Der kanadische Premierminister Justin Trudeau
AP/The Canadian Press/Adrian Wyld
Vorwürfe an Trudeau

Libyen-Causa macht Kanadas Premier Ärger

Kanadas Premierminister Justin Trudeau war in den letzten Jahren der Shootingstar auf der politischen Bühne. Wenige Monate vor der nächsten Wahl droht seiner Regierung nun eine gröbere Krise. Eine Ministerin ging ohne nähere Angabe von Gründen. Trudeau muss sich vorwerfen lassen, für ein Unternehmen in einem Verfahren, das sich um alte Korruptionsvorwürfe in Libyen dreht, interveniert zu haben.

Jody Wilson-Rayboulds, von 2015 bis Jänner Justizministerin und Generalstaatsanwältin (und zuletzt Veteranenministerin), teilte Trudeau vor einer Woche ihren Rücktritt „schweren Herzens“ schriftlich mit. Der Brief enthält zahlreiche Dankesworte, allerdings keine wirkliche Erklärung für ihren Entschluss. Danach tauchte rasch die Frage nach einem möglichen Zusammenhang mit der alten Korruptionscausa auf.

Diese dreht sich um den Bauriesen SNC-Lavalin. Dem Unternehmen, spezialisiert auf Industrie- und Anlagenbau, wird vorgeworfen, in Libyen – noch unter dem Regime des 2011 getöteten Machthabers Muammar Gaddafi – Staatsbeamte bestochen zu haben, um an Aufträge zu gelangen. Trudeaus Büro soll sich für einen möglichst schonenden Ausgang eines laufenden Verfahrens gegen die Baufirma ausgesprochen haben, laute der aktuell „vage“ Vorwurf, hieß es zuletzt in kanadischen Medien.

Ein überraschender Rücktritt

Trudeau habe sich überrascht und enttäuscht gezeigt. In Medienberichten wurde er mit den Worten zitiert, seine Regierung habe ihre Arbeit bisher gut und gesetzeskonform erledigt. Falls die zurückgetretene Ministerin das anders gesehen habe, hätte sie sich an ihn wenden müssen, sagte der 47-jährige Regierungschef. Wilson-Rayboulds war die erste indigene Generalstaatsanwältin Kanadas. Auf Kwakiutl lautet ihr Name Puglaas.

Mutmaßliche Geldflüsse nach Libyen

SNC-Lavalin mit Hauptsitz in Montreal beschäftigt weltweit an die 50.000 Menschen. 2015 wurde gegen den Konzern Anklage wegen Bestechung und Betrugs erhoben. Dabei soll es um zig Millionen kanadische Dollar gegangen sein. Später soll in Trudeaus Büro dafür lobbyiert worden sein, die Causa mit einem Bußgeld und neuen Compliance-Regeln gegen unsaubere Geschäfte auf sich beruhen zu lassen.

Ein zentrales Argument habe dabei gelautet, eine Verurteilung vor Gericht könne dem Unternehmen, das vor allem sehr große Bauprojekte umsetzt, wirtschaftlich schaden und so unzählige Arbeitsplätze in Gefahr bringen. Die Vorwürfe sind nicht die ersten gegen den Baukonzern, dieser hatte bereits mehrfach mit Gerichten zu tun.

Angeblich sanfte Lösung verweigert

Die kanadische „Globe and Mail“ berichtete unter Berufung auf nicht näher genannte Quellen, Wilson-Rayboulds habe eine solche – sozusagen sanfte – Lösung verweigert. Trudeaus Büro habe dementiert: Zu keiner Zeit habe man versucht, auf das Verfahren Einfluss zu nehmen. Die Opposition wolle trotzdem Antworten von Trudeau und seiner Liberalen Partei. Die Ethikkommission des kanadischen Parlaments habe eine Untersuchung eingeleitet. Die zurückgetretene Ministerin kommentiere die ganze Sache unter Berufung auf ihre Verschwiegenheitspflicht nicht.

Der kanadische Premierminister Justin Trudeau und die zurückgetretende Justizministerin Jody Wilson-Raybould
APA/AFP/Adrian Wyld
Trudeau holte Wilson-Rayboulds 2015 als Ministerin in sein Kabinett

Trudeau habe schließlich eingeräumt, dass die Causa SNC-Lavalin Thema in seinem Kabinett gewesen sei, berichtete die Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg vor wenigen Tagen und zitierte den Premierminister nach einer Pressekonferenz mit den Worten, die Regierung nehme ihre Verantwortung für Arbeitsplätze sehr ernst, und der Konzern biete viele solche Arbeitsplätze. Allerdings achte man dabei das Gesetz und die Unabhängigkeit der Justiz.

Politische Gegner wittern Morgenluft

Andrew Scheer, Parteichef der Konservativen, sprach von ethischen Verfehlungen, einem Skandal und einer Regierung „im Chaos“. Die „Globe and Mail“ kommentierte, Trudeau werde die Angelegenheit politisch nicht unbeschadet überstehen. Schuld seien unter anderem seine „tröpfchenweisen“ Antworten zu den Vorwürfen.

Außerdem werde Wilson-Rayboulds nicht ewig schweigen können. Alles sei Spekulation, hieß es in dem Kommentar weiter. „Aber Herrn Trudeaus Regierung ist auf alle Fälle in ihrem eigenen Netz gefangen.“ Sie war unter anderem mit dem Anspruch angetreten, mit unsauberen Geschäften aufzuräumen.

„Sunnyboy“-Image angekratzt

Mittlerweile hat auch das Image des „Sunnyboy“-Premiers („Süddeutsche Zeitung“, „taz“), der seinerzeit sein Kabinett zur Hälfte mit Frauen besetzte und sich für eine liberale Migrationspolitik starkmachte, gelitten. In Umfragen lägen seine Liberalen mittlerweile nicht mehr deutlich vorne, sondern gleichauf mit den Konservativen, ein Sieg bei der Parlamentswahl im Oktober sei keinesfalls mehr sicher.