Regisseur Nadav Lapid
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Berlinale

Goldener Bär für Migrationsdrama

Das Drama „Synonyme“ über einen jungen Israeli hat bei der Berlinale überraschend den Goldenen Bären gewonnen. Der israelische Regisseur Nadav Lapid erzählt darin von der Identitätssuche eines jungen Mannes. Den Gewinner des Hauptpreises gab Jurypräsidentin Juliette Binoche am Samstagabend in Berlin bekannt.

„Synonyme“ handelt vom jungen Yoav (Tom Mercier) aus Tel Aviv, der seine Vergangenheit hinter sich lassen will. Er zieht nach Paris und lernt Französisch, weil er kein Hebräisch mehr sprechen will. Die Geschichte ist angelehnt an Nadav Lapids eigene Biografie.

Lapid wurde 1975 in Tel Aviv geboren, zog nach seinem Militärdienst nach Paris und wieder zurück. „Ich glaube, das sind Fragen, die Menschen überall in der Welt angehen: Wie weit wir uns von unserer Identität lossagen und eine neue entwickeln können“, sagte Lapid über seinen Film. Die französisch-israelisch-deutsche Koproduktion galt unter Kritikern und Kritikerinnen nicht unbedingt als Favorit.

Berlinale-Motto: „Das Private ist politisch“

Der Film fragt, wie wichtig Heimatverbundenheit für einen Menschen ist. Lapid gewann 2011 für sein Spielfilmdebüt „Policemen“ zahlreiche Preise auf internationalen Festivals. In Berlin sagte er, sein Film sei kritisch, spiegle aber auch eine Anhänglichkeit an Israel: „Ich fühle mich Israel verbunden.“ Auch für Yoav ist es nicht so leicht wie gedacht, sich von seiner Heimat zu lösen.

Regisseur Nadav Lapid
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Regisseur Nadav Lapid – der Überraschungssieger der Berlinale

Intendant Dieter Kosslick hatte für die diesjährige Berlinale das Motto „Das Private ist politisch“ ausgegeben. Dem entsprechen am deutlichsten die Auszeichnungen für die beste Schauspielerin und den besten Schauspieler: Die Silbernen Bären gingen an die Chinesen Yong Mei und Wang Jingchun, die Hauptdarsteller von „So Long, My Son“. Sie spielen darin ein Ehepaar, dessen Schicksal über 30 Jahre hinweg begleitet wird. Eindringlich, aber nie sentimental zeigt der Film, wie die Politik das Leben Einzelner beeinflusst, etwa die lange geltende Ein-Kind-Politik in China.

Silberne Bär für deutsche Produktion

Auch deutsche Kandidaten und Kandidatinnen waren bei den 69. Internationalen Filmfestspielen erfolgreich. So ging der Silberne Bär für die beste Regie an Angela Schanelec. Die 57-Jährige erzählt in „Ich war zuhause, aber“ davon, wie eine Mutter mit dem Tod ihres Partners umgeht. Es ist aber auch ein Film über die Kunst an sich.

Angela Schanelec bei der Berlinale
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Angela Schanelec erhielt den Silbernen Bären für die beste Regie

Das Drama „Systemsprenger“ der deutschen Regisseurin Nora Fingscheidt bekam den Alfred-Bauer-Preis. Damit wird ein Spielfilm geehrt, der „neue Perspektiven eröffnet“. Der Film handelt von einem gewalttätigen Mädchen, das von einer Unterbringung in die nächste geschoben wird und das Jugendhilfesystem an seine Grenzen bringt.

Jurypreis für Film über Missbrauch in katholischer Kirche

Den Großen Preis der Jury holte am Samstagabend der französische Regisseur Francois Ozon mit „Gelobt sei Gott“ über Missbrauch in der katholischen Kirche.

„Premiere“ bei Berlinale

Die Berlinale gehört neben Cannes und Venedig zu den wichtigsten Filmfestivals der Welt. Es ist das erste Mal, dass ein Regisseur aus Israel den Goldenen Bären gewinnt. Heuer standen rund 400 Filme standen auf dem Programm.

Der Silberne Bär für das beste Drehbuch geht an ein Team um den Autor und Mafia-Kritiker Roberto Saviano. Der Italiener stellte auf der Berlinale den Film „Piranhas“ vor, der von einer Jugendbande in Neapel erzählt, die in Drogengeschäfte abrutscht. Geehrt wurde auch der Kameramann Rasmus Videbaek für eine „herausragende künstlerische Leistung“ im skandinavischen Film „Pferde stehlen“.

Der Beitrag des Wiener Filmemachers Nikolaus Geyrhalter „Erde“ wurde mit dem Preis der ökumenischen Jury ausgezeichnet. Ebenfalls prämiert wurde der Film „Die Kinder der Toten“, eine Jelinek-Adaption der beiden Nature-Theater-of-Oklahoma-Macher Kelly Copper und Pavol Liska. Er erhielt den FIPRESCI-Preis des Internationalen Verbandes der Filmkritik.

Verdacht der chinesischen Zensur in Berlin

Das Programm der Wettbewerbsfilme hatte heuer bereits einen Tag früher als geplant geendet, weil der chinesische Beitrag „One Second“ des Regisseurs Zhang Yimou offiziell aus technischen Gründen sein Land nicht verlassen konnte. Allerdings wurde vielfach gemutmaßt, dem Beitrag über die Zeit der Kulturrevolution in China könnte aus politischen Gründen die Teilnahme bei der Berlinale verwehrt worden sein.

Auch um „Elisa und Marcela“ der spanischen Regisseurin Isabel Coixet gab es Aufregung, weil der vom Streamingdienst Netflix produzierte Film nicht in den deutschen Kinos gezeigt werden wird. Der Verband der unabhängigen Kinobetreiber hatte protestiert. Der Film basiert auf der wahren Geschichte eines lesbischen Paares, das sich im erzkatholischen Spanien zu Beginn des 19. Jahrhunderts trauen ließ, indem sich eine der beiden Frauen als Mann verkleidete. Der Schwarz-Weiß-Film lässt bedingungslose Liebe und gesellschaftliche Normen der Zeit hart aufeinanderprallen.

Viele Debatten und eine Ablöse

Abseits der Filme diskutierte die Branche über Netflix und das schlechte deutsche Kinojahr 2018. Stars wie Tilda Swinton und Catherine Deneuve kamen, beide quasi Stammgäste in Berlin. Und es herrscht Wehmut wegen des Endes der Ära Kosslick. Denn der Samstag war der letzte Festivaltag für den scheidenden Direktor, der nach 18 Jahren von einer Doppelspitze abgelöst wird. Neuer künstlerischer Leiter wird ab Juni der Italiener Carlo Chatrian (47), Mariette Rissenbeek (62) wird geschäftsführende Leiterin.

Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) würdigte Kosslick als „wahren Filmhelden“. Er habe die Berlinale stets an den Fronten der großen, kontroversen Debatten unserer Zeit positioniert. Unter Kosslick habe sich die Berlinale zum größten Publikumsfestival entwickelt. Auch das Berlinale-Publikum hat den scheidenden Direktor zum Beginn der Abschlussgala mit viel Applaus verabschiedet. Dieser zeigte sich sichtlich gerührt.