Pamela Rendi-Wagner
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Sicherungshaft

SPÖ ringt um einheitliche Linie

Die Pläne des Innenministeriums, Sicherungshaft über potenziell gefährliche Asylwerbende zu verhängen, ist am Montag sowohl auf Anklang gestoßen als auch auf Ablehnung – beides in der SPÖ. Die Sozialdemokraten gaben sich gespalten, die Äußerungen reichten von „indiskutabel“ bis „man kann über das reden“. Parteichefin Pamela Rendi-Wagner wollte sich vorerst nicht festlegen.

Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) hatte am Montag bei einer Pressekonferenz neue Pläne im Asylwesen vorgestellt. Mit März werden die Erstaufnahmezentren für Asylwerber (in Traiskirchen und Thalham) in „Ausreisezentren“ umgewandelt. Dort sollen möglichst schnell Reiseroute und Fluchtgründe geprüft werden, und es soll auch sofort eine Rückkehrberatung geben.

Darüber hinaus soll in Bundeszentren eine nächtliche Anwesenheitspflicht von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr gelten. Zumindest auf dem Papier ist diese freiwillig. „Wer das nicht will, für den werden wir einen Ort finden, wo wenig Anreiz besteht, sich dort herumzutreiben“, so Kickl. Auch die bereits am Wochenende thematisierte Sicherungshaft für als gefährlich geltende Asylwerbende soll kommen, so Kickl. Er plant eine Umsetzung nur für Asylwerber und nicht für Österreicher, wie es der designierte burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) vorgeschlagen hatte.

Kickl sagte, Österreich sei nicht der erste EU-Staat, der eine solche Maßnahme vorsehe. Zudem gebe es bereits entsprechende EU-Regeln dafür, diese müsse Österreich nur etablieren. Die Opposition, deren Stimmen er für eine Verfassungsmehrheit braucht, sollte aus dem „Schmollwinkel“, meinte Kickl.

SPÖ-Länderchefs teils gesprächsbereit

Die Oppositionsparteien NEOS und Jetzt hatten sich schnell auf eine Linie festgelegt. Die sicherheitspolitische Sprecherin von Jetzt, Alma Zadic, sprach von „Entwicklungen zu einem autoritären Unrechtsstaat“. Jetzt ist allerdings für eine Mehrheitsfindung nicht relevant – anders als NEOS: Parteichefin Beate Meinl-Reisinger kritisierte Kickl, denn dieser habe „keinerlei neue Fakten oder gar ein Konzept“ geliefert. Ein Einsperren aufgrund einer Gefährdungsprognose sei „auf jeden Fall rechtlich unhaltbar“, eine generelle Präventivhaft könne es mit NEOS nicht geben.

SPÖ zur Sicherungshaft

Diskussion in der SPÖ, ob man mit dem Vorschlag einverstanden ist: Doskozil kann sich die sogenannte Sicherungshaft unter den richtigen Voraussetzungen vorstellen.

Die SPÖ sprach am Montag nicht mit einer Stimme. Bereits am Sonntag hatte Doskozil das Vorhaben einer Sicherungshaft begrüßt und wollte sie auch auf österreichische Staatsbürger im Gefahrenfall ausweiten. Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) wollte sich am Montag nicht festlegen, ob die Sicherungshaft eingeführt werden soll. Die Sache gehöre aus Opfersicht diskutiert.

Nur für Asylwerber soll sie gegebenenfalls aber nicht gelten, stimmte er mit Doskozil überein. Der designierte Tiroler SPÖ-Chef Georg Dornauer meinte: „Man kann über das reden. Aber vor dem Hintergrund der Wahrung aller Grund- und Menschenrechte.“ Menschen „einfach wegzusperren“ gehe „selbstredend“ nicht, so Dornauer.

Deutliches Nein aus Oberösterreich

Ganz anders äußerte sich die oberösterreichische SPÖ-Vorsitzende Birgit Gerstorfer. Sie lehnte die Idee der Sicherungshaft für Asylwerber ebenso ab wie für Österreicher. Das hieße, „jemanden als Räuber zu verurteilen, bevor er einen Raub begangen hat“, und falle „eher in die Kategorie indiskutabel“, so Gerstorfer.

Es gebe ausreichend andere „gute rechtliche Möglichkeiten“, die man ausschöpfen könne. Der Bundesregierung gehe es nicht um die Sicherheit der Bevölkerung, sondern „einzig darum, Asylwerber in Bausch und Bogen zu kriminalisieren“. Dabei nehme man auch in Kauf, „dass der Rechtsstaat ausgehöhlt wird“.

Babler empört

Eindeutig auch die Ablehnung von Andreas Babler (SPÖ), Bürgermeister der Stadt Traiskirchen. Dort steht auch eines der Erstaufnahmezentren, die nun „Ausreisezentren“ werden sollen. „Was Kickl hier ankündigt, bedeutet einen radikalen Angriff auf unsere rechtsstaatlichen Prinzipien, egal ob es Internierung, Sicherungshaft oder sonst wie genannt wird. Dieses Vorgehen ist grundsätzlich abzulehnen. Menschen, egal ob Österreicher oder Flüchtende, auf Verdacht einzusperren, ohne dass sie ein Verbrechen begangen haben, ist in einer entwickelten Demokratie wie unserer, nicht nur ein Tabubruch, sondern für mich ein derber Anschlag auf unser geregeltes österreichisches Rechtssystem.“

Studiogespräch mit Hans Bürger (ORF)

„Wer ist die SPÖ?“ Der Vielklang der Meinungen in dieser Partei ist so groß, wie Hans Bürger (ORF) es überhaupt noch nicht erlebt hat, erläutert er im ZIB-Studiogespräch.

Auch in Richtung seiner eigenen Partei, der SPÖ, meinte der Traiskirchner Bürgermeister, dass es „höchst an der Zeit ist, hier mit einer entschlossenen Stimme diesen gefährlichen Tendenzen entgegenzutreten. Es gibt Dinge, die sind schlicht und einfach nicht verhandelbar“, so Babler per Aussendung.

SPÖ-Chefin wartet auf Taskforce-Resultate

Die Parteispitze gab sich weit zurückhaltender: SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner bestand auf die Einrichtung einer Taskforce: „Für mich stellt sich diese Frage auf der politischen Ebene noch nicht“, so Rendi-Wagner im Ö1-Mittagsjournal und verwies auf die sich im Laufen befindende Aufarbeitung der Messerattacke in Vorarlberg – Audio dazu in oe1.ORF.at. „Solange ich diese Ergebnisse nicht habe, stehe ich für Diskussionen nicht zur Verfügung“, so Rendi-Wagner, die grundsätzlich Eingriffe in die Grundrechte der Bürger ablehnte.

Kritik an „Gesprächsverweigerung“

Kärntens Landeshauptmann und stellvertretender SPÖ-Bundeschef Peter Kaiser bezeichnete die Aussagen seines Parteifreunds Doskozil zur Sicherungshaft am Montag gar als „Einzelmeinung“. Nach seiner Position zur Sicherungshaft gefragt, wollte sich Kaiser nicht explizit festlegen, er forderte eine Analyse der geltenden Gesetzeslage. Per Aussendung übte Kaiser später Kritik an „der Gesprächsverweigerung insbesondere von Bundeskanzler Sebastian Kurz“ (ÖVP) zum Thema Sicherungshaft.

„Nach dem Motto ‚Friss oder stirb‘ zu sagen: ‚Entweder stimmt’s zu oder wir machen’s alleine‘ bei einer so entscheidenden Frage ist für mich an politischer Unkultur nicht zu überbieten", so Kaiser. Er forderte, dass im Fall des erstochenen Amtsleiters in Vorarlberg zunächst analysiert wird, ob der „Mord in Dornbirn auf Basis bestehender Gesetze hätte verhindert werden können“, so Kaiser.

Frauenministerin Juliane Bogner-Strauß (ÖVP) will sich indes aus der Diskussion heraushalten, wie die APA am Dienstag erfuhr. Den Vorschlag von Doskozil kommentierte sie nicht, sondern verwies auf das Justiz- und das Innenministerium. Diese würden eine Lösung finden, sagte sie. Gewalt finde überall, auch bei österreichischen Paaren, statt, räumte die Frauen- und Familienministerin ein. Wichtig ist aus ihrer Sicht aber, Frauen zu ermächtigen, aus der Gewaltspirale herauszukommen.

Lercher kritisiert Zerstrittenheit

Der ehemalige SPÖ-Geschäftsführer Max Lercher hat sich zur Zerstrittenheit der SPÖ via Facebook gemeldet. „Seit zwei Tagen bekommen wir wieder einmal mit, was wir schon so oft erlebt haben: Die Regierung spielt ein Thema aus, und die SPÖ geht im Hickhack um die vermeintlich bessere Position ordentlich baden“, so Lercher. Was die Partei sich bei der „Sicherungshaft“ gegenseitig über die Medien ausrichte, könnten niemanden freuen – „außer unsere Gegner“.

Manche sagten, die anderen wollten die Grundrechte abschaffen und sich dem Rechtsextremismus ergeben, andere sagten, dass ignorante Weltfremde bereit seien, den Erfolg der Bewegung auf dem Altar ihrer Ideale zu opfern, so Lercher in einem umfangreichen Posting. „Nichts davon ist wahr. Es ist der alte Streit zwischen dem angeblich rechten und dem angeblich linken Flügel unserer Partei, der uns noch nie weitergebracht hat“, so Lercher.

Juristen uneinig

Über die rechtliche Möglichkeit einer Sicherungshaft waren sich aber selbst Juristen am Montag uneins: Klare Ablehnung kam von Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk. Es sei „nicht nur bedenklich“, sondern: „Das geht schlichtweg nicht. Das würde sämtliche Grundsätze, auf denen unser Rechtssystem beruht, auf den Kopf stellen.“

Eine solche Maßnahme würde einen staatlichen Eingriff bedeuten, der auf einer Prognose beruht, jemand könnte eine Straftat begehen oder gefährlich sein – ohne dass zuvor eine strafbare Handlung gesetzt wurde oder es ein Gerichtsverfahren gibt.

Der Europarechtler Walter Obwexer von der Universität Innsbruck hielt die Sicherungshaft hingegen für europarechtlich zulässig. Die EU-„Aufnahmerichtlinie“ würde eine derartige Maßnahme ermöglichen, es müsste aber nach der Inhaftierung rasch eine Prüfung durch einen Richter erfolgen, sagte er. Die EU-Aufnahmerichtlinie für Asylwerber und Antragsteller auf subsidiären Schutz (Art. 8, Abs. 2) sehe u. a. vor, „dass die Mitgliedsstaaten eine Inhaftierung vornehmen dürfen, wenn diese Antragsteller eine Gefahr für die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung darstellen“, sagte Obwexer.

Warnung vor Einschränkung der Freiheitsrechte

Klar sei, dass ein EU-Mitgliedsstaat zu einer grundrechtskonformen Implementierung einer solchen Regelung verpflichtet sei: Es gelte, das Grundrecht auf Freiheit und Sicherheit zu beachten, sagte Obwexer mit Verweis auf Artikel 6 der EU-Grundrechtecharta. Das Grundrecht auf Freiheit gelte zwar nicht uneingeschränkt – allerdings brauche es für eine Einschränkung eine gesetzliche Grundlage.

Eine deutliche Warnung sprach die Präsidentin der Volkshilfe Österreich, Barbara Gross, aus: „Jetzt müssen alle Alarmglocken sehr laut schrillen, eine wache Zivilgesellschaft ist aufgefordert, die Einschränkung der Freiheitsrechte zu verhindern“, betonte sie in einer Aussendung.