Demonstranten in Berlin
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EU-Urheberrechtsreform

Angst ums Netz mobilisiert Jugendliche

Das Interesse für EU-Politik hält sich bei vielen in Grenzen – doch ausgerechnet bei der Jugend scheint sich das angesichts der Pläne zur Urheberrechtsreform zu ändern. Mit Demonstrationen, Brief- und Telefonkampagnen macht sie gegen die Pläne mobil – gemeinsam mit zahlreichen YouTube-Stars, die die Debatte maßgeblich anfachen.

Erst am Dienstag versammelten sich in deutschen Städten spontan zumindest Hunderte, nach Angaben der Veranstalter sogar Tausende Menschen, um gegen die geplante Reform zu protestieren. Auslöser für die spontanen Proteste waren Meldungen, wonach die Abstimmung über die Reform vorgezogen werden könnte – vor den 23. März, für den europaweite Proteste angekündigt wurden.

Dass sich neben Netzaktivisten auch unzählige Jugendliche bei den Demos einfinden, ist ein ungewohnter Anblick, denn bisher tat sich die EU schwer, mit ihren Themen bei jungen Menschen anzukommen. Doch die Urheberrechtsreform greift in den Alltag von praktisch allen Jugendlichen ein – so zumindest die Befürchtung der Gegnerinnen und Gegner der Pläne.

Vor allem Artikel 13 wurde dadurch zum gefragten Stichwort auf YouTube und in Sozialen Netzwerken: Dieser macht Plattformen belangbar, wenn sie das Bereitstellen von urheberrechtlich geschütztem Material nicht von vornherein unterbinden. Auch wenn der Entwurf sie nicht explizit vorsieht, müssen damit wohl Algorithmen, die dieses Material automatisch vor der Veröffentlichung unterbinden, eingesetzt werden – dafür hat sich der Ausdruck Upload-Filter etabliert.

YouTuber rufen zu Widerstand gegen Artikel 13 auf

Weil automatisierte Filter momentan aber praktisch nicht zwischen Urheberrechtsverletzung und Parodie unterscheiden können, wird befürchtet, dass viele Kreative auf Plattformen wie YouTube künftig daran gehindert werden, Inhalte zu veröffentlichen. Das rief die YouTube-Prominenz auf den Plan, die einerseits gut von ihren Videos leben kann und um ihre Lebensgrundlage fürchtet, andererseits bereits Erfahrung mit vergleichbaren Filtern, die YouTube bereits jetzt einsetzt, hat.

Demonstranten in Berlin
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In Berlin versammelten sich am Dienstag Hunderte Menschen, darunter viele junge, um gegen die Reform zu protestieren

In Videos rufen sie dazu auf, die Reform zu stoppen – ihr Publikum sind vor allem junge Menschen, oft einige Hunderttausende. Ein Video des deutschen YouTubers Julien Bam zu Artikel 13 wurde 2,5 Mio. Mal angeschaut, YouTube-Prominenz wie LeFloid und ConCrafter veröffentlichten ähnliche Videos, die zwischen 500.000 und 1,3 Mio. Klicks haben. Politikerinnen und Politiker können bei den Jungen mit dieser Reichweite nicht mithalten.

Politisierung als Kurswechsel

Dass sich die YouTube-Prominenz jetzt politisch positioniert, ist für sie dabei ein radikaler Kurswechsel. Egal, ob Themen wie „#MeToo“ oder „#wirsindmehr“, die allesamt im Netz hohe Wellen schlugen: Bisher ergriffen die wenigsten YouTuber Partei, um möglichst kein Publikum zu vergraulen. Beim Urheberrecht beeinflussen sie die Debatte aber maßgeblich – an den spontanen Demos zeigt sich, dass die Strategie erfolgreich sein dürfte.

Gemeinsame Aktionen gegen die Urheberrechtsreform von Netzaktivisten – wie in Österreich epicenter.works und in Deutschland der Chaos Computer Club – nehmen nicht zuletzt unter dem Ansturm der YouTube-Fans entsprechend an Fahrt auf. „Pledge 2019“ ruft dazu auf, EU-Parlamentarier telefonisch zu kontaktieren und sie dazu zu bringen, gegen die Reform zu stimmen. Auf den Seiten entspricht der Ton denen der YouTuber: „Upload-Filter zerstören das Internet“, heißt es darin. Darüber hinaus gibt es etwa eine Kampagne, bei der vorgefertigte Briefe ausgedruckt und dann klassisch per Post an Abgeordnete verschickt werden können.

Chance für Kleinparteien

Auch die Kleinparteien im EU-Parlament erkennen die Thematik als Chance: So gilt Julia Reda, die einzige Abgeordnete der Piraten, die sich Netzthemen verschrieben haben, als eine der prominentesten Gegnerinnen der Reform. Ex-„Titanic“-Chef und „Partei“-Vorsitzender Martin Sonneborn erklärte zuletzt gegenüber der Rheinischen Post den relativen Erfolg der kleinen Parteien: „Ja, es funktioniert. Auf unterschiedlichen Ebenen. Wir erhalten viele Reaktionen, junge Leute politisieren sich über lustige Plakate und Videos. (…) Viele entwickeln darüber ein Interesse für Politik. Und sogar für das Europaparlament.“

Proteste gegen Upload-Filter

Die EU-Urheberrechtsreform sorgt für Aufregung. Kritiker der Regelung befürchten Zensur, zuletzt kam es zu Protesten gegen die Neuregelung.

Das Hin und Her – erst hieß es, die Abstimmung findet früher statt, dann, dass alles beim Alten bleibe –, das diese Woche Auslöser für die spontanen Demonstrationen in Deutschland war, wertet Reda unterdessen als Erfolg der Bewegung gegen die Reform. Als der Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber, ankündigte, die Abstimmung im Parlament doch nicht vorzuziehen, schrieb Reda auf dem Kurznachrichtendienst Twitter: „Das Statement zeigt aber schon, #artikel13Demo wirkt!“

Europapolitik entdeckt Reddit

Bei der EVP wird unterdessen betont, dass die geplante Reform „nichts mit ‚Filtern‘ zu tun hat, wie das von manchen Unterstützern rechtsfreier Räume im Internet propagiert wird“, so etwa EVP-Abgeordneter Axel Voss im Februar, der die Verhandlungen zur Reform für das Europaparlament führt. Der Twitter-Account des EU-Parlaments wirbt seinerseits damit, dass „die Memes sicher“ seien – eine der Befürchtungen der Gegner ist, dass die kreativen Schöpfungen, die sich rasant im Netz verbreiten, ebenfalls von Upload-Filtern blockiert werden könnten.

Dass der Protest der Jungen von allen Seiten zunehmend ernst genommen wird, zeigt sich vielleicht auch daran, dass die Abgeordneten zunehmend auf Plattformen wie Reddit Frage und Antwort stehen. Erst am Dienstag gab es eine „Ask me Anything“-Diskussion mit dem Berater des EVP-Abgeordneten Marc Joulaud zu dem Thema, am Donnerstag folgt die Piratin Reda.

Heiße Phase wohl noch im März

Nachdem die Vorziehung der Abstimmung über die Reform im Europaparlament scheiterte, dürfte diese nun, wie ursprünglich geplant, Ende März stattfinden. Somit wird es auch am 23. März zu Demonstrationen kommen, auch in Wien ist eine Kundgebung geplant. Wenngleich es bisher als unwahrscheinlich galt, dass sich das Parlament gegen die Reform entscheidet, dürften die Demonstrationen – darunter die gar nicht politikmüden Jugendlichen – wohl nicht unbemerkt an den Abgeordneten vorübergehen.