Vegetarische Würstel und Burger
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Soja, Tofu und Co.

Fleischindustrie nascht bei Veggie-Boom mit

Der Boom von Fleischersatz und Veggie-Gerichten könnte ausgerechnet auch der Fleischwirtschaft zugute kommen. Zahlreiche große internationale Fleischverarbeiter haben früh den Braten gerochen und setzen ebenfalls auf ein vegetarisches Sortiment. Sie berufen sich auf entsprechendes Know-how – auch wenn manchen Vegetariern und Vegetarierinnen das gar nicht schmeckt.

So setzt der britische Fleischkonzern ABP Food Group, immerhin größter Verarbeiter von Rindfleisch in Irland und Großbritannien, mittlerweile auf eine vegetarische Produktlinie. Als Testballon stellt das Unternehmen ein Fleischimitat aus Erbsen und Soja her. In den Niederlanden schluckte Ende Februar der Fleischverarbeiter Van Loon Group den Konkurrenten Enkco – vor allem deshalb, weil zu dem Unternehmen auch der Fleischersatzpionier Vivera gehört. Die bereits 1990 gegründete Firma zählt zu den Marktführern in Europa.

Bei der Produktion von Fleischersatz wird tierisches Protein durch pflanzliches ersetzt. Als Rohstoffe kommen dabei etwa Tofu, Seitan, Soja und Erbsen zum Einsatz. Zuletzt setzte man vor allem auf Pilze. Für Schlagzeilen sorgte in den vergangenen Monaten immer wieder das unter dem Markennamen Quorn vertriebene Proteinprodukt, das aus dem Myzel eines Schlauchpilzes hergestellt wird.

Konzerne steigen in Start-ups ein

Fast alle großen fleischverarbeitenden Konzerne versuchen, auf dem Terrain Fuß zu fassen, fasst das Onlinewissenschaftsmagazin The Conversation die Entwicklungen auf dem Markt zusammen. Neben „strategischen Partnerschaften“ kaufen sich die Unternehmen in entsprechende Start-ups und kleine Firmen ein. Der zweitgrößte Fleischkonzern Tyson Foods, der kanadische Hersteller Maple Leaf Foods und die deutsche auf Geflügel spezialisierte PHW-Gruppe gingen auf große vegetarische Shoppingtour. Auch der Lebensmittelriese Nestle hat bereits erste Akquisitionen getätigt.

Nestle bestätigte am Dienstag, dass der fleischlose „Incredible Burger“ noch im April in den europäischen Supermarktregalen zu finden sein wird. Die Ankündigung kam einen Tag, nachdem auch Burger King verlautbart hatte, den „Impossible Whopper“ mit Fleischersatz ab sofort in der Region um St. Louis in Missouri testweise feilzubieten. Danach plant die Fast-Food-Kette das Produkt USA-weit zu verkaufen.

Know-how im Austausch für Markterfahrung

Der ökonomische Logik dahinter ist einfach: Wird der Markt für ein Produkt durch ein anderes angeknabbert, versucht der Hersteller, drohende Verluste abzuwenden, indem er auch das Konkurrenzprodukt herstellt. Auch die Tabakindustrie geht in Sachen E-Zigarette ganz ähnlich vor. Die Fleischkonzerne kaufen sich also innovatives Know-how ein und bringen ihrerseits die nötigen Mittel für Forschung, Marketing und schnellen Ausbau der Produktion ein. Zudem haben sie auch bereits eine funktionierende Logistik und Vertriebswege.

Vom Fleisch- zum Veggie-Würstel

Einen andern Weg ging in Deutschland einer der größten Wurst- und Fleischwarenhersteller, Rügenwalder Mühle. 2014 begann man dort auf eigene Faust vegetarische Produkte zu produzieren. Schließlich wisse man, wie Wurst schmecken müsse, sagt Firmenchef Godo Röben regelmäßig in Interviews. Absatzzahlen wie auch Konsumententests geben ihm recht, seit der Produktion von Wurst auf pflanzlicher Basis wuchs das Unternehmen bemerkenswert. Demnächst will man auch vegetarische Alternativen zu Frischfleisch auf den Markt bringen.

Röben argumentiert in Interviews, wie man es von einem Fleischhersteller nicht unbedingt erwarten würde: Er bringt die Debatten über Tierwohl und Massentierhaltung ins Spiel, verweist auf den Einfluss der Fleischindustrie auf das Klima und greift auch die Diskussionen über gesunde Ernährung auf.

In Österreich eher Nischenprogramm

Einen ähnlichen Weg versucht auch der heimische Hersteller Neuburger. Das Mühlviertler Unternehmen hatte sich auf ein einziges Produkt konzentriert, nämlich Leberkäse, den man aber partout nicht so nennen will. Mittlerweile hat man auch die Veggie-Schiene Hermann hochgezogen. Auf eine vegetarische Produktlinie setzt auch der oberösterreichische Produzent Landhof mit dem Markennamen „die ohne“.

Anka Lorencz, Bundesinnungsgeschäftsführerin der Lebensmittelgewerbe in der Wirtschaftskammer, sieht Fleischersatzprodukte für die heimische Fleischindustrie als Nischenmarkt. Sie verweist gegenüber ORF.at auf die aktuellen Marktzahlen, wonach gerade ein Prozent der Umsätze mit Fleischersatzprodukten erzielt wird.

Grafik zeigt Daten zum Milchprodukt- und Fleischersatz in Österreich
Grafik: ORF.at; Quelle: AMA Marketing/GfK Austria/KeyQUEST Marktforschung

Fortschritte in den Rezepturen

Die Umsätze mit Fleischersatz seien nach den Steigerungen davor auch in den vergangenen Jahren eher stagniert. Erst zuletzt habe der Markt wieder angezogen, Lorencz führt das auf bessere Rezepturen zurück, wo man Fortschritte bei Würze und Biss gemacht habe.

Allerdings sei der Einstieg in den Markt auch mit hohen Kosten verbunden, so etwa sei es heikel, Fleisch- und vegetarische Produkte im selben Werk zu produzieren. Und auch die vegetarischen Produkte seien für Kundinnen und Kunden teurer als die traditionellen Fleischwaren.

Man habe in der Branche die Frage in den vergangenen Jahren intensiv diskutiert, schließlich gebe es eindeutige Trends, dass der Fleisch- und Wurstkonsum sinke – vor allem in den jüngeren Teilen der Bevölkerung.

Fleischkonsum sinkt

So sinkt der Fleischkonsum in Österreich kontinuierlich. Wurden 2007 noch 66,8 Kilogramm pro Kopf und Jahr verspeist, waren es 2017 nur noch 63,4 Kilogramm. Besonders deutlich ist der Rückgang laut AMA bei Schweinefleisch, hier gab es einen Rückgang von 40,9 auf 37,2 Kilogramm innerhalb von zehn Jahren – mehr dazu in oesterreich.ORF.at.

Gleichzeitig steigt der Anteil der Menschen, die sich vegetarisch oder vegan ernähren: Entsprechende Umfragezahlen schwanken, zuletzt war in einer Studie von zehn Prozent der Bevölkerung die Rede, die sich fleischlos ernähren. Rund ein Viertel gab an, als Flexitarier den Fleischkonsum eingeschränkt zu haben – mehr dazu in oesterreich.ORF.at.

Ethische Bedenken

Genau diese Gruppe gehört freilich auch zum potenziellen Kundenkreis der vegetarischen Angebote der Fleischwirtschaft. Denn in einschlägigen Medien und Foren von sich streng vegetarisch und vegan Ernährenden gibt es zum Teil große Skepsis, Veggie-Produkte aus der Hand der Fleischindustrie zu konsumieren. Vor allem jene, die den Fleischverzehr aus ethischen Gründen ablehnen, argumentieren, dass sie die Branche nicht mit dem Kauf von anderen Produkten unterstützen wollen.