Mitarbeiter in einem Büro
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Weniger ist mehr

Die Vorteile der Viertagewoche

Mehr Engagement und größere Zufriedenheit der Belegschaft, gesteigerte Produktivität und gestiegene Gewinne des Unternehmens: Eine aktuelle neuseeländische Studie zur Viertagewoche stellt vorherrschende Sichtweisen auf Arbeitszeit und Produktionsleistung auf die Probe. Und bestätigt damit einen österreichischen Experten.

Selten zuvor hat es eine Studie in diesem Ausmaß zu den Folgen der Einführung einer Viertagewoche gegeben. „Untersuchungsobjekt“ war die Fondsgesellschaft Perpetual Guardian, wo 240 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen seit vergangenem November statt 37,5 nur noch 30 Stunden arbeiten – und das bei gleichem Lohn. Die Erkenntnisse der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zweier Universitäten in Auckland wurden kürzlich veröffentlicht – und dürften einige überrascht haben.

Laut dem Geschäftsführer Andrew Barnes konnte die Produktivität trotz Arbeitszeitreduzierung nicht nur gehalten, sondern sogar um 20 Prozent gesteigert werden. Bei einer deutlichen Verbesserung des Wohlbefindens der Angestellten konnten auch die Gewinne gesteigert werden, so die britische Zeitung „Guardian“ (Onlineausgabe).

Weniger Stress, bessere Work-Life-Balance

Konkret sanken die Stresswerte der Mitarbeiter laut Studie von 45 auf 38 Prozent, während bei der Messung der Work-Life-Balance der Wert von 54 auf 78 Prozent stieg. Zudem gaben die Angestellten an, dass ihre Teams durch die Arbeitszeitreduzierung stärker geworden seien und daher besser funktionierten. Und: Die Angestellten selbst zeigten sich zufriedener und engagierter.

Kinder beim Radrfahren nahe dem Wiener Gürtel
ORF.at/Dominique Hammer
Mehr Zeit etwa für Familie und Ausflüge – eine Viertagewoche ist nicht zuletzt für Eltern ein Gewinn

Eine Viertagewoche sei nicht zuletzt geschlechtergerechter und familienfreundlicher, so Barnes. Auch zur Gesundheit der Menschen trage sie viel bei – schließlich leide eine von fünf Personen an mentalen Gesundheitsproblemen oder Burn-out.

Freier Tag statt Facebook und Kaffeepausen

Die Voraussetzung für die Umstellung war, dass alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sich bereit dazu zeigen mussten, weiterhin ihre wöchentlichen Arbeitsziele zu erreichen. Zudem mussten alle Angestellten konkret darlegen, wie sie planten, ihre Produktivität trotz der Stundenreduzierung aufrechtzuerhalten.

„Die Mitarbeiter haben realisiert, dass ein freier Tag ein Geschenk ist, das man sich verdienen muss. Deshalb haben sie ihr Verhalten geändert“, sagte Barnes in einem TEDX-Talk. „Sie haben verstanden, dass ein freier Tag wichtiger ist, als Arbeitszeit unnötig in den Sozialen Netzwerken oder mit vielen Kaffeepausen zu vergeuden“, so der Geschäftsführer.

„Zeit für Viertagewoche ist gekommen“

Perpetual Guardian ist zwar nicht das erste, dafür eines der ersten großen Unternehmen, das die Arbeitszeit auf 30 Stunden verkürzt hat. Folglich stieß die Umstellung auch weltweit auf großes Interesse – für Barnes ein Zeichen dafür, dass „langsam verstanden wird, dass die Art, wie wir heutzutage arbeiten, nicht mehr zeitgemäß ist“. Längere Arbeitszeiten bedeuteten eben nicht automatisch, dass härter oder klüger gearbeitet werde, so Barnes.

Die Frage, ob eine kürzere Arbeitswoche zu besseren Ergebnissen führen könnte, stellte mittlerweile sogar das Weltwirtschaftsforum. In einem auf der offiziellen Facebook-Seite geposteten Video scheinen sie die Antwort gleichzeitig auch selbst zu geben. So heißt es dort: „Die viertägige Arbeitswoche könnte näher sein, als Sie denken. Der Psychologe Adam Grant und der Autor Rutger Bregman erläutern die Vorteile von weniger Arbeit.“

„Die Zeit für die Viertagewoche ist gekommen“, sagte auch Barnes gegenüber dem „Guardian“ und fordert andere Unternehmen auf, es ihm gleichzutun: „Sie (die Unternehmer, Anm.) werden über die Verbesserung in ihrem Unternehmen und bei ihren Mitarbeitern überrascht sein“, so Barnes, der laut „Guardian“ bereits Nachfragen von mehr als 350 Unternehmen aus 28 verschiedenen Ländern erhalten hat.

Arbeitszeitverkürzung auch in Österreich Thema

Auch in Österreich wird das Thema der Arbeitszeitverkürzung immer wieder debattiert – zuletzt etwa im Zuge des Frauenvolksbegehrens. In diesem hieß es: „Die einen machen – staatlich gefördert – Überstunden, die anderen können von ihrem Teilzeitjob kaum leben. Immer noch überwiegend Frauen* leisten unbezahlte Familien- und Hausarbeit, während viele Männer* 40 und mehr Stunden arbeiten müssen, damit es sich am Ende irgendwie ausgeht.“

Fair und familienfreundlich seien solche Arbeitsverhältnisse für niemanden und volkswirtschaftlich „kaum mehr zu argumentieren“. Die Initiatoren und Initiatorinnen forderten daher, die Arbeitszeit für alle auf 30 Stunden pro Woche zu verkürzen.

Flecker: Mehr Lebensqualität statt Zeitnot

Ein Verfechter der 30-Stunden-Woche ist auch der Wirtschaftssoziologe Jörg Flecker von der Universität Wien. Aus sozialwissenschaftlicher Sicht spreche sehr viel für eine deutliche Verkürzung der Arbeitszeit, so Flecker gegenüber ORF.at, beispielsweise wäre die Vereinbarkeit zwischen Berufs- und Familienleben viel leichter zu erreichen. Und: Eine kurze Vollzeit für Frauen und Männer könne helfen, die gegenwärtigen Nachteile der bei Frauen sehr verbreiteten Teilzeitarbeit zu überwinden.

Zwei junge Frauen in der Stadt auf dem Weg zum Yoga
ORF.at/Dominique Hammer
„Mehr Lebensqualität statt ständige Zeitnot stünde einer reichen Gesellschaft gut an“, ist der Soziologe Flecker überzeugt

Auch angesichts der wachsenden Ungleichheit zwischen Arm und Reich, der Zahl der Arbeitslosen sowie der Digitalisierung, die noch zu extremen Einsparungen von Arbeitsplätzen führen könne, erachtet Flecker eine Arbeitszeitreduzierung und eine damit einhergehende bessere Verteilung der Erwerbsarbeit als sinnvoll.

Doch auch aus ökologischen Gründen seien neue Lebensweisen wünschenswert. Lebensweisen, „die dem Zeitwohlstand höhere Priorität einräumen als der Verfügung über immer mehr materielle Güter“. Der Soziologe zeigt sich überzeugt, dass mehr Lebensqualität statt ständiger Zeitnot einer reichen Gesellschaft „gut anstünde“ und das Zusammenleben „angenehmer“ machen könne.

Arbeiten, „um zu leben“ – und nicht umgekehrt

Diesen Weg ist als nach eigenen Angaben erstes Unternehmen Österreichs eine Onlinemarketingfirma aus dem Mühlviertel in Oberösterreich gegangen. Das Unternehmen wolle durch die 30-Stunden-Woche attraktiver für junge Mitarbeiter werden. „Die Jungen sagen ganz einfach: ‚Wir sind nicht da, um zu arbeiten, sondern wir arbeiten, um zu leben“, meinte der Geschäftsführer Klaus Hochreiter vergangenes Jahr. Mittlerweile wurde die Viertagewoche eingeführt – „erfolgreich“, wie es auf Nachfrage von ORF.at heißt – mehr dazu in ooe.ORF.at.

Ähnlich wie Perpetual Guardian konnte auch ein Osttiroler Naturkosmetikhersteller seine Umsätze trotz Viertagewoche steigern. Auch hier wurden die Arbeitsabläufe optimiert, während die Wochenarbeitszeit bei vollem Lohnausgleich verkürzt wurde. Früher wurde am Freitag halbtags gearbeitet, heute wird die Arbeitszeit auf vier Tage verteilt – mehr dazu in tirol.ORF.at.

Viertagewoche als „Ausgleich“ zu Zwölfstundentag

Dennoch stellt dieses Unternehmen in Österreich derzeit die Ausnahme dar. Erst vergangenes Jahr wurde die Möglichkeit eines Zwölfstundentags gesetzlich verankert und die Höchstarbeitszeit somit auf 60 Stunden ausgedehnt. Quasi als Ausgleich forderten Arbeiterkammer und Gewerkschaft daraufhin das gesetzliche Recht auf eine Viertagewoche – sofern das vom Arbeitnehmer gewünscht ist.

Abgelehnt wurde der Vorschlag von der Wirtschaftskammer, da „ein gesetzlicher Anspruch natürlich immer zu einem Ungleichgewicht führt, wenn es darum geht, wechselseitige Interessen bestmöglich unter einen Hut zu bringen“, so Wirtschaftskammer-Direktor Christoph Jenny. Er rät zu anderen Mitteln wie Betriebs- oder Einzelvereinbarungen – mehr dazu in vorarlberg.ORF.at.

„Auseinandersetzung wird nicht ausbleiben“

Laut Flecker können Betriebsvereinbarungen hier jedoch keine Lösung sein. Eine Verkürzung der Arbeitszeit müsse auf europäischer Ebene erfolgen. Dafür brauche es eine gemeinsame Entwicklungsrichtung und eine EU, die „weniger auf Marktliberalisierung und mehr auf gute Lebensbedingungen der Arbeitenden setzt“, meint Flecker. Dafür müsste die Forderung aber noch mehr Rückhalt in der Bevölkerung gewinnen. Und: „Mehr Arbeitende als heute müssten die Kampfkraft der Gewerkschaften durch ihre Mitgliedschaft stärken“, so Flecker.

Doch auch die Erfolge der Gewerkschaften bei der Arbeitszeitverkürzung liegen schon lange zurück, gesteht er. Derzeit gehe es in Richtung Arbeitszeitverlängerung in Form einer „Arbeitszeitflexibilisierung“. Deshalb werde es ohne eine starke Auseinandersetzung in naher Zukunft wohl kaum zu einer 30-Stunden-Woche kommen. Doch „angesichts der steigenden Ungleichheit wird eine solche Auseinandersetzung möglicherweise nicht ausbleiben“, so Flecker.