Menschen mit Flaggen in London
Reuters/Dylan Martinez
Brexit

Britische Abgeordnete lehnen Deal erneut ab

In Großbritannien haben sich die Abgeordneten des Unterhauses am Dienstagabend erneut gegen den von Premierministerin Theresa May ausgehandelten Brexit-Deal entschieden. 242 Abgeordnete stimmten für, 391 gegen das Abkommen, wie der Speaker des Parlaments verkündete.

Mit einem Abstand von 149 Stimmen ist das eine neuerliche herbe Niederlage für May, die bereits im Jänner über den Deal abstimmen ließ. Die neuen Zusicherungen von der EU, die am Montag zunächst für Hoffnung im Lager der britischen Premierministerin sorgten, konnten die Abgeordneten offensichtlich nicht überzeugen.

„Ich bedauere die Entscheidung, die das Abgeordnetenhaus getroffen hat, zutiefst“, so May unmittelbar nach Verkündung des Ergebnisses. Schon am Mittwoch werde es eine Abstimmung darüber geben, ob Großbritannien ohne Abkommen aus der EU ausscheiden soll – es wird eine freie Abstimmung sein, bei der die Torys auch abseits der Parteilinie wählen dürfen, so May.

EU sieht Risiko von ungeregeltem Austritt gestiegen

Die EU „bedauert“ die erneute Ablehnung des Brexit-Abkommens im britischen Parlament. Das Votum erhöhe die Wahrscheinlichkeit eines ungeregelten Austritts „deutlich“, erklärte ein Sprecher von EU-Ratspräsident Donald Tusk am Dienstagabend. EU-Verhandlungsführer Michel Barnier schrieb auf Twitter, das Brexit-Problem könne nur in Großbritannien gelöst werden.

Corbyn sieht Zeit für Neuwahl gekommen

Labour-Chef Jeremy Corbyn sagte nach der Abstimmung, dass die Regierung akzeptieren müsse, dass der von May ausgehandelte Deal nicht die Unterstützung der Abgeordneten habe. Er sprach sich gegen einen drohenden Brexit ohne Abkommen aus und warb für die Pläne seiner eigenen Partei, die etwa eine Zollunion vorsehen – ein zweites Referendum erwähnte Corbyn jedoch nicht.

Die Zeit von May als Premierministerin sieht Corbyn unterdessen als zu Ende an. „Ihre (Mays, Anm.) Zeit ist abgelaufen“, so der Chef der Oppositionspartei. „Jetzt ist es Zeit für Neuwahlen.“ Nur drei Abgeordnete von Labour stimmten entgegen der Parteilinie für Mays Deal.

May appellierte an Parlamentarier

In der mehrstündigen Debatte, die der Abstimmung vorausgegangen war, hatte May, die vor Heiserkeit kaum sprechen konnte, das Parlament in London eindringlich dazu aufgerufen, für das nachgebesserte Brexit-Abkommen zu stimmen. „Wenn dieser Deal nicht angenommen wird, kann es sein, dass der Brexit verloren geht“, warnte die Regierungschefin die Abgeordneten. „Ich bin sicher, dass wir die bestmöglichen Änderungen erreicht haben.“

Viele Parlamentarier ihrer Konservativen Partei und der nordirisch-protestantischen DUP, auf deren Stimmen Mays Minderheitsregierung angewiesen ist, kritisierten das nachgebesserte Abkommen scharf. Der notwendige Fortschritt sei nicht erreicht worden, monierte die DUP.

„Brexiteers“ und DUP lehnten Deal ab

Ablehnung kam unter anderem von der EU-kritischen European Research Group (ERG), die vor der Abstimmung ankündigte, gegen Mays Deal zu stimmen. Die ERG, deren Vorsitzender der Brexit-Hardliner Jacob Rees-Mogg ist, holte im Vorfeld rechtlichen Rat ein, wie die am Montag präsentierten Änderungen zu bewerten seien.

Schon im Vorfeld kündigte auch die nordirische DUP an, die mit ihren zehn Abgeordneten Mays Minderheitsregierung unterstützt, nicht für das Abkommen zu stimmen. Man wolle einen „Deal sehen, der für das gesamte Vereinigte Königreich funktioniert“. Man werde daher nur das „passende Abkommen“ unterstützen, das den Stellenwert von Nordirland berücksichtige, so DUP-Chefin Arlene Foster.

Keine „dritte Chance“ für May

In puncto „Backstop“ konnte May am Montagabend bei einem Treffen mit Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in Straßburg der EU Zugeständnisse abringen. Das vereinbarte „rechtlich verbindliche Instrument“ als Ergänzung zum Austrittsvertrag sollte noch deutlicher machen, dass der „Backstop“ höchstens eine Übergangslösung ist und nicht unbeschränkt verlängert werden kann. Bis 2020 soll ein Ersatz für diesen entwickelt werden.

Juncker stellte klar, dass das die letzten Zugeständnisse der EU sein würden. Die nun ausgehandelte Lösung stelle eine „zweite Chance“ dar, so Juncker. Gleichzeitig warnte er, dass es „keine dritte Chance“ geben werde. May kündigte zudem eine einseitige Erklärung an. Laut dieser sieht sich London berechtigt, Maßnahmen zu ergreifen, die zum Ende der „Backstop“-Regelung führen, sollten die Verhandlungen über eine künftige Beziehung scheitern.

Barnier warnt vor „gefährlicher Illusion“

Noch unmittelbar vor der Abstimmung warnte EU-Unterhändler Michel Barnier die Abgeordneten eindringlich. „Es scheint die gefährliche Illusion zu geben, dass Großbritannien auch ohne Austrittsabkommen von einer Übergangsfrist profitieren kann“, so Barnier am Dienstagabend auf Twitter. Doch sei der Vertrag die einzige Basis für die Übergangsfrist, in der sich nach dem britischen EU-Austritt bis mindestens Ende 2020 praktisch nichts ändern soll. „Kein Austrittsabkommen bedeutet keine Übergangsfrist“, so Barnier.

Generalstaatsanwalt sah „unverändertes“ Risiko

Während die Zugeständnisse mancherorts zuerst als Durchbruch gewertet wurden, bremste Generalstaatsanwalt Geoffrey Cox am Dienstag die Erwartungen. Viele der Abgeordneten wollten Cox’ Einschätzung abwarten. In seinem Gutachten sah er jedoch ein „unverändertes“ Risiko, dass Großbritannien nicht ohne Zustimmung der EU aus dem „Backstop“ aussteigen könnte.

Der britische Generalstaatsanwalt Geoffrey Cox
AP/Kirsty Wigglesworth
Das Gutachten des britischen Generalstaatsanwalts Geoffrey Cox wurde mit Spannung erwartet

Dennoch sprach er sich dafür aus, Mays Deal zu unterstützen. Die von May erzielten Zusagen würden das Risiko, dass Großbritannien durch den „Backstop“ aufgrund „böser Absicht und bewusster Manipulation der Union“ – unfreiwillig und für unbegrenzte Zeit – an Brüssel gebunden werde, „signifikant“ reduzieren, so Cox im britischen Unterhaus. „Es ist jetzt Zeit, für diesen Deal zu stimmen“, sagt er trotz seiner durchwachsenen Bewertung und rief die Abgeordneten damit auf, für den Deal zu stimmen.

Nächste Tage entscheidend

Für die angezählte britische Premierministerin wird die Zeit nun knapp. Bereits am Mittwoch soll darüber entscheiden werden, ob ein Ausstieg ohne Abkommen, ein „Hard Brexit“, durchgeführt werden soll. Sollte sich auch dafür keine Mehrheit finden, soll am Donnerstag über eine Verschiebung des Brexits abgestimmt werden. Der planmäßige Ausstieg Großbritanniens aus der EU steht jedenfalls weiterhin am 29. März an.

Die übrigen 27 EU-Staaten würden einen „begründeten Antrag“ Großbritanniens auf Verlängerung der Austrittsfrist über den 29. März hinaus in Erwägung ziehen, hieß es vonseiten der EU. Aber: „Die EU-27 erwarten eine glaubwürdige Begründung für eine mögliche Verlängerung und ihre Dauer.“ Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sagte, man solle „offen“ für eine Verschiebung sein – eine „Teilnahme von Großbritannien an den EU-Parlamentswahlen wäre allerdings absurd“.