Italiens Premierminister Giuseppe Conte
Reuters/Vincent Kessler
Nach Rede vor EU-Parlament

Scharfe Kritik an Italiens Regierungschef

Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte ist am Dienstag nach seiner Rede zur Zukunft Europas vor dem EU-Parlament scharf kritisiert worden. Vor allem für die Budgetsituation in Italien und das angespannte Verhältnis mit Frankreich musste Conte Kritik einstecken. In seiner Rede forderte er unterdessen „Visionen“ für die EU.

Ohne konkret zu werden, trat Conte bei seiner Rede zur Zukunft Europas im EU-Parlament in Straßburg am Dienstag für Solidarität ein und dafür, dass es keine Alleingänge von Staaten geben könne – allen voran beim Thema Migration. Er vermisse die „Triebkraft“ für das europäische Projekt, so Conte weiter. Die Einzelstaaten könnten nicht im Alleingang auf komplexe globale Herausforderungen reagieren. Notwendig seien Glaubwürdigkeit und Zusammenhalt und „ein bisschen Kreativität“.

Europa sei eine Schicksalsgemeinschaft, doch obwohl es große Fortschritte gegeben habe, hätten sich auch tiefe Spaltungen beschleunigt. Das habe den Populismus geprägt. Conte selbst ist Chef der populistischen Regierung zwischen rechter Lega und europakritischer Fünf-Sterne-Bewegung.

Breite Kritik an italienischer Regierung

Seiner Rede folgte eine lange Debatte, in der Conte und dessen Regierung scharf kritisiert wurden. So sah man etwa die Schuld für die Verschlechterung der Wirtschaftslage in dem Land bei der Koalition: „Das ist Ihre Verantwortung“, kritisierte der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber.

Italiens Premierminister Giuseppe Conte
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Conte sprach sich im EU-Parlament gegen Alleingänge von Staaten aus

Mehrere Redner kritisierten auch, dass sich die italienische Regierung vergangene Woche im Rat der EU-Staaten gegen eine Anerkennung des selbst ernannten venezolanischen Übergangspräsidenten Juan Guaido gestellt hatte. Italien habe damit ein geschlossenes Vorgehen der EU gegen Venezuelas umstrittenen Staatschef Nicolas Maduro verhindert, sagte der Chef der liberalen Fraktion, Guy Verhofstadt. „Und das geschah auf Druck des Kreml.“

Treffen mit „Gelbwesten“ als „lächerliches Verhalten“

Kritik gab es auch an einem Treffen des italienischen Vizeregierungschefs Luigi Di Maio mit Aktivisten der „Gelbwesten“, die seit Wochen gegen die Politik der französischen Regierung protestieren. Damit unterstütze Italien eine Bewegung, der Randalierer angehörten sowie Befürworter eines Militärputschs gegen den französischen Staatschef Emmanuel Macron, sagte Verhofstadt, dessen Liberale gemeinsam mit der Bewegung Macrons in die EU-Wahl ziehen. „Das ist ein lächerliches Verhalten.“ Paris hatte vergangene Woche aus Protest gegen die Unterstützung der „Gelbwesten“ seinen Botschafter aus Rom bis auf Weiteres abgezogen.

Konflikte als Ablenkung

Die Regierung in Rom schüre bewusst Konflikte und mache Europa zum Sündenbock – nur um von der eigenen verfehlten Wirtschaftspolitik abzulenken, so der Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion, Udo Bullmann. Wie wenig konstruktiv Italien sich verhalte, zeige der Umgang mit Flüchtlingen. So seien 47 Migranten 13 Tage auf dem Rettungsschiff „Sea-Watch 3“ festgehalten worden – als „Gefangene einer Ideologie, als Spielball einer zynischen Politik“.

Conte wies die Kritik zurück. Angesichts des starken Flüchtlingsandrangs sei Italien überfordert gewesen, sagte er. Daher habe seine Regierung einen „strikteren Kurs“ eingeschlagen. Das sei die einzige Möglichkeit, um gegen den Menschenhandel durch Schlepper vorzugehen. Zugleich warf er der EU „Heuchelei“ im Umgang mit der Flüchtlingskrise vor und kritisierte die mangelnde Solidarität der anderen EU-Staaten. „Ein Staat, welcher sich in der Lage Italiens befindet, ist irgendwann einmal voll. Dann funktionieren die Integrationsmechanismen nicht mehr.“

Europa soll „mit gemeinsamer Stimme sprechen“

In seiner Rede kritisierte Conte fehlende Bürgernähe der EU. In den letzten 30 Jahren sei es nicht gelungen, Visionen zu entwickeln, vielmehr gebe es Verwaltung und Bürokratie, sagte Conte. Mit Beginn der Finanzkrise sei in der EU der Kontakt zum Volk verlorengegangen. Es sei auch zu wenig, nur eine Festung Europa zu verteidigen. Wesentlich sei eine Triebkraft, die Innovationskraft auslösen könne. Wesentlich sei, dass „Europa mit einer gemeinsamen Stimme sprechen sollte“. Nur dann könne sich die EU an die Welt richten und ambitioniert sein.

Angesichts der jüngsten Migrationskrise sagte Conte, man dürfe die Migrationspolitik nicht weiter als Notlösung behandeln. Notwendig sei ein strukturierter Ansatz für stabile und effiziente Lösungen. Dabei seien die richtigen Prioritäten zu setzen. Italien wolle seinen konsequenten Beitrag zur Lösung und Stabilisierung leisten. Deshalb müsse Europa auch in die Zusammenarbeit mit Afrika investieren.

Dabei dankte Conte dem EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker für sein Engagement. Allerdings „lenken sich die Migrationsströme nicht von allein“. Hier dürfe die EU nicht weiterhin gespalten sein. „Es hat bisher wahllose Aufnahmen gegeben, aber keine Integration. Das Problem wird mit Heuchelei angegangen“, so Conte.

Forderung nach mehr Befugnissen für EU-Parlament

Für das Europäische Parlament forderte Conte mehr Befugnisse. Dieses sei die vom Volk legitimierte Institution auf EU-Ebene. Das Parlament solle selbst Gesetze einbringen können und mehr Untersuchungsrechte bekommen. Konkret forderte der parteilose Regierungschef eine Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion mit einer „Aufteilung der Risiken“, einer stärkeren wirtschaftlichen Angleichung und gemeinsamen Finanzierungsinstrumenten. „Wachstum darf nicht im Namen der Sparpolitik aufgegeben werden“, sagte er.

Brexit als Positivbeispiel für Solidarität in EU-27

Conte trat für ein Europa ein, das „in die Zukunft blickt“. Dabei betonte er die Bedeutung einer europäischen Arbeitslosenversicherung. Das sei „das Beste, um gegen nationalistisches Abgleiten vorzugehen“. Europa müsse bürgernäher werden, forderte Conte mehrmals. Gegenwärtig gebe es aber Misstrauen und Ernüchterung der Bürgerinnen und Bürger gegenüber der EU. Als positives Beispiel der Geschlossenheit der EU nannte der Premier das Vorgehen beim Brexit. Hier sei die EU solidarisch aufgetreten. Es gehe darum, „uns vor den negativen Folgen des Brexit zu schützen“.

Der Vizepräsident der EU-Kommission, Jyrki Katainen, würdigte Italien im Anschluss an Contes Rede, im Gegensatz zu vielen anderen im Parlament, als Herzstück Europas. Katainen vertrat EU-Kommissionspräsidenten Juncker. Die jüngsten Auseinandersetzungen Italiens mit Frankreich erwähnte Katainen nicht.

Macron telefonierte mit Mattarella

Frankreichs Präsident Macron sprach unterdessen mit Italiens Präsident Sergio Mattarella, um über die Krise zwischen den beiden Staaten zu reden. Das teilte der Elysee-Palast am späten Dienstagabend mit.

Die beiden Präsidenten schlugen laut Mitteilung versöhnliche Töne an. Sie hätten die Wichtigkeit der französisch-italienischen Beziehung bekräftigt, so das Präsidialamt. „Sie haben daran erinnert, dass Frankreich und Italien, die zusammen Europa aufgebaut haben, eine besondere Verantwortung haben, um bei der Verteidigung und der Wiederbelebung der Europäischen Union gemeinsam zu arbeiten.“