Die „Gorch Fock“
Reuters/Fabian Bimmer
Werft insolvent

Neues Kapitel im „Gorch Fock“-Debakel

Die Zukunft der „Gorch Fock“ ist noch ungewisser geworden. Die Werft, die das bekannteste Schiff der deutschen Marine zur Reparatur auf ihrem Dock liegen hat, ist plötzlich selbst ein Sanierungsfall. Das Schiff sorgt seit Monaten wegen der astronomischen Instandsetzungskosten für Schlagzeilen, nun aber auch die Werft, bei der manches nicht mit rechten Dingen zugegangen sein soll.

Die „Gorch Fock II“, so der vollständige Name, die seit über 60 Jahren als Schulschiff in der Marine „dient“, liegt derzeit zerlegt in Bremerhaven und wird generalüberholt. Am Dienstagabend machten erste Gerüchte über eine Zahlungsunfähigkeit der beauftragten Elsflether Werft die Runde, am Mittwoch stellte die einen Antrag auf Insolvenz – allerdings in Eigenverwaltung, das Unternehmen soll damit weitergeführt werden.

Deutsche Medien berichteten von Schulden von mehr als 20 Mio. Euro und einer Reihe „fragwürdiger Darlehen“ und darüber, dass die „Handlungsfähigkeit des Betriebs“ nicht mehr garantiert sei. „Die Zukunft der Gorch Fock steht auf dem Spiel“, schrieb die „Süddeutsche Zeitung“. Der „Spiegel“ berichtete über mutmaßliche Ungereimtheiten in den Büchern der Werft, „merkwürdige Geldflüsse“, die mittlerweile durch eine neue Geschäftsführung unter anderem Schürfrechte für eine Goldmine in der Mongolei gekauft haben soll.

Odyssee begann nach Jahrzehnten auf den Ozeanen

Das Segelschulschiff zur Ausbildung von angehenden Offizieren und Unteroffizieren wurde 1958 in Dienst gestellt, nach fast sechs Jahrzehnten auf See sollte es ab 2015 überholt werden. Der „Spiegel“ erinnerte kürzlich daran, dass damals dafür knapp über vier Monate Zeit und etwa zehn Mio. Euro Budget veranschlagt gewesen seien. „Mehr als drei Jahre später liegt das Schiff heute komplett zerlegt in der Werft.“

Die eingepackte „Gorch Fock“ am Dock
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Die „Gorch Fock“ liegt zerlegt, verhüllt und eingerüstet auf dem Dock

Mittlerweile seien die Kosten auf etwa 135 Mio. Euro gestiegen, Ursache sei „gravierendes Missmanagement“, hieß es. Im Zentrum der Kritik steht das Verteidigungsministerium unter Ursula von der Leyen (CDU) – wieder einmal. Grund ist unter anderem ein vertraulicher Bericht des Bundesrechnungshofs (BRH) in Bonn, in dem dieser laut „Spiegel“-Bericht vom Jänner Bundeswehr und Verteidigungsministerium für das Debakel einer planlosen Sanierung verantwortlich machte.

„Stürme“ und Negativschlagzeilen

Stürme im übertragenen Sinn hat der Dreimaster schon einige überstanden. 2010 starb eine 25-jährige Offiziersanwärterin während eines Hafenaufenthalts in Brasilien bei einem Sturz aus großer Höhe von der Takelage (dem System aus Masten und Tauen eines Segelschiffs). Anschließend wollten weitere Kadetten nicht mehr auf Masten klettern bzw. von Bord gehen, in den Medien war die Rede von einer „Meuterei“.

Marinesoldaten steigen auf in die Takelage auf
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Mehrere Menschen stürzten bei Unfällen auf der „Gorch Fock“ von Masten bzw. Takelage in den Tod

Eine Untersuchungskommission wurde eingesetzt, der Ausbildungsbetrieb unterbrochen. Der tragische Vorfall war nicht der erste auf dem Schiff gewesen. Mehrere Menschen starben durch Unfälle auf Deck oder wurden verletzt, 2008 war eine 18-jährige Kadettin über Bord gegangen und ertrunken. Der erste Todesfall an Bord hatte sich 1959 ereignet.

Ab Ende 2010 geriet die „Gorch Fock“ nicht nur wegen des tödlichen Unfalls und der „Meuterei“ (die militärstrafrechtlich keine war) in die Schlagzeilen. Nachdem die Medien auf das Schiff aufmerksam geworden waren, sprachen junge Soldatinnen und Soldaten von Alkoholexzessen unter der Stammbesetzung, unwürdigen Initiationsritualen, Schikanen und sexueller Belästigung. Die Stammbesatzung wehrte sich gegen die Vorwürfe. Der Ausbildungsbetrieb wurde unterbrochen, später wieder aufgenommen.

Stolz und „Symbol für das Elend der Bundeswehr“

Zuletzt tauchten im Zusammenhang mit der Reparatur des Schiffs bzw. der Auftragsvergabe Korruptionsvorwürfe auf. Von der Leyen verhängte einen Zahlungsstopp. In der „FAZ“ hieß es danach unter dem Titel „Ende einer Seefahrt“, dass in Wirklichkeit niemand wisse, „ob die ‚Gorch Fock‘ die Werft jemals schwimmend verlassen wird oder als zerlegtes Wrack“. Der „Spiegel“ kommentierte in einem ausführlichen Artikel unter dem Titel „Deutschland, abgewrackt“, das Schiff sei einst der „Stolz der Marine“ gewesen, heute sei sie nichts anderes als „Symbol für das Elend der Bundeswehr“.

Archivbild der Govch Fock auf Hoher See
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Die „Gorch Fock II“ war seit 1958 auf den Weltmeeren unterwegs

Die „Gorch Fock II“ ist die Nachfolgerin der 1933 gebauten „Gorch Fock I“, die nach ihrer Versenkung durch die eigene Besatzung am Ende des Zweiten Weltkriegs und Bergung samt wechselvoller Geschichte als sowjetisches Schiff heute als Museumsschiff in Stralsund liegt. Benannt sind beide Schiffe nach dem deutschen Schriftsteller Gorch Fock (eigentlich Johann Wilhelm Kinau), gebaut wurden sie von der Hamburger Werft Blohm+Voss.

Gorch Fock
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Die „Gorch Fock I“ liegt im nordostdeutschen Hafen Stralsund

Knapp 35-mal um die Erde

Die „Gorch Fock II“ mit Heimathafen Kiel ist knapp 90 Meter lang und zwölf Meter breit, die Masten sind bis zu 45 Meter hoch. Die gesamte Besatzung umfasst 200 Männer und Frauen, ausgebildet werden auf dem Schiff Offiziere und Unteroffiziere. Das Schiff legte in den letzten sechs Jahrzehnten über 750.000 Seemeilen (fast 1,4 Mio. Kilometer) zurück, was knapp 35 Erdumrundungen entspricht, etwa 15.000 Männer und Frauen fuhren auf dem Schiff, zur 168. und letzten Ausbildungsfahrt hatte es 2015 abgelegt.