Hafen von Triest (Italien)
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„Neue Seidenstraße“

Italien kokettiert mit China

Es soll das Projekt des Jahrhunderts werden: Chinas „Neue Seidenstraße“, ein den halben Erdball umspannendes Netz aus Straßen, Schienen, Häfen und Pipelines. Auch Italien will mitmischen – Geld aus Peking soll die Staatskasse füllen und alten Häfen wie Genua und Triest neuen Glanz verleihen. Doch der Deal könnte zum politischen Hasardspiel werden.

Ein vermeintlich unverbindliches Papier sorgt derzeit für dicke Luft zwischen Rom, Washington und Brüssel. Am Samstag wollen Chinas Staatspräsident Xi Jinping und die italienische Regierung ein „Memorandum of Understanding“ unterschreiben, mit dem Italien die Belt and Road Initiative (BRI) – so der offizielle Name der „Neuen Seidenstraße“ – offiziell unterstützt. Eine Entscheidung, die für Wirbel sorgt: Denn viele Länder sehen in der „Neuen Seidenstraße“ weniger eine Handelsinitiative als ein Werkzeug für Chinas Machtausbau.

Der Inhalt ist derzeit noch unbekannt, das Abkommen sei aber „rein kommerziell“ und nicht politisch, beteuerte Italiens Premier Giuseppe Conte. Wie in vielen Staaten zuvor hat das Milliardenprojekt auch im klammen Italien Hoffnung auf gute Geschäfte geweckt. Von Häfen über Straßen bis zur Telekommunikation: Rund 50 potenzielle Deals sollen Peking und Rom bereits besprochen haben. Es handle sich um eine „echte Chance für Italien“, so Conte.

Grafik zur Seidenstraße
Grafik: Map Resources/ORF.at; Quelle: Mercator Institute for China Studies (MERICS)

Doch welche Langzeitfolgen die italo-chinesische Wirtschaftsliaison haben könnte, darüber wird heftig debattiert – denn vielerorts weckt bei dem Projekt „Seidenstraße“ nur noch der Name romantische Assoziationen. Gewarnt wird, dass chinesische Infrastrukturprojekte Staaten mit schnellem Geld in die Schuldenfalle und damit politische Abhängigkeit treiben können.

Zu sehen sei das etwa in Sri Lanka, das sich so tief bei China verschuldetet hat, dass es der Volksrepublik den strategisch wichtigen Hafen Hambantota auf 99 Jahre überlassen musste. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass vor allem chinesische Firmen von den Projekten im Ausland profitieren würden – nicht zuletzt, da diese durch staatliche Subventionen besonders gute Konditionen anbieten können.

„Großes Risiko, geringer Profit“

Dass die Unterzeichnung des italienischen Memorandums ein „großes politisches Risiko für geringen wirtschaftlichen Profit“ bergen könnte, sagt Lucrezia Poggetti vom Mercator Institute for China Studies (MERICS) im Interview mit ORF.at. Sie forscht zu den Beziehungen zwischen China und der EU. „Einige italienische Politiker glauben, dass China die Lösung für alle wirtschaftlichen Probleme ist. Aber dabei wird übersehen, wie China tatsächlich funktioniert“, sagt sie – und meint damit Handelspraktiken wie den Protektionismus und die enge Verbandelung von Wirtschaft und der Kommunistischen Partei.

Für Poggetti geht es bei der Übereinkunft mehr um Politik denn um Wirtschaft. Immerhin ist Italien zwar nicht der erste EU-Staat, der ein solches Memorandum unterzeichnet. Es ist aber der erste G-7-Staat, der sich hinter Xis Lieblingsprojekt stellen würde. Das wäre ein „enormer Legitimitätsboost“, so Poggetti.

Papier „nicht Wort Gottes“

Gleichzeitig verprellt Italien mit dem Schwenk Richtung China alte Bündnispartner, die dem Projekt kritisch gegenüberstehen. Doch Rom beteuert, dass das Abkommen die Zusammenarbeit etwa mit der NATO nicht berühre und auch nicht das „Wort Gottes“ sei. Sollte die chinesische Initiative Italiens nationale Sicherheit gefährden, werde er sich dagegen wehren, so Innenminister Matteo Salvini von der Lega.

Das Problem der Sicherheit steht bei Kritikerinnen und Kritikern weit oben auf der Liste und lässt auch Teile der Regierung in Rom zögern. Seit Wochen wird etwa – nicht nur in Italien – darüber debattiert, ob westliche Staaten beim Aufbau des neuen Mobilfunkstandards 5G Technologie des chinesischen Ausrüsters Huawei nutzen sollten. Der Grund: Angst vor Spionage.

Doch auch bei anderen Infrastrukturprojekten gelte es, die chinesischen Interessen langfristig abzuwägen, so Poggetti. Etwa im Fall der zahlreichen Häfen, in die China weltweit investiert: Langfristig sei nicht auszuschließen, dass Peking auch Häfen im Ausland für militärische Zwecke umwandelt. Vor allem die USA und die NATO warnen eindringlich vor derlei Winkelzügen.

Italienischer Keil in EU-China-Politik

Für Brüssel ist das italienische Memorandum der nächste unerwünschte Spaltpilz – und das gerade in Zeiten, in denen die Suche nach einer gemeinsamen China-Strategie wieder an Fahrt aufgenommen hat. Erst kürzlich erschien ein Aktionspapier, in dem China nicht mehr nur als Wirtschaftsfaktor, sondern als globaler Player anerkannt wird. Das sei notwendig, da Chinas Wirtschaft und politischer Einfluss in den vergangenen zehn Jahren in „beispielloser Geschwindigkeit und Ausmaß gewachsen“ seien.

Die italienische und die chinesische Flaggen wehen auf dem Tiananmen Platz in Peking
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Eint Italien und China bald eine tiefere Freundschaft?

Doch Italiens Alleingang untergräbt den Aufbau einer gemeinsamen Strategie. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass gerade angesichts des Gewichts von Italien in Zukunft auch andere Staaten weiter Richtung China schwenken. „Wir sehen, dass China vor allem in euroskeptischen Staaten eine Art ‚Teile und Herrsche‘-Politik verfolgt. Für Peking ist es sehr einfach, euroskeptische Stimmungen aufzugreifen und sich selbst als Alternative zu präsentieren“, so Poggetti. Peking sei dazu in der Lage, „den Mangel an Wissen über China und sein System effektiv auszunutzen“.

Einfluss über Umwege

Bereits in der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass chinesische Investitionen auch in der EU politisch wirken. Sichtbar wurde das etwa 2016, als Griechenland einen kritischen Bericht zur Menschenrechtslage in China verwässern ließ. Kurz zuvor hatte die chinesische Firma COSCO eine Mehrheit am Hafen Piräus erworben. Ungarn verfolgt ohnehin eine von der EU abgekoppelte China-Poltik – unter anderem unter dem Banner des 16+1-Formats, in dem sich ausschließlich osteuropäische Staaten mit Peking austauschen.

Doch Italien lässt sich von der Kritik nicht beirren. Das Memorandum werde unterzeichnet und berühre keine bestehenden Abkommen, betonte Conte vergangene Woche. Freuen dürfte das auch Michele Geraci – er gilt als Architekt des Deals. Der Ökonom aus Palermo ist ehemaliger Wirtschaftsprofessor, hat zehn Jahre in China gelebt und ist seit dem vergangenen Jahr auf Initiative Salvinis Staatssekretär im Ministerium für Wirtschaftsentwicklung. Dort hat er in den letzten Monaten intensiv für eine engere Zusammenarbeit zwischen China und Italien lobbyiert – mit Erfolg.