Matthias Noggler’s „Ohne Titel“
Courtesy der Künstler und Galerie Emanuel Layr, Wien/Rom
Belvedere 21

Die Kunst der Millennials

Instagram ist ihre Auslage, Offspaces sind ihre Galerien, und sie machen sich gerne die Hände schmutzig: Im Belvedere 21 stellt die längst fällige Gruppenschau „Über das Neue“ die Kunst der Wiener Millennials vor. Die mit dem Internet aufgewachsene Künstlergeneration hat mit digitalen Medien wenig am Hut und will lieber das Material wieder spüren.

Alles begann mit einem kleinen Loch. Für eine Serie von Skulpturen hat Angelika Loderer im Garten nach verlassenen Maulwurfsgängen gesucht und diese mit Gips ausgegossen. Anschließend produzierte die 1984 geborene Künstlerin daraus Bronzen. Wer diese Geschichte kennt, muss über Loderers längliche, gewundene Plastiken schmunzeln; ohne den Entstehungskontext könnte man die runzeligen Teile leicht für Ausschussware des berühmten Bildhauers Alberto Giacometti halten.

Eine Art von Underground fördert auch das Belvedere-Kuratorenduo Luisa Ziaja und Severin Dünser in seiner gelungenen Schau zutage. Sie holen nicht nur 18 Newcomer ins Rampenlicht, sondern auch ein Dutzend Offspaces, also von Künstlerinnen und Künstlern betriebene Räume. Diese Alternativgalerien werden wiederum Ausstellungen in der Ausstellung gestalten.

Fotostrecke mit 7 Bildern

Die collagierten Wandarbeiten von Nana Mandl als Blickfang der Schau
esel.at
Die collagierten Wandarbeiten von Nana Mandl als Blickfang der Schau
Philipp Timischl verpasst seinen Videoarbeiten Überzüge mit Gesichtern
esel.at
Philipp Timischl verpasst seinen Videoarbeiten Überzüge mit Gesichtern
Blick in die Ausstellung mit Angelika Loderers Bronzeskulpturen „Schüttlöcher“
Belvedere/Wien/kunst-dokumentation.com
Blick in die Ausstellung mit Angelika Loderers Bronzeskulpturen „Schüttlöcher“
Messer und Scheren im Kreis angeordnet von Lucia Elena Prusa
esel.at
Messer und Scheren im Kreis angeordnet von Lucia Elena Prusa
Barbara Kapusta, Videostill von „Empathic Creatures“
Courtesy die Künstlerin und Gianni Manhattan, Wien
Barbara Kapusta, Videostill von „Empathic Creatures“
Minimalistischer Hutständer: Pulverbeschichtete Skulpturen von Sasha Auerbach
Belvedere/Wien/kunst-dokumentation.com
Minimalistischer Hutständer: Pulverbeschichtete Skulpturen von Sasha Auerbakh
Lukas Posch malt am Rücken liegende Katzen in X-Form
Belvedere/Wien/kunst-dokumentation.com
Lukas Posch malt auf dem Rücken liegende Katzen in X-Form

Seit gut sechs Jahren erlebt die Stadt eine Gründerwelle von selbstorganisierten Orten und Clubs. In den von außen meist unscheinbaren Offspaces treffen sich Künstlerinnen und Künstler auf ein Bier, tauschen sich aus und helfen sich gegenseitig über die Jahre nach dem Diplom, in denen die Karriere auf Schiene kommen sollte.

„Glücksfall“ für das Belvedere

„Ich finde diese Ausstellung mutig. So etwas hat in Wien gefehlt“, sagte die Künstlerin Marina Sula, die mit einer Installation vertreten ist, über den Auftritt ihrer Generation. Früher boten die Secession und die Kunsthalle Wien Überblicksausstellungen zur jungen heimischen Kunst, aber diese Häuser haben schon länger keine Scouts mehr auf Nachwuchssuche geschickt. „Ein Glücksfall für uns!“, betonte Stella Rollig, die Direktorin des Belvedere, bei der Pressekonferenz.

Schwer ist es nicht, neue Positionen aufzutun: Schon die Kunsthochschulen laden zu Klassen- und Diplomausstellungen; die Absolventinnen und Absolventen warten heutzutage auch kaum auf ihre „Entdeckung“ durch einen Galeristen oder Kurator, sie organisieren stattdessen selbst Ausstellungen in den mittlerweile 60 Alternativgalerien der Stadt.

Ölmalerei auf dem Flatscreen

Der Künstler Lukas Posch, Jahrgang 1988, hat vier Jahre lang mit Kollegen den vor Kurzem geschlossenen Raum wellwellwell betrieben. „Ich habe schon sehr viel dabei gelernt, weil du versuchen musst, andere Künstler zu verstehen“, sagte der Absolvent der Angewandten. Jetzt sei er aber auch froh, nicht mehr als „Hausmeister“ für einen Offspace zu fungieren und mehr Zeit für die eigene Kunst zu haben.

Wie Computerscreens sehen die schwarzen Flächen aus, auf die Posch korallenartige Strukturen gemalt hat. Auf dem Bildschirm habe man es ständig mit Images zu tun, die einen anstrahlen. So wie Korallen aus dem Meereswasser allerlei Nährstoffe herausfiltern, setzen sich auch beim digitalen Konsum Bilder fest, ohne dass wir als User dessen gewahr werden.

Ausstellungshinweis

„Über das Neue. Junge Szenen in Wien“ im Belvedere 21, bis 2.6.

„Generation Remix“

Das Internet selbst als Material für Gemälde, Collagen, Animationen verwenden: Das ist die Strategie der Post-Internet-Kunst, die als einer der wenigen Stiltrends die 2010er Jahre geprägt hat. Die Künstlerin Nana Mandl verwendet hingegen lieber den Begriff „Generation Remix“. Sie collagiert auf dem Computer buntes Material und präsentiert es in Form von Tapeten, die sie wiederum mit Objekten kombiniert.

Bei ihrer aktuellen Arbeit heißt es „Auf ins Kinderzimmer“: Mit „Bravo“-Postern und Stickern zum Aufbügeln zitiert die 1991 in Graz geborene Künstlerin eine Epoche, in der Teenager noch nicht auf Smartphones starrten und Jugendkultur sich vor allem über Lieblingsobjekte ausdrückte.

Handarbeit auf dem Vormarsch

Junge Typen mit Handys bevölkern die neuen Aquarelle von Matthias Noggler (siehe Bild ganz oben). Der geborene Tiroler stellt sie in Gruppen und aus einer spannenden Perspektive dar. Der Betrachter sieht die Jugendlichen so, als würde er selbst wie ein Käfer auf dem Rücken liegen und von unten hinaufschauen. Auf einem Blatt fallen stachelige Kastanien herab, so als würden sie einem ins Gesicht fallen.

Nogglers Figuren wirken zwar nicht aggressiv, aber durch die räumliche Komposition entstehen prekäre Szenarios. Zum Thema Kollektiv versus Individuum entstanden seit den 1990er Jahren viele Videoarbeiten. In „Über das Neue“ spielt Videokunst so gut wie keine Rolle, dafür bietet sie elaborierte Zeichnungen und Malereien.

Surrealistische Szenarios

„Es ist vielen der jungen Künstlerinnen und Künstler wichtig, dass sie etwas können und sich an einer Sache abarbeiten“, sagte Kuratorin Ziaja und ortet ausgerechnet bei den Digital Natives ein Streben nach Kunstfertigkeit, das der Vorgängergeneration noch suspekt war. Ihr Kollege Dünser verweist auf die Gemälde von Marc-Alexandre Dumoulin, der in Kanada geboren ist und zum Doktoratsstudium nach Wien kam.

In einem aufwendigen Malprozess entstehen surrealistische Szenarios, die an Nachtbilder denken lassen. Durch ihre Dunkelheit und die glänzenden Lasuren lassen sich die Bilder kaum als Foto reproduzieren. „Ich lese darin schon auch eine Haltung, die sich gegen die gängige Vermarktung von Kunst auf Instagram richtet“, meinte Dünser zu Dumoulins Strategie.

Immun gegen Politik?

Die Millennials würden lieber Selfies schießen und Kommentare posten, als echt auf Demonstrationen zu gehen. So lautet eines der negativen Vorurteile über die vermeintlich unpolitische Generation Y. Und in der Tat sind Statements gegen Rechtsruck und Rassismus in der Schau rar. Etwas versteckt ist eine Installation des Künstlers Johannes Gierlinger zu finden, die sich mit politischer Radikalisierung in der polnischen Stadt Bialystock einst und heute beschäftigt.

Gierlinger hat zu dem Thema einen Film produziert, der demnächst beim Filmfestival Diagonale in Graz läuft. Seine Sammlung von Videointerviews, Fotos und Textmaterial fällt aus dem Duktus der werkorientierten Schau heraus. Eine Immunisierung gegen den Vorwurf, unkritisch zu sein?

Sex, Sex, kein Sex

Auch das Gender-Thema, das an der Akademie der bildenden Künste einen enormen Boom erlebt hat, tritt in der Schau in den Hintergrund. Fein säuberlich hat Lucia Elena Prusa auf einer runden Plattform Messer versammelt, die zwar Assoziationen zu den jüngsten Gewaltverbrechen gegen Frauen wecken könnten, aber doch nicht konkret in diese Richtung deuten.

Dahinter liegen – auch im Kreis versammelt – Damenslips, so als wären sie gerade erst ausgezogen worden. Die Künstlerin hat die Textilien mittels härtender Flüssigkeit in Skulpturen verwandelt. Wer von der Kunst der Millennials Sexiness erwartet, der sollte sich auf solche Versteifungen gefasst machen.