NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg
APA/AFP/Francois Walschaerts
Warnung vor Wettrüsten

NATO wappnet sich gegen Russland

Die NATO-Staaten bereiten sich auf eine Welt ohne den INF-Vertrag zum Verzicht auf landgestützte atomare Mittelstreckenraketen vor. Man werde zwar noch bis August alles versuchen, um das Abkommen zu retten, sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Mittwoch zu Beginn eines zweitägigen Verteidigungsministertreffens in Brüssel.

Gleichzeitig werde sich das Bündnis allerdings schon auf eine Zukunft ohne den INF-Vertrag und mit mehr russischen Raketen vorbereiten, so Stoltenberg. Die Bedrohung Europas durch russische Mittelstreckenraketen werde nach Einschätzung der NATO zunehmen, so Stoltenberg bereits am Dienstag. Moskau habe mittlerweile mehrere Bataillone mit den Marschflugkörpern vom Typ SSC-8 (russischer Code: 9M729) ausgestattet und baue weitere SSC-8, so der NATO-Generalsekretär weiter.

„Die Verbündeten werden gemeinsam handeln“, sagte er am Mittwoch weiter. Als eine mögliche NATO-Reaktion auf wachsende Bedrohungen aus Russland nannte Stoltenberg die Stationierung neuer konventioneller Waffensysteme in Europa. Man habe derzeit nicht die Absicht, atomare landgestützte Mittelstreckenraketen zu stationieren, sagte er weiter. Zu seegestützten oder luftgestützten Waffensystemen äußerte er sich allerdings nicht.

Komponenten einer russischen SSC-8-Rakete
Reuters/Maxim Shemetov
Teile des russischen Marschflugkörpers SSC-8/9M729

Treffen mit Lawrow als erster Anlauf

Um alle Möglichkeiten zu nutzen, den INF-Vertrag bis zum Ablauf der sechsmonatigen Kündigungsfrist doch noch zu retten, soll in den nächsten Wochen und Monaten weiter das Gespräch mit Russland gesucht werden. Stoltenberg will sich so bei der am Freitag beginnenden Münchner Sicherheitskonferenz mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow treffen.

Nach der Kündigung des INF-Abrüstungsvertrags sind auch nach den Angaben der stellvertretenden NATO-Generalsekretärin Rose Gottemoeller keine neuen Atomwaffen in Europa geplant. „Wir werden jetzt diskutieren müssen, wie sich die NATO auf die neuen russischen Raketen einstellt“, sagte die US-Diplomatin vor einem NATO-Treffen. „Dabei haben wir nicht die Absicht, neue landgestützte nukleare Waffensysteme in Europa zu stationieren“, so Gottemoeller zur „Süddeutschen Zeitung“ (Mittwoch-Ausgabe).

Unterdessen warnte US-Außenminister Mike Pompeo, der bereits am Dienstag in Polen eingetroffen war, beim Besuch eines NATO-Bataillons in Bemowo Piskie vor einer erneuten möglichen russischen Aggression. Russland habe große Pläne, seine Dominanz in Europa und auf der Weltbühne zu vergrößern, sagte er nach Angaben der Agentur PAP. Die USA und westliche Demokratien müssten alles in ihrer Macht stehende tun, um Angriffe wie den Einmarsch in der Ukraine zu stoppen.

Die Begründung für die INF-Kündigung

Wegen der russischen SSC-8 hatten die USA Anfang Februar den INF-Vertrag zum Verzicht auf landgestützte atomare Mittelstreckenwaffen mit Reichweiten zwischen 500 und 5.500 Kilometern gekündigt. Washington wirft Moskau gemeinsam mit den NATO-Partnern vor, dass die SSC-8 gegen das Abkommen aus dem Jahr 1987 verstoßen. Die russischen Marschflugkörper sollen mit Atomsprengköpfen ausgestattet werden können und eine Reichweite von deutlich über 2.000 Kilometern haben.

Warnung vor atomarer Bedrohung

Die NATO warnt vor der steigenden atomaren Bedrohung in Europa. Die Verteidigungsminister der NATO-Länder beraten in Brüssel über das Aus für den INF-Abrüstungsvertrag mit Russland.

Russland weist den Vorwurf der Vertragsverletzung zurück und gibt die maximale Reichweite der Flugkörper mit nur 480 Kilometern an. Die Regierung in Moskau hat allerdings bereits angekündigt, sich wie die USA ab sofort nicht mehr an den Vertrag halten zu wollen. Er endet offiziell erst im August nach Ablauf einer sechsmonatigen Kündigungsfrist.

Mahnende Worte von Gorbatschow

Der russische Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow (87) warnte vor einem Aus des INF-Vertrags. Es bestehe die Gefahr eines neuen Wettrüstens, schrieb der Ex-Sowjetpräsident in einem Beitrag der Moskauer Zeitung „Wedomosti“ (Mittwoch-Ausgabe). „Darunter leidet die Sicherheit aller Länder – die der USA eingeschlossen“, mahnte er. „Und alle verstehen, dass eine neue Runde eines Raketenwettlaufs noch gefährlicher werden kann.“ Gorbatschow hatte den Vertrag 1987 mit US-Präsident Ronald Reagan (1911–2004) unterzeichnet.

Pläne für erhöhte Einsatzbereitschaft stocken

Stoltenberg gab am Mittwoch außerdem bekannt, dass die Pläne für eine deutlich erhöhte Einsatzbereitschaft von Truppen wegen bündnisinterner Differenzen langsamer vorankommen als erwartet. Bisher hätten erst einige Mitgliedsstaaten konkrete Beteiligungsangebote gemacht. Im Zuge der Aufrüstung gegen Russland hatten sich die NATO-Staaten im vergangenen Juni grundsätzlich darauf geeinigt, die Reaktionsfähigkeit von Truppen bis 2020 deutlich zu erhöhen.

Polen unterzeichnet Waffendeal mit USA

Polen hat unterdessen am Mittwoch einen Kaufvertrag für die Lieferung von 20 US-Raketenwerfern des Typs HIMARS unterschrieben. Sie werden laut Warschauer Verteidigungsministerium samt Munition bis 2023 sukzessive nach Polen geliefert. Die USA stünden an Polens Seite, versicherte US-Vizepräsident Mike Pence beim Vertragsabschluss in Warschau in Anwesenheit von polnischen und US-Soldaten. Warschau sieht Washington als Sicherheitsgaranten in der Region an.

Der Waffendeal im Wert von 414 Millionen US-Dollar (366,50 Mio. Euro) sei ein wichtiger Schritt zur Modernisierung der polnischen Armee und würde das Land sicherer machen, sagte der polnische Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak.

Seit der Ukraine-Krise sorgen sich das Land und die baltischen Staaten um ihre Sicherheit. Zur Abschreckung Russlands verlegen die USA seit 2014 Einheiten im Rotationsverfahren dorthin. Auch die NATO hat durch die Entsendung von Truppen in die vier Länder ihre Präsenz an der Ostflanke des Militärbündnisses verstärkt.

Trump pocht auf zwei Prozent Verteidigungsausgaben

Als eines von wenigen Mitgliedern der NATO erfüllt Polen das Zweiprozentziel und gibt mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Verteidigung aus. US-Präsident Donald Trump pocht darauf, dass alle NATO-Staaten „mindestens“ zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung ausgeben.

Trump beruft sich auf ein umstrittenes Ziel der Militärallianz. Die Bündnisstaaten hatten 2014 in Wales vereinbart, die Verteidigungsausgaben binnen eines Jahrzehnts „Richtung zwei Prozent“ zu steigern. Länder wie die USA, die bereits über der Schwelle waren, sollten sie bei „mindestens zwei Prozent“ halten.