Sänger Maurice Ernst von „Bilderbuch“
APA/Herbert Pfarrhofer
Neues Album

Vorbote für den Bilderbuch-Sommer

Vor mittlerweile rund 14 Jahren ist Bilderbuch gegründet worden. Die Band rund um Sänger Maurice Ernst hat einen hohen Wiedererkennungswert, ohne sich zu wiederholen. Auch beim neuen Album „Vernissage My Heart“ ist vieles anders. Und außerdem steht ein echter Bilderbuch-Sommer bevor.

Zunächst bemerkenswert: Erst im Dezember haben Bilderbuch völlig unerwartet mit „Mea Culpa“ ein Album herausgebracht. In Interviews antwortet Ernst achselzuckend, wenn man ihn nach der Sinnhaftigkeit der kurz aufeinander folgenden Veröffentlichungen fragt. Was raus müsse, müsse eben raus, lässt er sinngemäß wissen. Nicht alles sei wirtschaftliches Kalkül.

Im Interview mit Dietmar Petschl für die ZIB erklärt Bilderbuch-Gitarrist Michael Krammer, wie es zum unterschiedlichen Sound der beiden Alben kommt. Man habe die bereits vorhandenen Songs einfach unterteilt – für „Vernissage My Heart“ die gitarrenlastigen, für „Mea Culpa“ die Laptop-dominierten. Ernst stimmt ein: „Wir sind halt schizophren. Man hat die harten Gitarren auf der einen und auf der anderen Seite den Laptop.“ Die geteilte Persönlichkeit der Band hat diesmal eben zu einem geteilten Album geführt.

Cover des neuen „Bilderbuch“-Albums „Vernissage My Heart“
Universal Music
Das neue Bilderbuch-Album „Vernissage My Heart“ erscheint am 22. Februar

Gleißender Minimalismus

Jetzt sind Bilderbuch ja keine Folk-Band, die sich nobel in Zurückhaltung übt. Die Songs der Band „knallen“, sie spielen mit dem Zeitgeist, bringen ihn auf den Punkt und kicken ihn von Song zu Song weiter, ohne dabei aktuellen Moden nachzulaufen. Gleißender Minimalismus, der abgehackte Gesang von Ernst – mit „Maschin“ eroberten Bilderbuch eine Zuhörerschaft weit über abgesteckte Genregrenzen hinaus.

Frei flottierend und trotzdem „tight“

Der zweite ganz große Hit war „Bungalow“, der weniger slick, dafür funkiger ist als „Maschin“. Beiden Songs ist – wie vielen anderen Liedern der Band – ein zutiefst lyrischer Text zu eigen. Literaturwissenschaftlerin Daniela Strigl hat „Bungalow“ textlich analysiert und konstatiert dem Song etwas „disparat Schwebendes“. So unterschiedlich die Genreanleihen sind, die Bilderbuch in den letzten 14 Jahren genommen haben: Dieses „disparat Schwebende“ eint, sowohl in den Texten als auch musikalisch, das Werk der Band.

Neues Album von Bilderbuch

Bilderbuch ist längst über die Grenzen Österreichs hinweg bekannt. Mit dem neuen Album „Vernissage My Heart“ wird Bilderbuch politisch.

Das gilt auch für das neue Album „Vernissage My Heart“. Die Musik ist gitarrenlastig, in manchen Momenten haftet ihr gar etwas Tropisch-Schwülstiges an, natürlich nie ohne doppelten und dreifachen Boden, nie ohne ironischen Seitenblick, nie ohne bewusste Überstilisierung. Die Musik flottiert frei im Raum und ist gleichzeitig „tight“, die typische Bilderbuch-Mischung eben.

„Wir können uns nicht wiederholen“

Dass Bilderbuch immer wieder für Assoziationen von 60er-Sounds bis hin zu aktuellen Strömungen gut sind, hat seinen Grund. Bassist Peter Horazdovsky erklärt das im Interview mit dem ORF sinngemäß so, dass Zeitgenossenschaft heute ja bedeutet, sämtliche Musik der letzten 70 Jahre zu jeder Zeit verfügbar zu haben – durch Streamingdienste wie Spotify. Man höre sich da durch – und das spiegle sich dann auch in der Musik wider.

Dadurch passt die Band in keine Schublade – was zwar gut klingt, aber auch ein Problem ist. Ins Formatradio passt Bilderbuch oft nicht – genauso wenig wie in vorgefertigte Streaming-Playlists wie „Workout Music“ und Ähnliches. Sänger Ernst: „Wir können uns nicht gut wiederholen und nicht gut verstellen, das ist nicht unsere Stärke. Oder vielleicht ist gerade das unsere Stärke. Keine Ahnung.“

Geradeaus in eine neue Welt

Das zeigt sich nicht zuletzt beim Song „Europa 22“. „Fahr gerade aus“, heißt es da, „nichts hält dich mehr auf“, „lieber mal die Augen aufmachen“ – um dann mit großen Augen die große Freiheit zu sehen. Auch hier bleibt vieles assoziativ, vage. Doch der Song ist trotzdem politisch: Er ist ein Bekenntnis zur EU. Ausgerechnet, möchte man sagen, eine jener Bands, die für „Coolness“ steht wie kaum eine andere, lädt die EU erotisch auf, die sonst eher mit Amtsschimmel, Regulierungswut und viel zu komplexen Themen assoziiert wird. Wer die EU sexy macht, kann vieles.

So vage die Band textlich bleibt, so deutlich wird sie in einer Onlineaktion. Da kann man ein Foto hochladen und sich einen EU-Pass machen lassen – nämlich einen für den fiktiven Staat „Europa“. Der Bilderbuch-Europapass fand binnen Stunden tausendfach Verbreitung – vor allem auf Twitter und Facebook, zum Teil auch auf Instagram. Viel mehr Publicity bei der anvisierten Zielgruppe kann man sich nicht wünschen.

Viele Prominente sprangen auf den Zug auf und posteten „ihre“ EU-Pässe, darunter etwa der deutsche Ex-EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, Wiens Bürgermeister Michael Ludwig und der deutsche Kabarettist Jan Böhmermann.

Das Clubtoilettengleichnis

Das Onlinemagazin Bento, das der „Spiegel“ für junge Menschen betreibt, bringt die Vision hinter dem Song zielgruppengerecht auf den Punkt: „Die EU-Ausweise sind nur ein Promo-Stunt. Und dennoch zeigt die Aktion, wie sehr sich viele junge Menschen nach einem anderen Europa sehnen. Nach einem Europa, in dem die Herkunft keine Rolle mehr spielt und als ‚Staatsangehörigkeit‘ ein einfaches ‚Europäisch‘ ausreicht. Nach einem Europa, in dem ‚Unisex‘ als Geschlechtsangabe so geläufig ist wie auf der Club-Toilette oder beim Shoppen.“ So passt die EU dann doch zu Bilderbuch.

Der Bilderbuch-Winter mit zwei Alben ist natürlich auch ein PR-Winter für den Bilderbuch-Konzertsommer. Da spielt die Band – unter anderem – gleich zweimal vor dem Schloss Schönbrunn im Mai (24. und 25.), das erste Konzert ist bereits restlos ausverkauft. Weitere Konzerttermine 2019 stehen für Innsbruck (24. April), Linz (13. Juli) und Graz (24. August) an. Bilderbuch mögen fürs Formatradio schwierig sein – eine gut geölte Maschinerie sind sie doch, Sorgen braucht man sich um die Band keine zu machen.