Autobahn in Deutschland
Reuters/Michaela Rehle
„Sprengkraft“

Pkw-Maut für Juristen noch „völlig offen“

Österreich soll nach Ansicht des Generalanwalts des Europäischen Gerichtshofs mit seiner Klage gegen die geplante deutsche Pkw-Maut abblitzen. Doch die Rufe von Europarechtlern gegen dessen Empfehlung werden laut: Sie sehen unisono in solcher Judikatur Auswirkungen auf den Gleichheitsgrundsatz der gesamten EU und ein Musterbeispiel für Diskriminierung.

Der Streit zwischen Österreich und Deutschland betrifft nicht nur die geplante Maut, sondern einen Grundsatz der Europäischen Union: ein Verbot von Diskriminierung von Unionsbürgerinnen und -bürgern. Ob die Pkw-Maut das Verbot einhält, darüber herrscht bei den Juristen keine Einigkeit.

Diese Infrastrukturabgabe soll ab Herbst 2020 gelten und deutsche Fahrerinnen und Fahrer über die Kfz-Steuer voll entlasten. De facto zahlen Deutsche also nichts für die Maut, alle anderen aber schon. Die österreichische Regierung sieht das als Diskriminierung an und klagte 2017 beim Europäischen Gerichtshof (EuGH). Am Mittwoch empfahl dann Generalanwalt Nils Wahl dem Gericht, diese Klage abzuweisen – in den meisten Fällen folgt das Gericht der Empfehlung.

„Aushöhlung des Gleichbehandlungsanspruchs“

Doch die Gegenstimmen häufen sich: Heimische Europarechtsexperten kritisieren den Generalanwalt scharf für seine Einschätzung. Stefan Griller von der Universität Salzburg sagte am Donnerstag zu Ö1, dass ein Urteil, das der Empfehlung des Generalanwalts folge, Konsequenzen weit über die Maut haben würde: „Da kommt sehr, sehr vieles ins Wanken und ins Rutschen, was die bisherige Gleichheitsjudikatur betrifft“, so Griller. „Das wäre eine ganz klare weitreichende Aushöhlung des Gleichbehandlungsanspruchs aus der Unionsbürgerschaft“.

Auch Franz Leidenmühler vom Institut für Europarecht der Universität Linz sieht die Maut als Schulbeispiel für Diskriminierungsfragen. „Wenn der EuGH das akzeptieren würde, dann rüttelt er am Diskriminierungsverbot, dann ist jeder Diskriminierung Tür und Tor geöffnet. Und das Diskriminierungsverbot ist so etwas wie ein roter Faden, der sich durch die gesamte Unionsrechtsordnung zieht, das wäre dramatisch.“

So könne jeder Mitgliedsstaat durch Besserstellung eigener Steuerpflichtigen andere Unionsbürger diskriminieren, so Leidenmühler zu Ö1. „Das wäre ein Auseinanderbrechen des Binnenmarktgedankens, ein Zerfall der Unionsrechtsordnung, so wie wir sie derzeit kennen“ – mehr dazu in oe1.ORF.at.

Starke Auswirkungen befürchtet

Die Juristen folgen damit der Einschätzung von Walter Obwexer, der bereits am Mittwoch die Einschätzung, die Maut stelle keine Diskriminierung dar, scharf zurückgewiesen hatte. Ein solches EuGH-Urteil hätte „weit höhere Sprengkraft für den Zusammenhalt der EU als der Brexit“, so Obwexer am Mittwoch in der ZIB2.

Europarechtler Obwexer in der ZIB2

Der Europarechtsexperte zeigte sich am Mittwoch im Interview erstaunt über die Argumentation des Generalanwalts.

Er sei sich „relativ sicher, dass die allermeisten Mitgliedsstaaten sehr erfinderisch werden, wie sie denn eine derartige Regelung einführen können und immer nur die Ausländer zur Kasse bitten dürfen. Und dass das in einer solidarischen und auf konstruktive Zusammenarbeit ausgerichteten Europäischen Union mehr als kontraproduktiv ist, glaube ich, liegt auf der Hand“, so der Jurist.

Das sei „eine Änderung der Rechtssprechung“, wenn man davon ausgehe, dass „in Deutschland Steuerpflichtige nicht mit in Österreich Steuerpflichtigen verglichen werden dürfen“. Obwexer hatte bereits im März 2017 ein Gutachten für die damalige SPÖ/ÖVP-Regierung, welche die Klage ursprünglich eingereicht hat, zur Vereinbarkeit der deutschen Maut mit dem Unionsrecht geschrieben.

Kompensation für Autobahnkosten

EuGH-Generalanwalt Wahl hatte in seiner Empfehlung betont, dass Österreichs Ansinnen auf einem grundlegenden Missverständnis des Begriffs Diskriminierung beruhe. Der Umstand, dass Haltern von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen eine Steuerentlastung bei der deutschen Kfz-Steuer zugutekomme, stelle „keine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit dar“.

Zudem ist der Generalanwalt der Ansicht, dass die deutschen Behörden „völlig zu Recht die Ansicht vertreten (hätten), dass erstens die Kosten des Autobahnnetzes, die bisher hauptsächlich von den Steuerzahlern getragen würden, gleichmäßig auf alle Nutzer, einschließlich der Fahrer ausländischer Fahrzeuge, aufgeteilt werden müssten“. Zudem würden die Halter inländischer Fahrzeuge einer „unverhältnismäßig hohen Besteuerung unterworfen, wenn sie sowohl der Infrastrukturabgabe als auch der Kfz-Steuer unterlägen“.

Ein Urteil des EuGH wird es frühestens in Wochen geben, es könnte auch sechs Monate dauern. Die Einschätzung des Gutachters ist für die obersten EU-Richter nicht bindend, in vier von fünf Fällen folgen sie ihr aber. In diesem Fall könnte bzw. sollte das Gericht aber einen anderen Weg gehen, so die Juristen. „Da vertraue ich doch auf die Weitsicht des Gerichtshofs, nicht nur in dem Einzelfall jetzt eine Büchse der Pandora aufzumachen. Ist die einmal offen, bin ich überzeugt, dass der Schaden schon eingetreten ist“, so Obwexer am Donnerstag zu Ö1.

Urteil kann abweichen

Thomas Ratka, Europarechtsexperte der Donau-Universität Krems, räumte ein, dass der EuGH in 80 bis 95 Prozent der Fälle der Empfehlung des Generalanwalts folgt. „Das heißt aber auch, dass es in 20 Prozent der Fälle nicht so ist und es kann durchaus sein, dass der EuGH hier noch einmal eine Wende schlägt.“ Stefan Griller wies darauf hin, dass das Gericht in Fällen eines Abweichens von der bisherigen Judikatur der Empfehlung seltener Gehör schenkt. „Deshalb halte ich es auch nach diesem Schlussantrag des Generalanwaltes für völlig offen, ob der Gerichtshof dem wirklich folgen wird oder nicht.“

Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ) kündigte jedenfalls schon am Mittwoch an, die Anwendung des deutschen Pkw-Mautmodells auch für Österreich zu prüfen, sollte die Klage tatsächlich scheitern. Bei dem Verfahren wird Österreich von den Niederlanden unterstützt, Deutschland von Dänemark.