Die frühere rumänische Chefanklägerin bei Korruptionsdelikten, Laura Kövesi
Reuters/Inquam Photos/Octav Ganea
Topjob in EU

Machtkampf um Korruptionsjägerin

Die Besetzung des Chefpostens der neuen EU-Staatsanwaltschaft ist zum politischen Machtpoker geworden. Grund ist die Favoritin Laura Codruta Kövesi. Sie machte sich in Rumänien als Korruptionsjägerin einen Namen – wurde aber von der Regierung abgesetzt. Jetzt will Bukarest mit aller Macht verhindern, dass Kövesi das EU-Amt bekommt. Denn von dort aus könnte sie für die Politik zur Gefahr werden.

Korruption, Geldwäsche, Missbrauch von Fördergelder: Es sind sind pikante Themen, mit denen sich die neue EU-Staatsanwaltschaft befassen soll. Und es sind Themen, mit denen Kövesi reichlich Erfahrung hat. Als Leiterin der rumänischen Antikorruptionsbehörde erarbeitete sich die 45-jährige Juristin über die Grenzen ihres Landes einen guten Ruf. Zwischen 2013 und 2015 brachte sie Dutzende hochrangige, teils noch amtierende Politiker und Staatsbedienstete vor Gericht, darunter Minister, Bürgermeister, Richter, Personen aus dem Klerus und den ehemaligen Premierminister Victor Ponta.

Doch bei ihrem Kampf gegen die Korruption hat Kövesi womöglich zu viel Staub aufgewirbelt: Letztes Jahr wurde sie von der aus Sozialdemokraten und Liberalen bestehenden Regierung als Leiterin abgesetzt. Ihr wurden unter anderem Machtmissbrauch und Misswirtschaft vorgeworfen. Sie soll sich zudem mit dem rumänischen Geheimdienst verschworen haben. Die Antikorruptionsstelle wurde nach ihrer Entlassung über rechtliche Winkelzüge geschwächt, zahlreiche Ermittlerinnen und Ermittler aus Kövesis Zeit entlassen.

Ermittlungen gegen „Rumäniens oberste Henkerin“

Kövesi selbst wurde damit endgültig Persona non grata. Der Generalsekretär der sozialdemokratischen Regierungspartei PSD nannte sie zuletzt „Rumäniens oberste Henkerin“. Eindeutig ist: Dass Kövesi eine Behörde zur Bekämpfung vom Missbrauch von EU-Geldern übernehmen könnte, stößt in Bukarest auf heftigen Widerstand. Die Koalitionsregierung der PSD und der liberalen ALDE mobilisiert seit Wochen dagegen. Mittlerweile wird auch gegen sie ermittelt. Die ihr vorgeworfenen Vergehen: Falschangaben, Amtsmissbrauch und Bestechungsannahme. Die Vorwürfe stammen von einem Ex-PSD-Abgeordneten, der sich nach Serbien abgesetzt hat.

Doch während Kövesi in Bukarest kalter Wind entgegenschlägt, erhält sie aus Teilen der EU Rückhalt. Am Donnerstag sprach sich der zuständige Ausschuss des EU-Parlaments mit großer Mehrheit dafür aus, Kövesi zur ersten EU-Staatsanwältin zu machen. Auch ein von der österreichischen Juristin Ulrike Haberl-Schwarz geleitetes Expertengremium empfahl die Rumänin als geeignetste Kandidatin.

Die frühere rumänische Chefanklägerin bei Korruptionsdelikten, Laura Kövesi
APA/AFP/Daniel Mihailescu
„Ich weiß, dass Sie negative Informationen über mich gehört haben. Ich habe aber nichts zu verbergen", so Kövesi am Donnerstag

Weniger klar scheint die Lage im Rat der EU-Justizminister zu sein. Bei einer geheimen Abstimmung auf Botschafterebene kam Kövesi nur auf Platz zwei, wurde deutlich von ihrem französischen Konkurrenten Jean-Francois Bohnert überholt. Laut einem Bericht von Euractiv sollen neben Rumänien auch Bulgarien, Polen und Ungarn gegen Kövesi gestimmt haben.

Experte: Nächster Schritt in Untergraben des Rechtsstaats

Für den Politikwissenschaftler Joachim Pranzl von der Forschungsgruppe Osteuropa an der Universität Wien ist der energische Kampf gegen Kövesis Nominierung ein weiterer Schritt im Abbau von Rechtsstaat und Justiz, der 2016 mit der Wahl der aktuellen Regierung ihren Anfang genommen hat. Seitdem finde in Rumänien ein „Untergraben des Rechtsstaates statt, dass es seit dem EU-Beitritt in dieser Form nicht mehr gegeben hat“, so Pranzl zu ORF.at.

Proteste in Rumänien
Reuters/Inquam Photos
Derzeit wird in rumänischen Städten wieder regelmäßig gegen den Justizumbau protestiert, hier Ende Februar in Bukarest

Er schließt sich Einschätzungen an, denen zufolge in Wahrheit der PSD-Vorsitzende Liviu Dragnea im Land die Fäden zieht. Dragnea wurde bereits wegen Anstiftung zum Amtsmissbrauch und Wahlbetrug verurteilt und darf deswegen nicht mehr als Premierminister amtieren. Und: Die Antikorruptionsbehörde hatte unter Kövesi strafrechtliche Ermittlungen gegen ihn eingeleitet. Der Vorwurf ist, dass ein von Dragnea kontrolliertes Bauunternehmen EU-geförderte Aufträge an Land gezogen und anschließend durch völlig überteuerte Rechnungen Fördermittelbetrug in großem Stil betrieben haben soll.

Machtkampf um EU-Staatsanwaltschaft

Die Besetzung des EU-Staatsanwalts wird zum internen Machtkampf. Rumänien versucht offenbar, die Kandidatin aus dem eigenen Land in Verruf zu bringen.

Die Ermittlungen und Dragneas Angst vor dem Gefängnis könnten laut Pranzl das Motiv für das Vorgehen gegen Kövesi sein: „Ich sehe keinen anderen Grund, warum man auf EU-Ebene sonst so aggressiv gegen sie lobbyieren sollte, ohne zu wissen, ob Kövesi überhaupt Staatsanwältin werden könnte.“ Dabei sei es auch nachrangig, dass Rumänien derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat. „Innenpolitisch ist es relativ egal, ob europäische Institutionen Kritik üben. Derzeit werde kommuniziert: ‚Brüssel darf sich nicht einmischen.‘“ Im Hinterkopf hat die Regierung dabei wohl auch, dass ein Superwahljahr bevorsteht. Gewählt wird nicht nur das EU-Parlament, sondern auch der Präsident. Im Jahr darauf folgen Lokal- und Parlamentswahlen.

Dilemma für Europas Sozialdemokraten

Apropos Europawahl: Für die europäischen Sozialdemokraten werden die rumänischen Vorgänge im Justizbereich zunehmend zur Belastung. Als besondere Provokation dürfte dabei wohl gelten, dass Rumänien über die neu geschaffene Sonderermittlungsbehörde für Justizstraftaten (SIIJ) auch Ermittlungen gegen Frans Timmermans eingeleitet hat – er ist nicht nur EU-Vizekommissionspräsident, sondern auch Spitzenkandidat der Sozialdemokraten für die EU-Wahl.

Laut dem SPÖ-Spitzenkandidaten Andreas Schieder habe man der PSD beim Kongress der Europäischen Sozialdemokraten in Madrid Ende Februar ein Ultimatum gestellt. Rumänien sei gesagt worden, sie müssten die eingeführten umstrittenen Justizmaßnahmen zurücknehmen, „oder ihr müsst gehen“, so Schieder zur APA. In Bezug auf Rumänien befindet sich die Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament (S&D) in einer ähnlichen Lage wie die Europäische Volkspartei (EVP), die um den richtigen Umgang mit der ebenfalls starken FIDESZ ringt. Beide Parteien gelten als wichtige Pfeiler für ihre europäischen Fraktionen. So stellt Rumänien in der S&D 13 Abgeordnete – das sind die viertmeisten.

Zukunft Kövesis noch in Schwebe

Wie es mit Kövesi und der Europäischen Staatsanwaltschaft weitergeht, dürfte sich unterdessen noch vor der EU-Wahl entscheiden. Im nächsten Schritt müssen sich die Staaten und das Parlament auf einen Kandidaten oder eine Kandidatin einigen. Dafür treffen sich Vertreter und Rat am Donnerstag – Kövesi ist am selben Tag von der rumänischen Sonderermittlungsbehörde vorgeladen worden. Über den gemeinsamen Kandidaten muss dann noch im Parlament abgestimmt werden. Dort braucht es eine einfache Mehrheit.

Die Europäische Staatsanwaltschaft soll dann Ende 2020 in Luxemburg ihre Arbeit aufnehmen und sich zunächst Straftaten mit Bezug zu EU-Geldern widmen. Tätig wird sie allerdings nur in 22 EU-Staaten: Dänemark, Großbritannien, Irland, Polen, Schweden und Ungarn haben eine Teilnahme verweigert.