Model trägt eine Kreation der Saint-Laurent-ready-to-wear-Herbst-Winter- Kollektion
Reuters/Regis Duvignau
Paris Fashion Week

Baby, ich brauch mehr Strom

Paris hat sich in diesem Frühjahr ein Bilderbuchmotto zu Herzen genommen: „Baby, ich brauch mehr Strom“. Denn auch wenn es bei der laufenden Paris Fashion Week um den Herbst/Winter geht, so sollen Farben leuchten. Bei den einen, als wäre der Strom in den Kunstpelz geschossen, im Neon im Stil der 1980er Jahre. Bei den anderen trägt man wieder Pastell. Und wem das nicht genug ist, der darf mit Dior feministisch zurück bis in die 1950er.

Der Kaiser ist weg, es lebe der Kaiser! Wenige Tage nach dem Ableben des schillernden Karl Lagerfeld fehlt der Pariser Modeszene vielleicht ihre auffälligste Kunstfigur. Pompöse Trauer über den Manque de Karl trägt man aber nicht. Nicht einmal bei Chanel oder im Lagerfeld-Flagship-Store im Marais wollte man zur großen Geste ausholen. Die Mode sei kurzlebig, kommentierte Lagerfeld mit hanseatischer Trockenheit den Kunstcharakter seiner Arbeit. Und: The shows, auch jene auf Rive Gauche wie Rive Droite in Paris, must go on. Bei Dior erinnerte die Chefdesignerin an ihre gemeinsame Zeit mit Lagerfeld bei Fendi und ließ Botschaften auf die Sitze bei der Schau im Musee Rodin auslegen: „Zu Ehren des Alchimisten der Eleganz und Schönheit, Karl Lagerfeld.“ Das war dann aber auch schon das Maximum an Erinnerungspathos.

Gedenken an den verstorbenen Modezar Karl Lagerfeld in einer Auslage in Paris
ORF.at/Michael Höck
„With love forever“ statt Bombast: Erinnerungen an den Meister im Lagerfeld-Store im Marais

YSL und Dior: A Fashion World apart

Yves Saint Laurent und Dior waren bei dieser Fashion Week, wenig überraschend, die großen Magneten, nicht nur was den Starauflauf im Publikum betrifft. Und auch wenig überraschend hatten die Entwürfe von Anthony Vaccarello für YSL und Maria Grazia Chiuri für Dior wenig Verbindendes. Zelebrierte Vaccarello mit seinen klaren von der Schulter weg betonten Schnitten seine Liebe für jenen Teil der 1980er, wo sich Wave und greller Lipstick treffen, holte Chiuri in ihrem seit 2017 zelebrierten Sisterhood- und Feminismusgestus so weit nach hinten aus, dass sie bei den „Teddy Girls“ der 50er Jahre landete. Doch Feminismus in den frühen 50ern, man darf sich erinnern, das waren Tabubrüche auf der Radikalitätsskala einer britischen Prinzessin, die statt eines Local-Designer-Dresses ein französisches Modell aus dem Hause Dior trug.

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Ready to Wear als Ready to Flausch. Neon trifft Kuschelstoff bei Saint Laurent
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Beispiele von Yves Saint Laurent: Ready to Wear als „Ready to Flausch“. Neon trifft Kuschelstoff.
Anthony Vaccarello liebt die starke Schulterpartie. Muster und Designs dienen bei ihm immer dem Schnitt und überbetonen diesen fast. Das Kunstlicht hilft noch kräftig mit
Reuters/Regis Duvignau
Anthony Vaccarello liebt die starke Schulterpartie. Muster und Designs dienen bei ihm immer dem Schnitt und überbetonen diesen fast. Das Kunstlicht hilft noch kräftig mit.
Das Modell, bei dem auf der Autobahn in der Nacht die Warnwestenpflicht entfällt.
Reuters/Regis Duvignau
Das Modell, bei dem auf der Autobahn in der Nacht die Warnwestenpflicht entfällt
Es darf im Winter 2019 auch schwarz sein. Und im Schnitt mehr als klassisch
Reuters/Regis Duvignau
Es darf im Winter 2019 auch schwarz sein. Und im Schnitt mehr als klassisch.
Models präsentieren Kreationen von Maria Grazia Chiuri im Haus Dior
Reuters/Stephane Mahe
Beim Set-up der Show ließ sich Dior auch in diesem Jahr nicht lumpen
Models präsentieren Kreationen von Maria Grazia Chiuri im Haus Dior
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Maria Grazia Chiuris Sisterhood-Konzept braucht auch Sisters mit Hut
Models präsentieren Kreationen von Maria Grazia Chiuri im Haus Dior
Reuters/Stephane Mahe
Eine der wenigen Momente, wo Dior auch wie Dior aussah in diesem Februar in Paris

„Sisterhood is global“

„Sisterhood is global“ war also auf Printshirts bei Dior zu lesen – und in der Auflösung trifft sich da ein Stilmix, der den Flauschrolli mit einem durchsichtigen Rock samt Blumenimprint und breitem Gürtel zu mischen wusste. Wenn das die Inspiration des Anti-Establishments sein sollte, wie manche schrieben, dann weiß man freilich auch, dass man in dieser Kategorie immer bei Westwood besser bedient wird – und dafür eigentlich nicht Dior sucht.

YSL wiederum glänzte mit Kreationen im Kunstlicht. Dass die Models immer aus dem Dunkel kamen, betonte die Schnittlinie. Von der Schulter runter, die Ärmel ausgestellt, alles sehr kastig und kantig. Nicht radikal neu, aber was ist das schon, würde man wieder mit Lagerfeld sagen. Und im Sinne der Lagerfeld’schen Linien, dass Kreation und Marke zusammenpassen sollen, punktete YSL einen Tick besser als Dior.

Van Noten und die Beruhigung des Blicks

Das Fest fürs Auge fanden andere ohnedies bei den etwas kleineren, feineren Venues. Betont dunkel und düster im Dekor wählte es Dries Van Noten aus. Der Antwerpener Designer mit der Liebe zu feinem Stoff, Blumen und klaren Schnitten verzückte mit Pastellfarben, einer klaren Formensprache und der Fortsetzung seiner Sommermode. Und die ist ja heuer betont blumig, ja rosig (in der Dekorwahl, nicht in der Farbe). Und im Herbst nimmt Van Noten die Blume eine Spur weit zurück und löst die tiefe Farbe in die zarteren Töne von Türkis, Flieder und Mint auf. Die Schnitte setzen die Van-Noten-Handschrift fort.

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Models präsentieren Kreationen von Simon Porte Jacquemus
Reuters/Stephane Mahe
Jacquemus und der Marschschritt an der Bäckerei vorbei. Auch hier wird der Winter farbig. Und wenn Ärmel, dann sind sie lang.
Model präsentiert Kreationen von Simon Porte Jacquemus
Reuters/Stephane Mahe
So geht der Winter bei Jacquemus: Man steht in dicker Wolle vor dem Haus in der Provence. Wird sich vielleicht nicht allerorts bewahrheiten.
Models präsentieren Kreationen von Dries Van Noten
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Wer mit Dries Van Noten in den Bunker geht, bekommt meist dezente Farbigkeit, weite Schnitte – und ein bisschen floral Bedrucktes
Models präsentieren Kreationen von Dries Van Noten
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Feine Akzente, leuchtende Blumen – zurückgenommener als bei der heurigen Sommermode wird der Winter mit Van Noten
Models präsentieren Kreationen von Mugler
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Casey Cadwalladers zweite Saison bei Mugler versucht die klare, enge Linie des Modehauses zu interpretieren – und setzt bei der Linienführung auf Geschwungenes
Model präsentiert Kreationen von Mugler
AP/Kamil Zihnioglu
Schwarz trifft den sinnlichen Durchblick auf dem Laufsteg bei Mugler
Models präsentieren Kreationen von Ann Demeulemeester
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Schillernd, rockig, weit, geschwungen und mit dem Mut, sehr kontrastreiche Farben zusammenzubringen oder übereinanderzulegen, bei Ann Demeulemeester

Von Jacquemus bis Demeulemeester

Simon Porte Jacquemus, einer der jüngeren Shootingstars auf dem Pariser Modehimmel aus dem Süden Frankreichs, ist auch bei der Betonung des Schnitts angekommen. Statt eng und durchsichtig ist nun alles weiter und luftiger bei ihm gefasst. Seine „Place Jacquemus“, ein Marktplatz aus dem Süden Frankreichs, hat zumindest für den Winter kein „Bonjour tristesse“ auf Lager. Wer das ins Büro trägt, der fällt bestimmt in der raumgreifenden Art der Entwürfe auf. Ob man freilich die ganz kleine Tasche von Jacquemus benötigt, die nun auch in Paris vorgestellt wurde, darf bezweifelt werden.

Die Akzente der Avantgarde

Wie immer macht es die Breite in Paris, und auch der Blick auf die nicht so großen Labels. Ann Demeulemeester etwa, Teil der „Antwerp Six“ und einstige Dekonstruktivistin der Mode, zeigte am Donnerstag, dass man einmal mehr die fließende Form bei den Hosen und den starken Mut zur Kontrastfarbigkeit (Schwarz trifft Gold vom rechten zum linken Hosenbein) zelebrieren kann. Wie so oft liebt sie die Überlagerung der Materialen und Farben und erzeugt neue, unerwartete Töne. Und vor allem viel Volumen. Ihre Mode ist eine Mischung aus Patty Smith und Glamour. Und obendrauf sitzt bei diesem Spagat der schwarze Glockenhut mit breiter Krempe.

Die breitesten Variationen im Bereich der Avantgarde tischte in Paris vielleicht erneut Glenn Martens auf. Die Kombination aus Flandern und Frankreich beim Pariser Label Y/Project setzt erneut auf das Spiel zwischen Dresscode und Dekonstruktion der Regeln. Wenn viele gerade die Sprache von early Margiela bemühen, so hat Martens in diesem Feld seine eigene Ästhetik gefunden. Höchst experimentell trifft sich da mit tragbar, und auch bei den Formen, Farben und eingesetzten Materialien ist Y/Project erfrischend undogmatisch. Auch die „Vogue“ ergötzte sich in diesem Jahr sehr an den Kreationen des Antwerpeners in Paris.