Erntehelfer in Niederösterreich
APA/Barbara Gindl
Konfliktfeld

Landwirtschaft ringt um Arbeitskräfte

In manchen Regionen Österreichs hat die heurige Gemüsesaison schon begonnen. Überall sind die Vorbereitungen in vollem Gange und mit ihnen auch das Gerangel um zusätzliche Arbeitskräfte aus dem Ausland. Der Bedarf an Arbeitskraft steigt stetig an und mit ihm der Druck auf dem landwirtschaftlichen Arbeitsmarkt.

Aufgrund des Strukturwandels in der Landwirtschaft stehen immer weniger familieneigene Arbeitskräfte zur Verfügung. Die Ökologisierung und die notwendige Intensivierung der nur begrenzt zur Verfügung stehenden Anbaufläche bedinge mehr händische Arbeitsschritte, heißt es vonseiten der Landwirtschaft. Dafür gebe es aber nicht genug Arbeitskräfte.

In manchen Fällen, etwa im besonders aufwendigen Erdbeer- und Gemüseanbau, stellen einige den Bereich um oder sogar ein – mehr dazu in vorarlberg.ORF.at. Der oberösterreichische Gemüsebauer Fred Holzer fürchtet aufgrund des Arbeitskräftemangels um seine Ernte: „Das Gemüse am Feld muss im schlechtesten Fall verderben“ – mehr dazu in ooe.ORF.at. Auch die niederösterreichischen Landwirte Bernadette und Hannes Schabbauer reduzierten ihr Angebot drastisch.

„Das ist ein Pulverfass“

Vor wenigen Wochen stellten sie die Milchwirtschaft inklusive Molkerei und Schlachtung am eigenen Hof sowie den Hofladen ein. Es bleiben nur noch Rinderhaltung für Großkunden, Grünlandwirtschaft, Angebote für Schulen und der Obstanbau. Diese drastische Reduktion sei der schwierigen Suche nach passenden Mitarbeitern geschuldet, so Schabbauer, der mit seiner Frau eine Sieben-Tage-Woche auf dem Hof von 5.30 bis 19.30 Uhr hatte – die Büroarbeit noch nicht mit eingerechnet.

Beschäftigten die Schabbauers bisher 15 bis 20 Mitarbeiter zwischen 25 und 40 Stunden, betreibt das Ehepaar den Hof nun allein – unterstützt von drei polnischen Mitarbeitern. Schabbauer: „Das sind junge Mitarbeiter mit Familie in Polen. Das ist ein Pulverfass für uns. Derzeit wüsste ich nicht, wo ich Ersatz finden würde.“

Gurkerlflieger auf einem Feld in Ansfelden
ORF.at/Lukas Krummholz
Erntehelfer bei der arbeitsintensiven Gurkenernte in Oberösterreich

Im vergangenen Jahr konnte er über das Saisonnierkontingent für sechs Monate einen Ukrainer einstellen. Der sei inzwischen weitergezogen – nach Deutschland oder in die Schweiz. Das Kontingentsystem für Saisonarbeiter und Erntehelfer bezeichnete Schabbauer gegenüber ORF.at als „unbefriedigend“. Und ohne Genehmigung wolle er niemanden beschäftigen. Österreichweit waren im Februar dieses Jahres mehr als 820 offene Stellen in der Land- und Forstwirtschaft gemeldet.

Gespräche über Reservekontingent

2.610 Saisonarbeiter und 275 Erntehelfer dürfen heuer aus Drittstaaten nach Österreich kommen, um die Land- und Forstwirtschaft zu unterstützen. Für die Landwirtschaftskammer ist das zu wenig. Sie fordert vom Sozialministerium eine Erhöhung um 500 bis 700 Kräfte. Man sei in Gesprächen mit dem Ministerium, ein Reservekontingent aufzustocken, heißt es aus der Landwirtschaftskammer gegenüber ORF.at.

In manchen Regionen wird zudem eine verfrühte Ernte erwartet. Einige hoffen deshalb auf eine kurzfristige Aufstockung des Kontingents – mehr dazu in noe.ORF.at. Das Sozialministerium gibt sich gegenüber ORF.at dazu noch bedeckt: „Das Ministerium ist immer bemüht, die heimische Land- und Forstwirtschaft bestmöglich zu unterstützen.“ Im vergangenen Jahr wurden im August noch zusätzliche 500 Saisonarbeitskräfte für die Forstwirtschaft bewilligt – für die Hochsaison in der Erntezeit kam das allerdings zu spät.

Ministerium will Asylberechtigte einsetzen

Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) will auf das in Österreich verfügbare Arbeitskräftepotenzial zurückgreifen: „Aus arbeitsmarktpolitischer Sicht muss aber grundsätzlich danach getrachtet werden, auch in der Landwirtschaft vorrangig das im Inland verfügbare Arbeitskräftepotenzial einzusetzen und zusätzliche drittstaatsangehörige Arbeitskräfte im Rahmen von Saisonkontingenten nur im erforderlichen Mindestmaß zuzulassen“, hieß es kürzlich in einer Stellungnahme.

In einem Interview mit der Kärnten-Ausgabe der „Kronen Zeitung“ ging sie Anfang der Woche noch einen Schritt weiter und forderte direkt eine Arbeitspflicht für Asylberechtigte: „Entweder qualifiziere ich diese Asylberechtigten oder ich setze sie verpflichtend ein, etwa im land- und forstwirtschaftlichen Bereich.“ Entsprechend sieht die Sozialministerin Arbeitskräftepotenzial bei den derzeit rund 33.000 arbeitslos gemeldeten Asylberechtigten und subsidiär Schutzberechtigten.

Kurz für strengeren Vollzug bei Arbeitsvermittlung

ÖVP-Justizminister Josef Moser lehnte am Mittwoch eine Arbeitspflicht für Asylberechtigte ab: „Ich sehe derzeit keine Notwendigkeit dafür.“ Auch Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sieht keinen gesetzlichen Änderungsbedarf bei der Vermittlung arbeitsloser Asylberechtigter. Er trete aber für einen strengeren Vollzug der bestehenden Regeln ein. Diese seien gut, das Problem sei, dass sie nicht immer angewandt worden seien.

Für viele dieser Arbeitskräfte sei eine Beschäftigung in der Landwirtschaft möglich, hatte hingegen schon zuvor Hartinger-Klein gesagt, da gerade für Erntehelfertätigkeiten „keine längere Ausbildung oder Vorqualifikation“ erforderlich seien. Zudem gibt es seit vergangenem Jahr die Anweisung des Ministeriums, dass Asylwerber, die Ansprüche aus der Arbeitslosenversicherung erworben haben, vom Arbeitsmarktservice (AMS) vor allem auf befristete Beschäftigungen in den Saisonbranchen Landwirtschaft und Tourismus vermittelt werden sollen. Zuvor war auch eine Vermittlung in andere Branchen möglich.

AMS will mit Jobbörsen vermitteln

„Die Landwirte wollen ihre eingespielten Stammarbeiter aus der Ukraine, dem Kosovo oder Bosnien wieder einsetzen. Wir wollen vor den neuen Arbeitskräften die hiesigen beim AMS gemeldeten unterbringen. Das birgt einen Konflikt“, erklärte AMS-Oberösterreich-Geschäftsführer Gerhard Straßer gegenüber ORF.at. Über 1.000 Saisonniers sind für Oberösterreich heuer bewilligt. Das Bundesland hat damit österreichweit den größten Anteil am Kontingent. Vor einer Bewilligung kommt aber noch das Ersatzkraftverfahren zum Einsatz.

Ersatzkraftverfahren

Eine Beschäftigungsbewilligung für einen Ausländer aus einem Drittstaat darf erteilt werden, wenn für die offene Stelle kein Inländer oder auf dem Arbeitsmarkt verfügbarer Ausländer bereit und fähig ist, diese Beschäftigung auszuüben.

In Tirol scheint es mehr Verständnis für die Wiedereinstellung von Saisonarbeitskräften zu geben: „Ziel ist, das bisherige Kontingent durch Wiederbeschäftigung der Saisonniers auszuschöpfen. Der zusätzliche Bedarf soll durch Asylberechtigte gedeckt werden“, erklärt Alois Kern, Landesgeschäftsführer vom AMS Tirol.

Kritik an „Zwangsverpflichtung“

Mit Jobbörsen versucht das AMS in mehreren Bundesländern bei ihm gemeldete potenzielle Arbeitskräfte, mehrheitlich Geflüchtete, mit den landwirtschaftlichen Betrieben zusammenzubringen. In Oberösterreich gab es bei 800 Eingeladenen bisher rund 260 Einstellungszusagen. In Tirol gab es rund 30 Vereinbarungen. Klar kommuniziert wird auch: Asylwerbern, die zu den Jobbörsen eingeladen werden und nicht erscheinen, drohen Sanktionen.

Entsprechend übte die Gewerkschaft Kritik an der Vorgehensweise, „anerkannte Flüchtlinge über das AMS zur Erntearbeit zwangszuverpflichten“. Auch SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch sprach angesichts des Hartinger-Klein-Vorstoßes von „Zwangsarbeiterfantasien“. Für NEOS-Sozialsprecher Gerald Loacker kann der Vorschlag „nicht ernst gemeint sein". „Zwangsarbeit in Kombination mit Waldhäusel’schen Ideen einer konzentrierten Unterbringung lassen tatsächlich düsterste Zeiten unserer Vergangenheit plötzlich wieder aktuell werden“, kritisierte Jetzt-Sozialsprecherin Daniela Holzinger.

„Fachliche Qualifikationen gefragt“

Wer in Land- und Forstwirtschaft arbeiten wolle, sei willkommen. Zwangsverpflichtete Menschen „werden uns nicht weiterhelfen“, stellte auch der Generalsekretär der Landwirtschaftskammer, Ferdinand Lembacher, am Mittwoch im Ö1-Morgenjournal fest.

Diese vom AMS vermittelten Arbeitskräfte könnten aber ohnehin „nur einen Teil des Bedarfs decken“, ergänzte ein anderer Vertreter der Landwirtschaftskammer. Von den rund 33.000 arbeitslosen Asylberechtigten und subsidiär Schutzberechtigten seien 60 Prozent in Wien. Das helfe der Landwirtschaft im Westen nicht, und der Anteil der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe in Wien ist mit 544 im Vergleich zu mehr als 38.000 in Niederösterreich oder rund 31.000 in Oberösterreich überschaubar.

Es müsse auch eine gewisse Neigung und Interesse für die Landwirtschaft geben, fordert Schabbauer von potenziellen Mitarbeitern: „Wenn sich jemand nicht zur Kuh traut, ist es sinnlos.“ Es werde häufig davon ausgegangen, dass die Leute in der Landwirtschaft nichts können müssen. „Bei Erdbeerpflückern mag das stimmen, aber inzwischen sind auch in der Landwirtschaft fachliche und technische Qualifikationen gefragt.“

Forstwirtschaft „knabbert“ mit

Es brauche daher Arbeitskräfte mit Ausbildung und „Hausverstand“, die ihre Arbeit gern machen. „Vom AMS bekommt man die niedrigste Ausbildungsstufe zugeschanzt“, kritisiert Schabbauer. Auch Saisonarbeiter in der Landwirtschaft bräuchten ein gewisses technisches Verständnis. Schabbauer: „Man kann nicht jeden mit einem 150.000-Euro-Traktor fahren lassen.“

Forstarbeiter beim Baumfällen
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Die Forstwirtschaft benötigt ebenfalls immer mehr erfahrene Arbeitskräfte zur Beseitigung von beschädigtem Holz

Die Forstwirtschaft, die sich ebenfalls mit dem Saisonnierkontingent behilft, hat selbst zunehmend Bedarf an geschulten Kräften. Holzschlägerungen nach einem Windwurf seien eine extrem gefährliche Tätigkeit und erforderten Know-how, so die Landwirtschaftskammer. Auch hier sei zuletzt aber der Bedarf nach Arbeitskräften etwa durch witterungsbedingte Schäden im Wald, die massenhafte Ausbreitung des Borkenkäfers und Krankheiten gestiegen.

Missstände „mit System“

Bleibt aber immer noch die Frage, ob aus dem Ausland ausreichend Arbeitskräfte nach Österreich kämen, um den steigenden Bedarf zu decken. Für die Produktionsgewerkschaft (PRO-GE) ist der Erntehelfermangel „hausgemacht“. „Unsere Erfahrungen zeigen, dass es oftmals gravierende Missstände bei den Arbeitsbedingungen gibt. Die Löhne sind niedrig, Überstunden werden nicht bezahlt und die Unterbringung ist häufig fragwürdig“, kritisierte Pro-Ge-Chef Rainer Wimmer vor wenigen Tagen. Das seien keine Einzelfälle, „sondern hat System“. Deswegen finde Österreichs Landwirtschaft auch nicht ausreichend Arbeitskräfte – auch nicht innerhalb der EU etwa aus Rumänien und Polen.

Unbestritten sei, dass es sich um eine Niedriglohnbranche handle und auch aufgrund der kurzfristigen Beschäftigung die Attraktivität fehle, gab der Vertreter der Landwirtschaftskammer zu. Entsprechend sei man in konstruktiven Gesprächen mit der Gewerkschaft, wie mit Arbeitgeberzusammenschlüssen die gemeinsame Beschäftigung von Arbeitskräften länger und attraktiver gestaltet werden könne.

Doch sehe er kein System hinter etwaigen Missständen bei Erntehelfern: „Wenn es konkrete Einzelfälle gibt, müssen die entsprechend aufgearbeitet werden.“ Laut der Lohn- und Sozialdumpingbekämpfungsstatistik entfallen von 1.536 rechtskräftigen Entscheidungen wegen Unterentlohnung im Zeitraum von Mai 2011 bis Dezember 2018 fünf auf die Land- und Forstwirtschaft, so der Experte der Landwirtschaftskammer.

5,9 Euro pro Stunde

Österreich befindet sich in einem europäischen Wettbewerb um die Arbeitskräfte – insbesondere mit Deutschland und Polen. Neben Bosniern stellen derzeit Ukrainer einen wichtigen Anteil der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte aus Drittstaaten in Österreich. Um diese Gruppe entbrannte ein Wettstreit mit Polen. Schon jetzt sind rund eine Million Ukrainer in Polen beschäftigt – knapp ein Fünftel davon in der Landwirtschaft. Der Anteil der Ukrainer auf dem polnischen Arbeitsmarkt soll sich nach Wunsch von Warschau verdoppeln.

Bei Deutschland spielt vor allem das unterschiedliche Lohnniveau eine Rolle. Während in Deutschland der Mindestlohn aktuell bei 9,19 Euro brutto pro Stunde liegt, bewegt sich der kollektivvertragliche Mindestlohn in Österreich je nach Bundesland zwischen 6,93 Euro brutto (5,9 Euro netto) in Oberösterreich und 8,79 Euro brutto (7,08 Euro netto) in Salzburg.

Das sei aber nur bedingt vergleichbar, heißt es von der Landwirtschaftskammer. Denn zum einen komme in Österreich noch der aliquote Anteil des 13. und 14. Gehalts dazu, zum anderen gebe es in Deutschland die Möglichkeit einer sozialversicherungsfreien Beschäftigung bei kurzfristigen Tätigkeiten etwa in der Landwirtschaft von maximal 70 Tagen: „In Österreich sind die Arbeitskosten höher, den Beschäftigten bleibt aber weniger.“ Im Umkehrschluss haben die nach dieser Regelung in Deutschland Beschäftigten auch keine Sozialversicherungsansprüche.

Extremer Preisdruck

Fakt sei, dass etwa im Ackerbau in Niederösterreich extremer Druck auf die Einkommen herrsche vor allem aufgrund der niedrigen Preise, so der Vertreter der Landwirtschaftskammer. Da spielen Handel und Konsumenten gleichermaßen eine Rolle. So wurde etwa zu Beginn der Spargelsaison im vergangenen Jahr in einem Supermarkt mit einem Kilopreis von knapp vier Euro für Spargel aus Peru geworben. Damit sei das Marktumfeld entsprechend aufbereitet worden. Denn der Produktionspreis für Spargel aus Österreich liege bei mindestens fünf Euro pro Kilo.