Sonne am Himmel
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Klimamanipulation

Riskanter Plan zur Rettung der Welt

Die Erderwärmung schreitet unaufhaltsam voran. Während die Meeresspiegel steigen, schmelzen die Gletscher ebenso dahin wie die Hoffnungen, das Weltklima noch retten zu können. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen arbeiten daher bereits an einem „Notfallplan“. Doch es ist ein Plan, von dem sie sich wünschen, dass er nie zum Einsatz kommen muss.

21 Porträts von Nobelpreisträgern zieren die steinerne Seitenmauer der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich. Eines zeigt Albert Einstein, der mit seiner Relativitätstheorie das damalige Weltbild revolutionierte. Mehr als hundert Jahre später bedarf es, so ist sich die Wissenschaft einig, einer neuen Revolution.

„Manche sprechen davon, dass es für die Rettung des Klimas eine Revolution in der Größenordnung der industriellen Revolution braucht“, sagt der Klimaexperte Matthias Schwarz von der ETH im Gespräch mit ORF.at.

Unkalkulierbares Risiko oder letzter Ausweg?

Von einer Revolution ist man derzeit aber noch weit entfernt. Die Treibhausgasemissionen steigen weiter, jährlich werden Klimarekorde gebrochen. Und die Zeit drängt. Um die Pariser Klimaziele noch erreichen zu können, dürfe es spätestens ab 2050 weltweit netto keine klimaschädlichen Treibhausgasemissionen mehr geben.

Somit richtet sich der Blick zunehmend auf jenen Bereich, der von Experten und Expertinnen lange ausgeblendet und als Science-Fiction-Fantasie abgetan wurde: Geoengineering – die künstliche Manipulation des Klimas. Während hier die einen vor unkalkulierbaren Risiken warnen, sehen andere darin den womöglich letzten Ausweg im Kampf gegen die Klimakatastrophe.

Pariser Klimaabkommen

195 Länder haben sich 2015 auf der Pariser Klimaschutzkonferenz auf einen globalen Aktionsplan geeinigt, der die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius gegenüber vorindustriellen Werten begrenzen soll. Festgelegt wurde etwa ein festes CO2-Budget – eine Obergrenze für Emissionen, die maximal freigesetzt werden dürfen.

Thermostat der Erde künstlich regulieren

Der wissenschaftlich recht unscharfe Begriff des Geoengineerings umfasst all jene Technologien, durch die das Klimasystem vorsätzlich geändert und die Temperatur auf der Erde dadurch künstlich reguliert werden kann. Zu diesen zählt etwa auch das Fachgebiet der experimentellen Atmosphärenphysikerin Ulrike Lohmann: das Solar Radiation Management (SRM). Beim Strahlungsmanagement spielen vor allem die zwei unterschiedlichen Arten von Wolken eine große Rolle: jene, die kühlend, und jene, die wärmend auf das Klima wirken. Tiefe Wasserwolken reflektieren das Sonnenlicht und agieren dabei wie ein Sonnenschirm. Sie kühlen. Gäbe es sie nicht, wäre es einer Studie zufolge auf der Welt um acht Grad wärmer.

Forscherin
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2007 erhielt die Meteorologin Ulrike Lohmann gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen den Friedensnobelpreis für ihre Mitarbeit am IPCC-Klimabericht – ein Bericht, der von Jahr zu Jahr konkreter und alarmierender wird

Höher stehende Wolken hingegen lassen viel Sonnenlicht durch und wirken ähnlich wie Treibhausgase, da sie die Sonnenstrahlen nicht zurück in die Atmosphäre reflektieren. Die Folge: Die Erde heizt sich auf. Abkühlung kann folglich auf zwei Arten geschaffen werden: „Entweder sorge ich dafür, dass die tiefen Wolken noch mehr Sonnenlicht reflektieren, indem ich mehr von ihnen erzeuge, oder ich versuche, die hohen Wolken zu eliminieren“, so Lohmann gegenüber ORF.at.

Große Unsicherheiten bei ungewollten Nebenwirkungen

Die Idee, neue Wolken zu schaffen, indem Schwefeldioxid in die Stratosphäre gebracht wird, ist inspiriert von Vulkanausbrüchen der vergangenen Jahrzehnte. Der Ausbruch des Pinatubo auf den Philippinen etwa führte 1991 zu einem vorübergehenden globalen Temperaturabfall von 0,5 Grad. „Dass es sich hierbei um eine effektive Maßnahme handelt, wurde uns von der Erde selbst bewiesen. Wenn allerdings der Mensch das macht, kommen große Unsicherheiten hinzu“, sagt ETH-Klimaexperte Schwarz, der das Klima als ein „stark in sich verflochtenes System“ beschreibt: „Wenn man an einer Schraube dreht, bewegt sich viel mit.“

Forscher
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Auch der Klimaexperte Matthias Schwarz zeigt sich Solar Raditation Management gegenüber skeptisch und warnt vor „großen Unsicherheiten“

Ähnlich sieht das Lohmann: „Diese Klimaengineering-Techniken sind umstritten.“ Man bewege sich immer noch auf der Ebene der Modellsimulation – und auf dieser gebe es nach wie vor große Unsicherheiten. „Um zu sehen, ob etwas wirklich funktioniert, muss man es in der Atmosphäre ausprobieren. Und da können immer ungewollte Nebenwirkungen hinzukommen“, meint Lohmann.

Zwar wisse man bereits, dass zu viele Aerosolpartikel in der Stratosphäre etwa die Ozonschicht abbauen oder zu einer Verschiebung der Niederschlagsgebiete führen können, trotzdem bedürfe es noch viel Forschung. Die Technologien würden noch in den Kinderschuhen stecken. Ein Einsatz zu diesem Zeitpunkt wäre nach Meinung der Klimaforscherin folglich „viel zu früh“.

Solar Radiation Management als Symptombekämfpung

Generell handle es sich bei SRM auch lediglich um eine „reine Symptombekämpfung“. Das Problem der Versauerung der Ozeane etwa könne dadurch nicht gelöst werden, da nach wie vor CO2 aus der Erdatmosphäre von den Meeren aufgenommen werde und der pH-Wert dadurch sinke. Dem Temperaturanstieg müsse daher langfristig durch Emissionsreduktion begegnet werden. Eingebettet in eine vernünftige globale Energiepolitik könnte SRM aber durchaus eine Rolle spielen, zeigt sich die Meteorologin überzeugt. Zumindest als „kurzfristige und zusätzliche Maßnahme“.

Sei das nicht der Fall, drohe ein gefährlicher Terminationseffekt: „Wird mit dem SRM schlagartig aufgehört, habe ich einen riesigen Sprung in der Temperatur. Und diese abrupte Erwärmung wäre sehr problematisch“, warnt die Klimaforscherin. Denn diese rapide Klimaänderung würde um ein Vielfaches schneller eintreten als der jetzige ohnehin schon sehr schnell verlaufende Klimawandel.

„Wie lange geht das gut?“

Hinzu kommen geopolitische Spannungen, die entstehen könnten, wenn einzelne Nationen beginnen, individuell SRM-Maßnahmen zu implementieren. „Natürlich könnten wir SRM als Schweiz oder Österreich machen, aber dann könnte es sein, dass die Abkühlung anderswo eintrete. Die Auswirkungen sind immer global spürbar“, erklärt Lohmann und fordert daher internationale Beschlüsse und Kontrollen.

Sie selbst warnt davor, die Initialhürde zu überschreiten und sich mit dem Einsatz von SRM-Maßnahmen auf den „Slippery Slope“ zu begeben. „Wenn ich erst einmal anfange zu rutschen, geht es immer schneller weiter. Das heißt, das SRM müsste immer weiter verstärkt werden. Die Frage ist dann nur: ‚Wie lange geht das gut?‘“ Und: "Wie stellen wir sicher, dass trotzdem große Anstrengungen unternommen werden, um Emissionen zu reduzieren?“

ETH Zürich
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An der ETH Zürich forschen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen an neuen Technologien im Kampf gegen die Klimakrise

CO2-„Staubsauger“ ermöglicht Reduktion von 90 Prozent

Eine andere Möglichkeit, das Klima positiv zu beeinflussen, stellt Carbon Dioxide Removal (CDR) dar. Im Gegensatz zu SRM werden hier nicht nur Symptome bekämpft, sondern die Ursache der anthropogen bedingten Erwärmung: Die Treibhausgase. Ein Weg, das klimaschädliche CO2 zu entfernen, ist die Technik des Carbon Capture und Storage (CCS).

Kohlendioxid wird bei der CO2-Abscheidung und -Speicherung wie durch einen Staubsauger direkt von stationären Anlagen wie Kohlekraftwerken abgeschieden und in unterirdische Reservoirs, im besten Fall dauerhaft, eingelagert. Statt das Klima aufzuheizen, befände sich das CO2 also für Hunderttausende Jahre tief im Boden, wo es geologisch in Sedimentschichten gespeichert wird.

„CCS kann dabei helfen, den CO2-Ausstoß kurzfristig, schnell und markant zu reduzieren. Wir sprechen da von einer Reduktion von über 90 Prozent“, sagt Daniel Sutter vom Institut für Verfahrenstechnik an der ETH gegenüber ORF.at. Weltweit wird die Technik derzeit in 17 Anlagen angewendet und weiterentwickelt. In Norwegen gebe es etwa ein Projekt, wo CCS bereits seit 1996 zum Einsatz kommt. Jährlich werde hier etwa eine Million Tonnen CO2 gespeichert, erzählt Sutter.

Greenpeace: Tickende Zeitbombe unter der Erde

Leider gebe es, so Sutter, immer noch eine große Skepsis gegenüber CCS. Wenn Greenpeace etwa von einer „tickenden CO2-Zeitbombe“ spreche, die jederzeit zu explodieren drohe und zu einem Erstickungstod führen könne, transportiere das „falsche Vorstellungen“, da CO2 als nicht brennbares Gas gar nicht explodieren könne und sich bei der Speicherung im tiefen Untergrund langsam zu einem Feststoff umforme. Laut ihm ist die Technologie bereits voll entwickelt und „absolut funktionsfähig“.

Forscher
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Die Klimaforscher Daniel Sutter, Anne Streb und Johannes Tiefenthaler vor dem CCS-Modell. Sie wünschen sich zwar, dass ihre Arbeit nicht zum Einsatz kommen muss, glauben aber, dass es letztlich unvermeidbar ist.

Rückendeckung bekommt er von Marco Mazzotti, dem Leiter des Instituts: „CCS ist eine relativ neue Sache. Die Bevölkerung versteht noch nicht ganz, wie es funktioniert, viele haben den Eindruck, man hätte keine Kontrolle darüber. Aber das stimmt nicht. Es gibt genügend gute Monitoring-Methoden.“

„Diese 35 Gigatonnen CO2, das sind wir alle“

Mazzotti sieht die Schwierigkeiten woanders: „Natürlich könnten wir die Technologie noch ein bisschen besser, billiger oder effizienter machen. Das wahre Problem ist aber, dass es für Unternehmen immer noch billiger sein wird, CO2 einfach in die Atmosphäre entweichen zu lassen“, so der Professor. Das CCS-System in Norwegen gebe es etwa nur wegen der 1991 eingeführten CO2-Steuer.

Was jeder und jede tun kann

Es gibt viele kleine Schritte, die jeder und jede auf einem möglichen Weg aus der Klimakrise gehen kann. Neben dem Verzicht auf Flugreisen und dem Umstieg auf erneuerbare Energien spielt auch der Fleischkonsum eine große Rolle – mehr dazu in Kleine Schritte gegen die Klimakrise.

Er fordert internationale rechtliche Rahmenbedingungen, die auch die Frage der Haftung klären sollten: „Wenn man CO2 unterirdisch speichert, bleibt es dort für Hunderte von Jahren. Aber wer übernimmt die Verantwortung dafür? Was passiert, wenn es das Unternehmen irgendwann nicht mehr gibt?“ In Kanada etwa werde die Haftung für CCS-Systeme dem Staat übertragen.

Dennoch nimmt Mazzotti auch jeden Einzelnen in die Verantwortung. „Diese 35 Gigatonnen CO2, das ist nicht irgendein böser Typ, der irgendwo sitzt und CO2 ausstößt. Das sind wir alle. Die einzige Art, CO2 zu reduzieren, ist, wenn wir alle reduzieren. Es ist einfach“, sagt Mazzotti. Und fügt hinzu: „Aber schwer zugleich.“

Erneuerbare Energien keine hundertprozentige Lösung

Um die Pariser Klimaziele erreichen zu können, da ist sich die Fachwelt einig, braucht es „negative Emissionen“. Denn selbst wenn der Umstieg auf 100 Prozent erneuerbare Energien gelingen sollte, gibt es immer noch Bereiche, wo CO2 aus der Atmosphäre zurückgeholt werden müsste – etwa die Zementindustrie. Sie ist weltweit für rund fünf Prozent aller Treibausgase verantwortlich. Die britische Zeitung „Guardian“ sprach von Beton kürzlich als dem „schädlichsten und zerstörerischsten Material auf dieser Welt“.

Forscher vor Maschine
ORF.at/Tamara Sill
Tiefenthaler beim Betonrecycling: An der ETH wird an Prozessen geforscht, die eine CO2-neutrale Welt ermöglichen sollen

„Viele wissen gar nicht, dass beim Herstellen von Zement massive Emissionen entstehen. Ungefähr ein Drittel könnte durch den Einsatz erneuerbarer Energien vermieden werden – doch die restlichen zwei Drittel werden direkt bei der Produktion freigesetzt“, erklärt Johannes Tiefenthaler. Er forscht an technischen Verfahren, mit Hilfe derer die Zement- und Betonindustrie durch Recycling CO2-neutral werden soll. So könne Beton am Ende seines Lebenszyklus beispielsweise mit CO2 versetzt und dadurch als Kiesersatz für neuen Beton verwendet werden, erklärt Tiefenthaler.

„Wir greifen im Moment nach jedem Strohhalm“

Doch auch die Verfahrenstechniker sehen ihre Technologien lediglich als zusätzliche Maßnahme und nicht als Freifahrtschein, um so weitermachen zu können wie bisher. „Wir sollten uns wirklich bemühen, jetzt den Ausstoß von Treibhausgasen so schnell wie möglich zu reduzieren und zu vermeiden. Das ist die beste und auch billigste Variante“, so Sutter.

Seine Kollegin Anne Streb meint: „Wir würden uns wünschen, dass man CCS nicht braucht. Dass die Emissionen so schnell reduziert werden, dass es gar nicht nötig ist. Aber ich glaube, daran glauben wir alle nicht." Die Entwicklung von CCS als Technologie zur Emissionsreduktion würde ihrer Meinung nach nicht bedeuten, dass andere Reduktionsstrategien aufgeschoben werden könnten, sondern vielmehr veranschaulichen, dass der Klimawandel so schnell voranschreitet, dass andere Maßnahmen alleine nicht mehr ausreichen: „Das zeigt, wie schnell wir eigentlich in eine Richtung gehen, die sehr beängstigend ist.“

CCS ist auch laut Sutter nicht als Konkurrenz anzusehen, sondern als Übergangstechnologie, die der Menschheit im Kampf gegen die Klimakrise Zeit verschaffen kann: „Wir greifen im Moment eben nach jedem Strohhalm in der Klimaproblematik.“