Protest gegen Corbyn: Abgeordnete verlassen Labour-Partei

Aus Protest gegen den Führungsstil des britischen Labour-Chefs Jeremy Corbyn sind heute sieben prominente Mitglieder aus der Partei ausgetreten. Sie kritisieren vor allem den Brexit-Kurs und den Umgang mit antisemitischen Tendenzen in der größten Oppositionspartei. Die Abspaltung wird als Symptom für eine größere Krise des britischen Parteiensystems gewertet.

Besonders hart dürfte die Sozialdemokraten der Rücktritt des charismatischen Abgeordneten Chuka Umunna treffen. Er gilt als Jungstar seiner Partei und führt eine Gruppe an, die ein zweites Brexit-Referendum fordert. Die sieben Politiker werden künftig als „unabhängige Gruppe“ im Parlament vertreten sein, wie die Abgeordnete Luciana Berger in London auf einer Pressekonferenz bekanntgab.

Die sieben Abgeordneten üben zudem harte Kritik an der Partei. Mike Gapes sagte etwa, er sei „wütend“, dass sich die Labour-Partei beim Brexit „mitschuldig“ mache. Leslie warf der Oppositionspartei einen „Verrat an Europa“ vor. Parteichef Corbyn zeigte sich „enttäuscht“ über die Entscheidung der Abgeordneten und rief zum Zusammenhalt auf, der heutzutage wichtiger sei als je zuvor. Berger warf der Partei gar vor, „institutionell antisemitisch“ zu sein.

„Harter“ Brexit droht

Schon länger wird befürchtet, dass die Partei auseinanderbrechen könnte. Die Meinungen über Corbyn, der auf Neuwahlen setzt, gehen stark auseinander. Viele werfen dem Alt-Linken vor, im Streit um den EU-Austritt zu lange keine klare Position bezogen zu haben. Ihm wird Mangel an Enthusiasmus für die EU vorgeworfen.

Kürzlich stellte Corbyn Premierministerin Theresa May die Unterstützung seiner Partei in Aussicht, falls sie beim Brexit eine Zollunion und eine Anbindung an den EU-Binnenmarkt akzeptiere. May lehnte das strikt ab. Großbritannien will die Europäische Union in knapp sechs Wochen – am 29. März – verlassen.

Zudem werden seit Jahren Antisemitismusvorwürfe gegen Corbyn und seine Partei erhoben. Im vergangenen Sommer räumte er öffentlich in einem Video ein, dass Disziplinarverfahren gegen antisemitische Parteimitglieder zu langsam und zaghaft betrieben worden seien. Kritikerinnen und Kritiker werfen dem 69-Jährigen eine einseitige Unterstützung der Palästinenser im Nahost-Konflikt vor.

Hunt fordert Entgegenkommen von EU

Der britische Außenminister Jeremy Hunt forderte indes die EU zu einem Entgegenkommen in den Brexit-Gesprächen mit Großbritannien auf. „Wir müssen das hinkriegen. Es steht die Beziehung des Vereinigten Königreichs mit seinen europäischen Nachbarn für die nächsten 25 Jahre auf dem Spiel“, sagte Hunt heute.

Hunt nannte keine Details. Er sagte aber: „Es gibt einen Weg hindurch mit Vision auf beiden Seiten.“ Dazu brauche es auch Vertrauen. Die britische Regierung stößt sich vor allem an der unbefristeten Auffanglösung für eine offene Irland-Grenze („Backstop“), die Großbritannien auf unbestimmte Zeit an eine Zollunion mit der EU bindet und nur wenig Spielraum für eigene Handelsbeziehungen zulässt.

Chefunterhändler treffen sich in Brüssel

Nach der jüngsten Abstimmungsniederlage für May im britischen Unterhaus treffen sich heute abermals die Brexit-Chefunterhändler der EU und Großbritanniens. EU-Verhandlungsführer Michel Barnier kommt in Brüssel mit Brexit-Minister Stephen Barclay zusammen.

Bei dem neuen Treffen wollen sie nach Angaben aus Mays Büro über Vorschläge einer neuen „Arbeitsgruppe“ britischer Abgeordneter zu Alternativen für den umstrittenen „Backstop“ sprechen. Sie ist Brexit-Hardlinern ein Dorn im Auge, weil sie fürchten, dass Großbritannien auf unabsehbare Zeit an die EU gebunden bliebe. Um deren Zustimmung zum Austrittsabkommen doch noch zu erreichen, strebt May Änderungen beim „Backstop“ an. May dürfte am Mittwoch mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in Brüssel zusammentreffen.