung des verschuldeten Landes konnte ja mit nur geringfügigen Änderungen an Roms Finanzplänen beigelegt werden – das vor dem Hintergrund, dass auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron unter dem Druck der „Gelbwesten“-Proteste erhebliche Budgetüberschreitungen ankündigen musste.

Vollzeitchef gefordert

Seit der Euro-Krise fand eine „schleichende Institutionalisierung und eine Ausweitung der Aktivitäten statt“, so Studienkoautorin Marina Hübner vom Max-Plank-Institut. Diesen gelte es nun, Rechnung zu tragen – abgestimmt auf die Erfordernisse der Wirtschaftspolitik. „Wir sind zum Glück nicht die Transparency-Taliban“, so Hoffmann-Axthelm. „Wir fragen nicht danach, dass alles sofort live gestreamt wird. Wir verstehen, dass technische und finanzmarktaffine Fragen hinter verschlossenen Türen diskutiert werden müssen.“

Es gebe aber durchaus Maßnahmen, um Transparenz und Strukturen zu verbessern. So fordert die NGO etwa, dass die Euro-Gruppe in Zukunft einen fixen Vollzeitvorsitzenden haben soll. Derzeit muss einer der nationalen Finanzminister beide Jobs – jenen im Inland und jenen in der Euro-Gruppe – unter einen Hut bekommen.

Portugals Finanzminister Mario Centeno
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Der aktuelle Euro-Gruppen Chef Centeno – auch Finanzminister Portugals

Zudem schlägt die Organisation vor, das Europaparlament zu stärken. Es sollte etwa bei der Überwachung von nationalen Haushaltsplänen Mitbestimmungsrecht bekommen. Der Euro-Gruppen-Chef müsse zudem verpflichtet werden, vor dem Parlament regelmäßig Stellung zu nehmen. Eine noch tiefer greifende Legitimierung wäre laut dem Bericht zwar wünschenswert – dem steht aber im Weg, dass es ein Verfahren zur Veränderung der EU-Verträge geben müsste. Reformbewegung brauche es trotzdem, so Studienkoautor Benjamin Braun. Nichts zu tun sei „keine Option“.