No. 16 (Red, White and Brown)
Kate Rothko Prizel & Christopher Rothko/Kunstmuseum Basel
Mark Rothko

Die Farben des Infernos

Das Kunsthistorische Museum (KHM) zeigt zum ersten Mal hierzulande den berühmten US-Maler Mark Rothko (1903–1970). Seine Farbfeldmalereien sind Ikonen des 20. Jahrhunderts und erzielen Höchstpreise. Die aufwendige Wiener Schau verschlang eine Million Euro, wäre aber besser in einem anderen Museum aufgehoben gewesen.

In seinen Farben versinkt das Auge: Kein Foto kann die Besonderheit der Gemälde wiedergeben, die Rothko durch das Auftragen von zahllosen Schichten schuf. Endlich kommen 40 Originale des US-Meisters nach Österreich, wo noch nie eine Rothko-Retrospektive zu sehen war. Die jetzige Schau wurde durch die Zusammenarbeit mit Rothkos Erben möglich.

Christopher Rothko war erst sechs Jahre alt, als sein Vater sich das Leben nahm. Der ausgebildete Psychologe hat sein Leben in den Dienst von Rothkos künstlerischem Nachlass gestellt. „Ich habe seine Bilder vor allem durch das Betrachten verstanden“, sagte er bei einem Gespräch in Wien.

Rothko im Kunsthistorischen Museum

Mark Rothko hat Mitte des 20. Jahrhunderts der Kunstgeschichte ein strahlendes neues Kapitel hinzugefügt. Das Kunsthistorische Museum Wien widmet ihm nun eine große Schau.

Malerei als Religion

Zu Rothko wurde immer wieder das Image eines gläubigen Juden verbreitet, der aufgrund des traditionellen Bilderverbots im Judentum in die Abstraktion ging. „Ihn beschäftigten schon philosophisch-religiöse Fragen wie ,Warum bin ich hier? Was ist Zweck dieser Welt?‘, aber er glaubte an keinen spezifischen Gott“, sagte Christopher Rothko – Audio dazu in oe1.ORF.at. Für Rothko war die Malerei seine Religion.

Markus Rothkowitz wurde 1903 in Russland als Sohn eines jüdischen Apothekers geboren. Als er zehn Jahre alt war, emigrierte die Familie nach Amerika. Obwohl er bei seiner Ankunft kein Wort Englisch sprach, lernte der Einwanderersohn so schnell, dass er zwei Klassen überspringen konnte und ein Stipendium für die Eliteuniversität Yale erhielt.

Gemälde von Mark Rothko
Kate Rothko Prizel & Christopher Rothko
Rothkos Religion war die Malerei

Allerdings brach Rothko sein Studium bald ab, denn er fand Yale „rassistisch und elitär“. Er übersiedelte zum Kunststudium nach New York. Der chronologisch gehängte Werkparcours der Schau setzt mit einem expressionistischen Selbstporträt von 1936 ein, bei dem sich der damals 33-jährige Maler mit steifer Körperhaltung und von der Brille verdeckten Augen festgehalten hat.

Die verwendeten Brauntöne und die gefalteten Hände würden an ein Selbstporträt von Rembrandt erinnern, den Rothko zeitlebens für das Licht seiner Malerei bewundert hat, bemerkte KHM-Kurator Jasper Sharp. In seiner Retrospektive möchte Sharp die Wichtigkeit der Kunstgeschichte für den New Yorker hervorstreichen, was aber nur ansatzweise gelingt.

Vom Untergrund zum Tanz

Der erste Ausstellungssaal überrascht mit figurativen Bildern Rothkos, über deren Qualität sich streiten lässt. Ein bisschen Cezanne hier, etwas Picasso und Miro dort, dazwischen Zitate aus der ägyptischen und römischen Antike: So wie das Frühwerk hier präsentiert wird, zieht es kaum in den Bann. Schade, denn in dieser Hängung gehen auch die Exponate der „Subway Paintings“ unter. In den späten 1930er Jahren kreierte Rothko Bilder aus dem New Yorker Untergrund. Sie zeigen grotesk dünne Figuren am U-Bahn-Steig, die in der Säulenarchitektur isoliert und verloren wirken.

Gemälde von Mark Rothko
Kate Rothko Prizel & Christopher Rothko
Rothkos „Portrait of Mary“ (1938/39, li.) – in den späten 1940er Jahren ließ der Maler dann die Figuration hinter sich und schuf seine Fleckenbilder „Multiforms“ wie „No. 2“ (re.).

Rothkos „Subway“-Serie wurde als Reaktion auf die Wirtschaftskrise gedeutet, aber auch als Reise ins Unbewusste. In der US-Galerie von Peggy Guggenheim kam Rothko mit Bildern von europäischen Surrealisten wie Max Ernst in Kontakt. Mehr als die Vorliebe für Fantastisches sticht seine Beschäftigung mit Architektur ins Auge. Raumaufbau wurde zu einem zentralen Thema seines Hauptwerks.

Zunächst verloren Rothkos Kompositionen aber jegliche Schwerkraft: In seinen experimentellen „Multiforms“ tanzen Farbflecken über immer größere Leinwände, die der Künstler fortan ungerahmt ausstellte. Rothko befreite sich von der Figuration – der Durchbruch zu seinen gefeierten Bildern stand unmittelbar bevor.

Wer weint, versteht

Das Licht in den Kabinetten des Kunsthistorischen Museums ist auf ein Minimum reduziert. Wie in Kapellen hängt in jedem der kleinen Räume nur ein einziges Bild. Sein geliebtes Rot, ebenso Braun, Orange und Rosa aus der Tube hat Rothko stark verdünnt und in wässrigen Lagen übereinandergeschichtet. Dadurch wirken seine Hochformate, als ob sie von innen heraus leuchten würden.

Poster mit Rothkos Ikonen gibt es heute bereits in jedem Möbelhaus zu kaufen, aber der direkte Kontakt macht ihre Faszination erlebbar. Manche seiner schwebenden Rechtecke tragen einen ausgefransten weißen Rand, der ihnen eine Aura verleiht. Durch ihre Größe sollten sie den Betrachter umhüllen.

Gemälde von Mark Rothko
Kate Rothko Prizel & Christopher Rothko
Die Superreichen haben Rothkos Kunst mittlerweile fest im Griff

„Silence is so accurate“, also „Stille ist so genau“, hat Rothko auf die Fragen nach der Botschaft seiner Kunst gerne geantwortet. Auf heitere Gelassenheit zielte der an Depressionen und Alkoholsucht leidende Künstler aber nicht ab. Die Ausstellung zeigt nur wenige seiner gefragtesten Werke in den vermeintlich frohen Farbtönen Orange oder Gelb.

Ausstellungshinweis:

„Mark Rothko“, bis 30. Juni im KHM, dienstags bis sonntags 10.00 bis 18.00 Uhr; donnerstags bis 21.00 Uhr. Christopher Rothko hält am 18. März um 19.00 Uhr einen Vortrag im KHM.

Rothko habe sie die „Farben des Infernos“ genannt, so Kurator Sharp. Als Liebhaber von Mozart und Schubert wollte der Maler die Menschen auf eine Weise berühren, wie es sonst nur die Musik vermag. Vor seinen Bildern in Tränen auszubrechen erschien ihm als eine angemessene Reaktion.

Keine Kunst für Gourmets

Im Jahr 1950 konnte Rothko endlich mit seiner Familie nach Europa reisen. In seine alte russische, mittlerweile lettische Heimat zog es den Maler nie, er pilgerte nach Frankreich, Italien und England. Die stärksten Eindrücke erlebte er in Florenz. Dort besuchte Rothko die großartig schlichten Fresken, die Fra Angelico im 14. Jahrhundert in den Mönchszellen des Klosters San Marco gemalt hat.

Der New Yorker Künstler bewunderte auch das Baujuwel der Bibliotheca Medicea Laurenziana von Michelangelo. Zwei Fotos dieses Renaissancegebäudes sind jetzt zusammen mit Rothkos Gemäldeserie für das Seagram Building zu sehen.

Gemälde von Mark Rothko
Kate Rothko Prizel & Christopher Rothko
Rothkos „Untitled (Red, Orange)“ (1968, li.) und „No. 7 (Dark Brown, Gray, Orange)“: Rothko schätzte besonders die Farbe Rot, da sie für ihn als Trägerin von Emotionen fungiert

Im Jahr 1954 wuchs an der Park Avenue ein neuer Wolkenkratzer empor. Der mittlerweile gefragte Maler erhielt den Auftrag, für das Restaurant des Seagram Building eine neue Werkgruppe zu schaffen. Rothko mietete ein großes Atelier und benutzte eine dunklere Farbpalette als je zuvor.

Die Riesenformate erinnern teilweise an Portale. Als bereits 30 Gemälde fertig waren, ging Rothko zum Essen in das Nobellokal, das seine Kunst fortan schmücken sollte. Als der überzeugte Linke das dortige Luxusambiente samt Kientel erlebte, kündigte er die lukrative Kommission auf.

Vorläufer der Minimal Art

Mittlerweile haben die Superreichen Rothkos Kunst fest im Griff. Im Mai wird bei Sotheby‘s in New York eines seiner rund 800 Gemälde um 35 bis 50 Millionen Dollar angeboten; der Rekordpreis für den Künstler von 2012 ist doppelt so hoch. Rund eine Million Euro hat die Ausstellung im KHM gekostet. Mittels aufwendiger Wandverschalungen, hinter denen die historische Holzvertäfelung verschwindet, wurde dem modernen Künstler eine neutrale Umgebung geschaffen.

Besonders im letzten Saal drängt sich die Frage auf, ob diese Schau nicht doch besser im Museum moderner Kunst (mumok) aufgehoben wäre. Der Minimalist in Rothko tritt dort hervor, die alten Meister hat er schon lange abgehängt. Am Ende seines Lebens schuf Rothko eine dunkle Werkserie für die Rothko Chapel in Houston. Wieder können die Augen endlos auf den Leinwänden verweilen, denn was auf den ersten Blick wie Schwarz aussieht, zeigt in den Tiefenschichten ein unendliches Blau.