Zwei verschleierte Frauen in Saudi Arabien
AP/Hassan Ammar
Saudi-Arabien

Zwei Schwestern seit Monaten auf der Flucht

Der Fall zweier Schwestern aus Saudi-Arabien sorgt derzeit weltweit für Schlagzeilen. Sie planten zwei Jahre lang ihre Flucht ins Ausland und kamen bis nach Hongkong. Dort wollten sie nur wenige Stunden verbringen – tatsächlich wurden es Monate. Wie CNN berichtete, halfen der Familie saudische Behördenvertreter dabei, die Flucht zu stoppen.

Die beiden jungen Frauen wandten sich an der US-Sender CNN, um auf sich aufmerksam zu machen. Die beiden Schwestern, 18 und 20 Jahre alt, stehen exemplarisch für viele andere saudische Frauen, die eine Flucht wagten. Manche kamen durch, etliche wurden aufgehalten und gegen ihren Willen nach Saudi-Arabien zurückgebracht.

Reem und Rawan, deren Namen aus Sicherheitsgründen geändert wurden, flohen laut eigenen Angaben im vergangenen September während eines Familienausflugs in Sri Lanka. Seit zwei Jahren hätten sie die Flucht im Stillen geplant. Sie hätten gewusst, dass sie wohl nie mehr zurückkehren würden, sagten Reem und Rawan zu CNN. Sollten sie scheitern, würde ihnen Strafe oder gar der Tod drohen.

Sie hätten die Gefahr in Kauf genommen, weil sie es zu Hause nicht mehr ausgehalten hätten. Leben nach strengst islamischen Sitten, körperlicher Missbrauch und Perspektivlosigkeit hätten sie dazu gebracht, das Wagnis einzugehen. „Es ist Sklaverei, egal was Frauen tun, es ist die Angelegenheit der Männer“, so Rawan. Während die Brüder ihr Leben genießen konnten, hätten sie selbst keinerlei Freiheiten gehabt.

Eigene Pässe entwendet

Laut ihrer Erzählung hatten sie heimlich australische Touristenvisa beantragt und in der letzten Nacht des Urlaubs ihre eigenen Reisepässe aus der Tasche der Eltern gestohlen. Mit dem Taxi fuhren sie zum Flughafen und bestiegen eine Maschine nach Hongkong, von wo aus sie weiter nach Melbourne reisen wollten. Der Zwischenstopp sollte zwei Stunden dauern, daraus wurden jedoch fünf Monate.

Sobald sie aus der Maschine kamen, seien sie bereits aufgehalten worden. Mit ihren Visa sei etwas nicht in Ordnung, wurde ihnen gesagt. Laut Angaben der Schwestern hatte ihr Onkel seine Beziehungen zum saudischen Innenministerium geltend gemacht, ihr Weiterflug sei anschließend gecancelt worden. Laut CNN hat SriLankan Airlines die Flüge nach Melbourne für Reen und Rawan auf „ausdrücklichen Wunsch“ des saudischen Konsulats abgesagt. Stattdessen seien ihnen von dort aus Boardingpässe nach Riad gebucht worden. Der Anwalt der beiden sagte, es sei eine „versuchte Entführung“ gewesen, das saudische Konsulat habe durch Vorwände versucht, die beiden Frauen und das Flughafenpersonal zu täuschen. Die Polizei von Hongkong geht diesen Vorwürfen nun nach.

Per Twitter zum Asyl

Nach langem Tauziehen gelang es den beiden nach eigenen Aussagen, aus dem Flughafen zu fliehen. Seither leben sie als U-Boote in Hongkong und entgehen einer Entdeckung durch häufige Wechsel ihrer Wohnorte. Ihre Pässe wurden abgemeldet, sie haben keine Aufenthaltspapiere.

Mit ihrer Situation sind Reem und Rawa nicht allein. Erst im heurigen Jänner hat es den aufsehenerregenden Fall der 18-jährigen Rahaf Mohammed al-Kunun aus Saudi-Arabien gegeben. Kunun nutzte einen Aufenthalt in Kuwait, um sich von ihrer Familie abzusetzen. Auch sie wollte eigentlich nach Australien. Sie kam aber nur bis nach Bangkok. Dort drohte ihr die Abschiebung zurück in das arabische Königreich. Kunun half sich mit einer großen Kampagne über Twitter. Die 18-Jährige hatte mit Dutzenden auf Englisch und Arabisch verfassten Tweets und Livevideos auf ihr Schicksal aufmerksam gemacht – und so schlug der Fall international hohe Wellen. Auf Empfehlung der Vereinten Nationen erhielt sie schließlich von Kanada Asyl.

Familien treffen Vorkehrungen

In einem Interview sagte Kunun, sie hoffe, andere Frauen aus ihrer Heimat zur Flucht zu inspirieren. „Ich denke, die Zahl der Frauen, die vor der saudischen Verwaltung und Misshandlungen fliehen, wird weiter steigen. Besonders, weil es kein System gibt, das sie stoppen kann“, so Kunun.

Rahaf Mohammed Alqunun auf dem Flughafen Toronto
AP/Chris Young
Der Fall Kunun sorgte für weltweites Aufsehen. Sie erhielt in Kanada Asyl.

Die Häufung der Fälle wie Reems, Rawas oder Kununs hat längst konservative Familien in Saudi-Arabien alarmiert. Laut dem Magazin „Foreign Policy“ haben viele bereits Vorkehrungen getroffen, um Fluchtgedanken bei Töchtern zu unterbinden. Kunun sei etwa von Freundinnen in Saudi-Arabien kontaktiert worden, dass die Familien ihnen vorsorglich die Reisepässe entzogen hätten.

Fortschritt nur langsam

Valide Zahlen über geflohene Saudi-Araberinnen gibt es nicht, schon gar nicht über Frauen, deren Fluchtversuch gescheitert ist. Laut UNO stieg allerdings die Zahl an Asylanträgen von saudischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger in den vergangenen Jahren stark an. 2017 habe es mehr als 800 gegeben, 2012 noch unter 200.

Laut der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) sind Frauen, die aus dem islamischen Königreich zu fliehen versuchen, in Lebensgefahr. Die Vormundschaftsregel in Saudi-Arabien verbietet ihnen jede größere Entscheidung ohne Einwilligung eines männlichen Verwandten. Sie dürfen auf eigene Faust weder reisen, heiraten, arbeiten noch ausgehen. Unverschleiert darf sich keine Frau in der Öffentlichkeit zeigen, Vollverschleierung von Kopf bis Fuß ist Vorschrift. Zur Bestrafung von unerwünschtem Verhalten können Frauen zu Hause eingesperrt und isoliert werden, immer wieder gibt es Berichte über Misshandlung oder Folter.

Die wenigen Fortschritte im islamischen Königreich gehen langsam voran. Seit Kurzem dürfen Frauen in Saudi-Arabien Auto fahren. Das ist vielen aber zu wenig. „Auto fahren ist nichts, das wir feiern sollten“, sagte Reem zu CNN. „Die Frau wird zu Hause misshandelt, und niemand hört ihre Stimme. Und die wollen, dass wir das Autofahren feiern.“