US-Präsident Donald Trump
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Abwarten bis Ablehnung

Wenig Gegenliebe für Trumps IS-Pläne in EU

Die EU reagiert verstimmt auf die Forderung von US-Präsident Donald Trump, dass europäische Staaten Hunderte IS-Kämpfer zurücknehmen sollen. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn warnte am Montag gar vor einem „Zerbrechen“ der Beziehungen mit den USA. In Österreich gibt man sich abwartend. Der Umgang mit Rückkehrern stellt viele Staaten jedenfalls vor ein grundlegendes Problem.

In einer Partnerschaft könne es keine „Befehlsgeber und Befehlsempfänger“ geben, sagte Asselborn am Rande des EU-Außenministertreffens in Brüssel. „Sonst zerbricht die Partnerschaft.“ Auch sei es ein Problem, dass Trump über den Kurznachrichtendienst Twitter Forderungen stelle, sagte der derzeit dienstälteste EU-Außenminister. „Twitter hin und her schicken, das hat keinen Sinn.“

Konkret forderte Trump in seiner Nachricht von Staaten wie Deutschland, Frankreich und Großbritannien, mehr als 800 im Norden Syriens gefangene Kämpfer aufzunehmen. Andernfalls müsse man sie freilassen, so Trump. Nach Angaben der von den USA unterstützten und von den Kurden geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) befinden sich „Hunderte“ ausländische Kämpfer der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) sowie deren Frauen und Kinder in kurdischen Gefängnissen und Lagern im Norden Syriens.

EU sieht Wiederaufnahme als nationale Angelegenheit

Im Anschluss an das EU-Außenministertreffen sagte EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini, dass es keine Entscheidung „auf europäischer Ebene“ geben wird. „Es bleibt eine nationale Kompetenz.“ Die EU könne jedoch Hilfe bei Überlegungen „für eine abgestimmte Antwort“ leisten, so Mogherini.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zeigte sich zurückhaltend, was die Rücknahme anbelangt: „Ich sehe das wie Frankreich, Dänemark und die Briten. Nämlich, dass der Schutz unserer eigenen Bevölkerung oberste Priorität hat, insbesondere vor Personen, die sich schwerer Straftaten schuldig gemacht haben“, sagte Kurz der „Kleinen Zeitung“ (Dienstag-Ausgabe). Gleichzeitig sagte er, dass es „insgesamt nur wenige Fälle“ gebe. „Wir werden mit den zuständigen Ressorts gemeinsam jeden Einzelfall prüfen“, sagte er.

Frankreich und Dänemark lehnen Rücknahme ab

Aus einzelnen Ländern kamen umgehend Absagen an Trumps Forderung. Frankreich positionierte sich am Montag: Man wolle keine französischen IS-Kämpfer aus Syrien einreisen lassen. „Wir ändern unsere Politik derzeit nicht“, sagte Justizministerin Nicole Belloubet dem TV-Sender France 2. Frankreich lehnt die Einreise von IS-Kämpfern und ihren Frauen bisher strikt ab, Paris stuft diese als „Feinde“ Frankreichs ein. Ausnahmen gab es in Einzelfällen für Minderjährige.

Brüssel-Korrespondentin Schaidreiter zu Trump-Forderung

Kann die EU eine gemeinsame Linie finden? Um diese Frage geht es beim EU-Außenministertreffen, so ORF-Korrespondentin Raffaela Schaidreiter.

Dänemark erteilte Trump noch am Sonntag eine Absage. Es sieht seinen Beitrag darin, ein Justizsystem in Syrien aufzubauen, das es ermöglicht, die Gefangenen dort vor ein ordentliches Gericht zu stellen. Das Problem ist allerdings, dass das Gros der Betroffenen die EU-Staatsbürgerschaft hat.

„So einfach ist es sicherlich nicht“

In anderen Mitgliedsländern gab man sich entsprechend zurückhaltender, vor allem die Umsetzung einer möglichen Rücknahme sorgt für Kopfzerbrechen. Deutschlands Außenminister Heiko Maas sagte, solange es keine Informationen und Ermittlungsverfahren gebe, halte er das „für außerordentlich schwierig zu realisieren“. Am Montag fügte Maas hinzu: „So einfach, wie man sich das in Amerika vorstellt, ist es (…) sicherlich nicht.“

EU-Außenminister beraten über IS-Kämpfer

Rund 800 IS-Kämpfer sind in Syrien gefangen. Der US-Präsident fordert eine Rückführung jener Gefangenen, die aus Europa stammen.

Er verwies grundsätzlich darauf, dass deutsche Bürgerinnen und Bürger das Recht zur Wiedereinreise hätten. Doch in Syrien gebe es nicht die Möglichkeit, das zu überprüfen. Bei einer Rückkehr müsse auch sichergestellt sein, dass es in Deutschland sofort ein Verfahren gebe.

Kneissl kann Trump-Ankündigung „nicht nachvollziehen“

Auch FPÖ-Außenministerin Karin Kneissl gab sich skeptisch zur Forderung Trumps. „Diese Ankündigung von Trump kann ich nicht nachvollziehen“, so Kneissl in Brüssel. Es könne in niemandes Interesse sein, Kämpfer freizulassen, die zuvor unter großem Risiko von der internationalen Anti-IS-Allianz und den kurdischen Kämpfern gefangen genommen wurden.

Kurz zuvor sagte sie, es sei in den Überlegungen jeder einzelnen Regierung, in klarer Abstimmung mit den Sicherheitsbehörden zu handeln, das gelte auch für Österreich. „Es gilt, jede einzelne Biografie klar anzusehen“, sagte Kneissl. So hätte sich 2014 eine Reihe junger Frauen aus Österreich dem IS angeschlossen. Es gebe prioritäre Fälle, etwa, wo es um ein zweijähriges Kind gehe, „hier greifen Überlegungen der konsularischen Schutzpflicht“, so Kneissl.

Laut Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) befinden sich knapp 100 aus Österreich stammende „Foreign Fighters“ derzeit in Kriegsgebieten. Rund 30 Prozent davon besitzen auch die österreichische Staatsbürgerschaft. Insgesamt sind dem Verfassungsschutz mit Anfang des Jahres 320 „aus Österreich stammende Personen“ bekannt, die sich aktiv am Dschihad in Syrien und dem Irak beteiligen oder beteiligen wollten. Rund 60 davon sind bisher in Syrien und dem Irak ums Leben gekommen, etwa 60 konnten bis Anfang 2019 an einer Ausreise gehindert werden. 90 „Foreign Fighters“ seien bis Anfang 2019 nach Österreich zurückgekehrt.

Partnerschaft mit USA „zu wichtig“

Trumps Forderung erwischte die EU offenbar auf dem falschen Fuß, wenngleich sie nicht ganz überraschend gekommen sein dürfte. Die Frage, wie mit EU-Bürgern, die zum Kämpfen nach Syrien gingen, umgegangen werden soll, ist schon länger ein Thema. Auch in Österreich laufen Überlegungen, wie man damit umgehen soll, wie ein aktueller Fall einer jungen Wienerin zeigt – mehr dazu in wien.ORF.at.

Es gebe die klare Notwendigkeit, dazu eine europäische Haltung zu definieren, sagte im Vorfeld des Ministertreffens etwa der slowakische Außenminister Miroslav Lajcak in Brüssel. Die Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten sei entscheidend, und „die Spielregeln für diese Partnerschaft haben sich geändert. Wir müssen in der Lage sein, darauf zu reagieren.“ Auch Kneissl appellierte, im Dialog mit den USA zu bleiben, weil die Partnerschaft zu wichtig sei.

Shamima Begum am Flughafen Gatwick
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Begum bei der Ausreise 2015

Fall von Britin sorgt für Debatten

Besondere Brisanz hat das Thema auch in Großbritannien. Dort sorgt der Fall der Britin Shamima Begum für heftige Debatten. Sie hatte sich dem IS angeschlossen, will aber nun nach Großbritannien zurückkehren, nachdem sie vor Kurzem ihr drittes Kind zur Welt brachte. Die beiden ersten Kinder starben, offenbar an Unterernährung. Die Eltern der Frau hatten die Regierung in London um eine Rückkehrerlaubnis für ihre Tochter angefleht.

Der britische Innenminister Sajid Javid hatte sich ablehnend zu einer Rückkehr geäußert: „Meine Botschaft ist klar – falls jemand Terrororganisationen im Ausland unterstützt hat, werde ich nicht zögern, seine Rückkehr zu verhindern.“ Justizminister David Gauke betonte am Samstag aber, dass es bei einer Ablehnung des Rückkehrwunsches rechtliche Probleme geben könnte. Man dürfe Menschen nicht staatenlos machen, sagte er dem Sender Sky News. Ein Sprecher der britischen Premierministerin Theresa May sagte am Montag, den Dschihadisten solle dort der Prozess gemacht werden, wo sie ihre Verbrechen begangen hätten.

Letzte IS-Kämpfer umzingelt

Am Wochenende hatten kurdische Kämpfer nach eigenen Angaben die letzten verbliebenen IS-Kämpfer in dem Ort Baghus am Euphrat im Osten Syriens umzingelt. Mehr als 1.000 IS-Anhänger sollen laut US-Sender CNN von Syrien bereits in den Irak geflohen sein. Dabei könnten sie bis zu 200 Millionen US-Dollar in bar dabeigehabt haben, berichtete CNN am Montag unter Berufung auf nicht näher genannte Vertreter des US-Militärs.

Der IS hatte 2014 den Höhepunkt seiner Macht erreicht. Damals kontrollierten die Dschihadisten ein Gebiet, das sich über große Teile Syriens und des Irak erstreckte. Mittlerweile sind IS-Anhänger auch in anderen Ländern aktiv, etwa in Libyen und Afghanistan.

Kurden bitten Europa um Unterstützung

Die syrischen Kurden riefen Europa auf, sie nach dem absehbaren Ende des Kampfes gegen den IS nicht im Stich zu lassen und sie gegen die Türkei zu beschützen. „Diese Länder haben eine politische und moralische Verpflichtung“, sagte der einflussreiche Kurdenvertreter Aldar Chalil in Paris.

Die inhaftierten IS-Kämpfer wolle man unterdessen nicht ziehen lassen. Abdulkarim Omar, ein ranghoher Vertreter der Kurden, bezeichnete die Häftlinge am Montag als „Zeitbomben“. Zugleich appellierte er aber an die Heimatstaaten, sich für ihre Staatsbürger verantwortlich zu zeigen. Nach Angaben Omars sitzen allein im kurdisch kontrollierten Nordsyrien 800 ausländische IS-Kämpfer ein. Hinzu kämen 700 Ehefrauen und 1.500 Kinder, die in Flüchtlingslagern untergebracht seien.