Rendering des nicht gebauten Leseturms im Museumsquartier
Ortner & Ortner
Beispiel Heumarkt

Wien und die Hochhausangst

Wie viel Hochhaus hält eine Stadt wie Wien aus – und an welcher Stelle dürfen sie stehen? Blickt man auf den Bereich des UNESCO-Weltkulturerbes, die Pufferzone und das, was schon an Bebauung etwa an der Donaukanal-Seite des zweiten Bezirkes möglich ist, dann darf man sich aus der Sicht des Südturms des Wiener Stephansdomes eine banale Frage stellen: Warum dürfen manche Hochhäuser ganz nah an das historisches Wahrzeichen ran, andere wieder nicht?

Die Geschichte der Hochhäuser auf dem Gebiet der Wiener Innenstadt ist seit der Errichtung des Kornhäuselturms (1827) mit seinen gut 35 Metern eine vieldiskutierte. Und sie war in Wien immer auch eine politische – meist zwischen den zwei großen politischen Lagern.

An den Rand der Innenstadt sind zahlreiche Hochhausprojekte gewachsen. Vom knapp 100 Meter hohen Turm des Justizzentrums Wien 3 bis zum Designhotel des Franzosen Jean Nouvel an der Taborstraße. Innerhalb der Zone des UNESCO-Weltkulturerbes hat Wien bisher zwei nennenswerte Hochhausprojekte: das Hochhaus in der Herrengasse, dessen Grundbestand aus den 1930er Jahren stammt; und den 73 Meter hohen Ringturm aus dem Jahr 1955 an der Kante Ring/Donaukanal.

Schon die Geschichte des Hochhauses in der Herrengasse erzählt den Streit zwischen der roten und der schwarzen Einflusssphäre um die Gestaltung des Stadtbildes. Beim Projekt Herrengasse konnten sich etwa bürgerliche Interessen gegen die Positionen des Roten Wien durchsetzen.

Die UNESCO-Welterbezone für Wien – und die Pufferzone samt deren Grenzen

Ein dritter Hochhausbau in der Weltkulturerbe-Zone sollte ja in den 1990er Jahren realisiert werden. Der Umbau des Wiener Messepalasts zum MuseumsQuartier hätte laut Siegerprojekt von Ortner & Ortner einen über 60 Meter hohen „Leseturm“ vorgesehen. Dass dieses Projekt in seiner ursprünglichen Dimensionierung deutlich zurückgenommen werden musste, lag rückblickend nicht so sehr an der UNESCO, sondern vor allem dem Druck des Boulevards (und, wie man sagt, einer einflussreichen Familie, die sich ihren Blick aufs Zentrum nicht verbauen lassen wollte).

Rendering des nicht gebauten Leseturms im Museumsquartier
Ortner & Ortner
Das geplante MuseumsQuartier mit dem oft umgeplanten und schließlich weggesparten „Leseturm“ in einem Entwurf von Ortner & Ortner

„Wiener Hochhäuser sind oft ‚schwarze Löcher‘“

„Die Debatte um die Hochhäuser in Wien ist eine aus den 1990er Jahren und damit eigentlich relativ junge“, erklärt der Stadtforscher und Architekt Robert Temel gegenüber ORF.at. Als Architekt stelle man sich ja der Hochhausfrage grundsätzlich meist offen, so Temel. Aber, so fügt er für Wien an: Viele der Hochhausprojekte funktionierten in dieser Stadt wie „schwarze Löcher“, die durch die monothematische Nutzung Verkehr ansaugten und ohne Bezug zur Außenwelt dastünden.

Architekt und Stadtforscher Robert Temel
ORF
Architekturexperte Robert Temel ortet für Wien eine relativ „junge Debatte“ im Umgang mit Hochhäusern.

Für das heftig diskutierte Heumarkt-Projekt, das für die Umbaufrage mit einem kooperativen Verfahren losging, sei die gemischte Nutzung des Projekts ja eher Garant dafür, dass hier ein offenes Gebilde im Stadtraum stünde. Viel problematischer sieht Temel das Projekt Wien Mitte, auch wenn das nicht mehr in der Weltkulturerbe-Zone steht, sondern in deren Pufferbereich. Dort hat man den geplanten Weg in die Höhe bis auf den realisierten Justizturm nach dem Protest auch namhafter Architekten gestoppt. Für Temel zeigt sich gerade bei diesem Projekt, wie öffentliche Bedürfnisse, etwa die Zugänglichkeit des öffentlichen Bahnhofes, den kommerziellen Interessen rund um ein Einkaufszentrum geopfert worden seien.

„Urbanistische Verwirrung“

Was die Bebauungshöhe und den Status des Weltkulturerbes anlangt, ortet Temel eine etwas „willkürliche“ Festlegungskultur. ICOMOS, also das International Council of Monuments, habe die mit den 43 Metern des aktuellen Hotels Intercontinental festgelegt. Die Stadt Wien wiederum hat selbst entschieden, „es kann auch ein bisschen höher sein“. Drei von internationalen Experten eingebrachte Städtebaugutachten zum Umbau des Heumarkt-Areals sahen das Projekt als willkommen an, in den Festlegungen aber als problematisch.

Heumarkt ist zum Wahlkampfthema geworden

Nach Ansicht des Politologen Peter Filzmaier nutzen die Parteien das Thema rund um den Turm am Heumarkt bereits für den Wiener Wahlkampf: FPÖ/ÖVP gegen SPÖ/Grüne.

So schrieb etwa der ETH-Professor für Städtebau, Vittorio Magnago Lampugnani, im August des Vorjahres, das Heumarkt-Projekt neu sei städtebaulich begrüßenswert, fügte aber einige Aber hinzu. „Das alte Intercontinental Hotel setzte sich über die städtebauliche Logik des Grundstücks hinweg, um, ganz im Einklang mit der Überheblichkeit der 60er Jahre, dort einen Neuanfang zu verkünden, wo dieser Neuanfang am deplatziertesten war. Vor dem Hintergrund der damaligen Aufbruchstimmung (und urbanistischen Verwirrung) ist die alte städtebauliche Sünde verständlich und sogar verzeihbar“, meinte Lampugnani und setzte fort: „Sie heute zu wiederholen, ja zu potenzieren, aber diesmal ohne den entsprechenden sozialhistorischen Hintergrund und seine mildernden Umstände, wäre unverständlich und unverzeihlich.“

Der Welterbestatus und die Heumarkt-Frage

Verliert Wien seinen Status als Weltkulturerbe? Welche Bedeutung hat der Titel „Weltkulturerbe“, und was steht für die Stadt Wien auf dem Spiel? Expertinnen und Experten beurteilen die Situation.

Viele offene Fragen zur Vorgeschichte

Dass kommerzielle Interessen die Triebfeder hinter der Hochhausarchitektur auf dem Wiener Heumarkt seien, monieren auch die Kritiker des Projekts neben dem Wiener Konzerthaus, allen voran der jetzige Klubobmann der Liste Jetzt und frühere Grünen-Politiker Wolfgang Zinggl, der sich seit Jahren gegen das Projekt engagiert. Zinggl beauftragte auch jenes Gutachten beim Verfassungsexperten Theo Öhlinger, das nun Kulturminister Gernot Blümel (ÖVP) und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) als Grundlage ihrer Argumentation gegen das Vorgehen der Stadt verwendeten – mehr dazu in Regierung fordert von Wien Änderungen.

Pressekonferenz: „Weltkulturerbe Wien“

Die gesamte Pressekonferenz zum Thema „Weltkulturerbe Wien“ mit Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) und Bundesminister für EU, Kunst, Kultur und Medien, Gernot Blümel (ÖVP), zum Nachschauen.

Zinggl fordert in allen Statements eine Aufarbeitung des Projekts seit dem Verkauf der Liegenschaft neben dem Wiener Hotel Intercontinental. Er sei kein Gegner der modernen Architektur, so Zinggl in mehreren Statements, aber die Art der Umsetzung des Heumarkt-Projekts lasse die Befürchtung zu, dass mit dem Verlust des Welterbestatus der Hochhausspekulation im Bereich der Innenstadt das Tor geöffnet werde. „Es geht gar nicht um dieses eine Hochhaus“, so Zinngl: „Es geht um die Schleuse, die mit dem ersten genehmigten Bauwerk geöffnet wird. Mit dem Verlust des Welterbeprädikats verliert die Stadt jeden Schutz vor weiteren ähnlichen Projekten in der Inneren Stadt. Mit welcher Begründung könnte dem nächsten Bauwerber ein ähnliches Anliegen verwehrt werden?“

Stadtansicht Wien mit Hochhaus in der Herrengasse
ORF.at/Christian Öser
Wie viel Hochhaus verträgt die Stadt? Ein Blick über das Bundeskanzleramt zum Hochhaus in der Herrengasse. Die Hochhäuser dahinter, etwa das Sofitel (Mitte) stehen bereits auf dem Boden des zweiten Bezirks.

ÖUK: Erhalt „im Interesse der gesamten Menschheit“

Seitens der Österreichischen UNESCO-Kommission (ÖUK) verweist man im Zuge der aktuellen Diskussion auf die größere und der Heumarkt-Debatte zugrunde liegenden Bedeutung des Weltkulturerbes. „Mit der Etablierung der Welterbeliste wurde erreicht, dass viele Menschen weltweit ein Bewusstsein dafür entwickelt haben, dass es besondere Stätten und Denkmäler gibt, deren Erhalt im Interesse der gesamten Menschheit steht“, so Gabriele Eschig, ÖUK-Generalsekretärin, gegenüber ORF.at.

Vielen sei jedoch nicht bewusst, dass das Welterbeprogramm auch die Gründungsidee der UNESCO repräsentiere. „Gegründet nach den Verheerungen und Zerstörungen zweier Weltkriege wurde die UNESCO mit einem klaren Ziel ins Leben gerufen – nämlich Frieden durch Kultur, Wissenschaft und Bildung zu fördern“, so Eschig. Die Welterbekonvention trage demnach durch internationale Zusammenarbeit im Bereich Kulturgüterschutz und Naturschutz wesentlich zu Dialog und interkultureller Verständigung bei – "und damit zur Grundidee und Raison d’Etre der UNESCO selbst.“

Belvedere-Park
Getty Images/Peter Zelei Images
Der berühmte „Canaletto-Blick“ auf die Stadt. In der Vedute anno 2019 stehen schon jetzt einige Hochhäuser.

Hochhausbefürchtungen der Stadt

Dass es zu einer Hochhausbebauung auf dem Gelände des Wiener Eislaufvereins kommen könnte, wurde bereits in einem Statement in einer Sitzung des Wiener Gemeinderates am 29. Februar 2008 befürchtet. Der Wiener Stadterweiterungsfonds habe „in einer etwas merkwürdigen Art und Weise ohne Kontakt mit der Stadtpolitik eine Interessentensuche für den Verkauf“ des Eislaufverein-Areals begonnen, hieß es in der Wortmeldung:

„Und dieser Interessentensuche war – das wissen wir von Bauträgern – die Information beigelegt, dass es dort zu einer Umwidmung kommen kann und dass man dort auch Hochhäuser wird errichten können. Es sind da ganz merkwürdige Renderings beigelegen, die in dieser Form wohl kaum jemals verwirklichbar gewesen wären, weil sie absolut den Wiener Bauvorschriften widersprochen hätten. Es ist unmittelbar am Rande des Weltkulturerbes, es stehen viele anrainende Liegenschaften in einer Schutzzone, also es wäre undenkbar, an dieser Stelle Hochhäuser zu errichten.“ Geäußert wurde das vom damaligen Planungsstadtrat Rudolf Schicker (SPÖ). Verkäufer des Areals war der mittlerweile aufgelöste Stadterweiterungsfonds, der zum Bund, konkret zum Innenministerium gehörte.

Grafik zum Heumarkt
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Zuschlag für die Liegenschaft des Eislaufvereins, die die Stadt gerne um einen symbolischen Betrag erworben hätte, war die „Buntes Wohnen – Gemeinnützige Wohnbaugesellschaft mbH“. Sie erwarb die Immobilie um 4,2 Millionen Euro. Der damalige Geschäftsführer des Stadterweiterungsfonds, Alexander Janda, hatte in einem Statement gegenüber der „Presse“ festgehalten, es müsse ein „marktüblicher Preis“ für die Immobilie geboten werden – immerhin gehe es um „um das Vermögen der Republik“. Die anvisierten 1.000 Euro pro Quadratmeter wurden allerdings nicht lukriert – und 2013 hält der Rechnungshof Bund fest: „Das Erlöspotenzial wurde nicht ausgeschöpft. Nach Ansicht des RH hätte das Vergabeverfahren gestoppt werden sollen.“

Heumarkt-Projekt: Regierung droht Wien mit Weisung

Nach einem Gutachten, wonach das Heumarkt-Projekt zum Verlust des Weltkulturerbe-Prädikats der Stadt Wien führen würde, schaltet sich nun die Bundesregierung ein – und will das Projekt notfalls per Weisung stoppen.

Mehrmals wird der Besitzer der ehemaligen WEV-Immobilie seinen Namen wechseln. In den Aufsichtsorganen der Immofirmen tauchen die Namen von Nationalratsabgeordneten ganz unterschiedlicher Parteien auf. Am Ende gehört die Immobilie gemeinsam mit der Intercontinental-Liegenschaft zur WertInvest. Und im Rahmen dieser Zeit haben sich auch einige Einstellungen zum Thema Hochhausbebauung geändert, inklusive der Vorzeichen im Match Bund versus Stadt.

Abgeschreckte Investoren?

Dass nun in der Sache Heumarkt zwei Jahre „Nachdenkpause“ ausgerufen sind, wurde hinter vorgehaltener Hand am Montag auch lächelnd quittiert. Mit der nun vorgeschriebenen UVP müsse man ohnedies mit einem zweijährigen Verfahren rechnen – und dann sei auch der Wiener Wahlkampf überstanden, hört man.

Der Ringturm in Wien während eines Sonnenuntergangs
ORF.at/Christian Öser
Der Ringturm im ersten Bezirk – nördlich des Donaukanals darf höher gebaut werden

Michael Tojner von WertInvest verwies am Dienstag im Ö1-Morgenjournal auf den „Vertrag mit der Stadt Wien“, der ihn dazu „verpflichtet“, das Areal am Heumarkt umzubauen. Hauptansprechpartner sei die Stadt, und mit dieser werde er die nächsten Schritte abklären, so Tojner. Die Forderung, dass das geplante Hochhaus auf 43 Meter beschränkt werden müsse, haben weder er noch die Stadt je „so gehört“. Grundlegende Änderungen an dem Projekt würden jedenfalls „erhebliche Verzögerungen“ mit sich bringen. Sollte es „klare Vorgaben, eine klare Ansage“ geben, sei man aber „immer kompromissbereit“. Den Turm „abzuschneiden“ sei allerdings „keine architektonische Herangehensweise“, das werde „sehr viel Zeit in Anspruch nehmen“ – mehr dazu in wien.ORF.at und Audio dazu in oe1.ORF.at.

Architekturexperte glaubt nicht an Hochhausbebauung

Architekturexperte Temel hatte schon davor auf die Folgen der Heumarkt-Debatte verwiesen. Natürlich sei für Investoren vor allem die obere Stockwerkzone einer Immobilie, so auch beim Heumarkt-Projekt, am lukrativsten zu verwerten. Dass Wien aber im Zentrum eine Hochhausbebauung droht, glaubt Temel nicht. „Welcher Investor tut sich nach den Debatten rund um das mehrstufige Verfahren zum Heumarkt so ein Projekt an?“, fragte er und erinnerte an die Grenzen der Welterbezone: „Die Pufferzone des Welterbes geht über den Donaukanal hinüber, endet aber genau an der Kante der Oberen Donaustraße.“ Dahinter könne man jedes Hochhaus hinstellen, ohne dass der Weltkulturerbestatus der Stadt in irgendeiner Form angetastet wäre, so Temel.