Asylwerber vor einem Informationsschalter
APA/Herbert Neubauer
Plan steht

Regierung will Asylwesen verstaatlichen

Die Koalition will die Verstaatlichung des Asylwesens voranbringen. Justiz- und Innenministerium verständigten sich auf einen Begutachtungsentwurf, der die Betreuung und Beratung von Flüchtlingen in die Hände einer Agentur gibt, die unter der Ägide des Innenministeriums steht. Die bisherigen Anbieter, zum Beispiel NGOs, müssen ihre Agenden somit abgeben. Erste Kritik ließ am Freitag nicht lange auf sich warten.

Das FPÖ-geführte Innenministerium wollte die entsprechenden Verträge in der Rechtsberatung eigentlich schon mit Jahresende kündigen. Beratung und Betreuung hätten somit schon 2020 in staatliche Obhut übergeben werden sollen. Da das ÖVP-Justizministerium, das für die Asylberufungsinstanz zuständig ist, von den Plänen aber nicht überzeugt war, verschiebt sich nun alles um ein Jahr.

Als sicher gilt, dass die Rechtsberatung in der neuen, staatlichen Agentur eine Eigenständigkeit erhält und der Leiter bzw. die Leiterin dieser Abteilung vom Justizminister bestellt wird. Grundsätzlich ist gemäß den Koalitionsplänen, die der APA als Punktation vorliegen, geplant, eine Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU) zu etablieren.

Kickl soll Weisungsbefugnis erhalten

Die geplante BBU ist als Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) geplant, die ausschließlich mildtätige und gemeinnützige Zwecke zu verfolgen haben soll. Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) wäre gegenüber der BBU-Geschäftsführung weisungsbefugt und würde die allgemeinen Grundsätze der Geschäftspolitik und der Unternehmensführung vorgeben. Die Agentur soll in den Bundesquartieren unter anderem für die Unterbringung, Verköstigung sowie für die Rechts- und Rückkehrberatung zuständig sein. Jene Quartiere, die von den Bundesländern betrieben werden, wären von der Reform aber nicht betroffen.

Bisher sind für die Bundesquartiere, etwa die Erstaufnahmestellen Traiskirchen und Thalham, kommerziell orientierte ausländische Firmen zuständig, zunächst das Unternehmen European Homecare, zuletzt die ORS Service GmbH. Das geht auf die Zeit des ehemaligen Innenministers Ernst Strasser (ÖVP) zurück. Die ORS soll ihre Aufgaben mit Mitte 2020 an die BBU übergeben. Die Auflösung der laufenden Verträge ist noch nicht erfolgt, man sei aber in guten Gesprächen, hieß es aus dem Innenministerium. Mit 2021 soll dann auch die Rechts- und Rückkehrberatung von NGOs wie der Diakonie und der Caritas an die neue, staatliche Agentur gehen.

Moser betont Unabhängigkeit trotz Kritik

Für die Rechtsberatung ist festgeschrieben, dass innerhalb der BBU ein eigener Bereich aufgebaut werden soll, in dem rund 110 Rechtsberater und -beraterinnen für die erste und zweite Instanz tätig sein sollen. Bedenken gab es schon zuvor, ob eine unter Regierungsobhut geführte Gesellschaft, überhaupt unabhängig sein kann. NGOs fürchteten bereits um Grund- und Menschenrechte in der verpflichtenden Rechtsberatung in asyl- und fremdenrechtlichen Verfahren.

Um dem entgegenzutreten, soll der Bereichsleiter der Rechtsberatung von ÖVP-Justizminister Josef Moser bestimmt und mit eigener Handlungsvollmacht ausgestattet werden. Auch in der Menschenrechtsbeobachtung und bei Übersetzungs- und Dolmetschleistungen soll die Unabhängigkeit der BBU-Geschäftsführung ausdrücklich sichergestellt werden, hieß es vonseiten der Regierung. Zudem gebe es die Kontrolle durch einen Aufsichtsrat. Moser sagte, dass die Unabhängigkeit der Rechtsberatung weiterhin Grundvoraussetzung für ein faires Verfahren sei.

Gesetzestext: Hilfe durch „Dritte" möglich“

Dass künftig nur noch staatliche Einrichtungen im Zuge der Asylverfahren tätig werden, ist anscheinend nicht fix. Denn der BBU soll es ermöglicht werden, sich der Hilfe „Dritter zu bedienen, soweit sie diese Aufgabe aufgrund außergewöhnlicher Umstände nicht aus Eigenem im erforderlichen Umfang erfüllen kann“. In den Erläuterungen zum Gesetzestext ist von zudem außergewöhnlich vielen Schutzsuchenden die Rede – derzeit ist die Zahl freilich nicht abzusehen. Zudem will man auf Dolmetscher zurückgreifen können, vor allem bei seltenen Sprachen. Von der Agentur gestellt werden auch Menschenrechtsbeobachter.

Geleitet werden soll die Agentur von einem oder auch mehreren Geschäftsführern, die für bis zu fünf Jahre bestellt werden. Im Aufsichtsrat hat das Innenministerium mit sechs Vertretern die Hälfte der Mitglieder und die Leitung über. Dazu kommen je ein Repräsentant von Justiz- und Finanzressort sowie vier Belegschaftsvertreter.

Was die Rechtsberatung angeht, hat man die grundsätzlichen Vorgaben nicht geändert. Die eingesetzten Personen müssen entweder ein Jusstudium absolviert haben, ein anderes Studium bewältigt und drei Jahre im Bereich des Fremdenrechts durchgehend gearbeitet haben oder eine mindestens fünfjährige durchgehende Tätigkeit im Bereich des Fremdenrechts innegehabt haben. Ihre Aufgabe haben sie „objektiv und nach bestem Wissen durchzuführen“ und die Erfolgsaussicht einer Beschwerde darzulegen.

Regierung erhofft sich Einsparung

Die Regierung argumentiert die Re-Verstaatlichung der Flüchtlingsbetreuung mit den finanziellen Einsparungen, die man sich erhofft. Nach einem Mehraufwand in den ersten beiden Jahren soll sich laut Regierung 2021 schon ein Ausgabenminus von rund zwölf Millionen einstellen, ab dem Jahr darauf soll es sich bei 15 Millionen einpendeln. Niedrigere Aufwendungen vermutet man für die Mieten und die Rechtsberatung. Mehr Geld werde aber für die Rückkehrberatung nötig sein. Dafür erhofft man sich eine höhere Zahl an Rückkehrern, was wieder Kosten senken würde, heißt es.

Begutachtungsentwurf: Verstaatlichung im Asylwesen

Die Regierung will die Betreuung und Rechtsberatung im Asylwesen verstaatlichen.

Kickl bezeichnete die Neuordnung als „Garanten für eine objektive und realistische Rechtsberatung im Asylverfahren“. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hob in seiner Stellungnahme hervor, dass das System zur Betreuung von Asylwerbern vereinheitlicht werde. An raschere Verfahren glaubt indes Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ), der auch verhindert sieht, „dass jemand ungerechtfertigten Profit aus der Betreuung schlägt“.

Diakonie: Regierung gefährdet Schutz für Asylwerber

Bei der evangelischen Diakonie löste das Vorhaben des Innenministeriums scharfe Kritik aus. Damit sei von dem „vielbeschworenen Ziel, dass diejenigen, die Schutz brauchen, auch Schutz bekommen sollen“, keine Rede mehr. Bereits im Jänner hatte die Diakonie davor gewarnt, dass diese Bundesagentur die „Chance auf ein faires Asylverfahren gefährdet“ – mehr dazu in religion.ORF.at.

Seitens der Asylkoordination verwies Anny Knapp indes darauf, dass sich die unabhängige Rechtsberatung als notwendige Unterstützung der Flüchtlinge erwiesen habe. Dass von den künftigen Rechtsberatern eine Selektion in erfolgversprechende und weniger aussichtsreiche rechtliche Schritte erfolgen könnte, sei „eine durchaus realistische Annahme“, gibt Knapp zu bedenken.

Volkshilfe fürchtet um sozialen Frieden

Die Ansiedlung der Rechtsberatung beim Innenministerium stieß auch bei der Volkshilfe auf herbe Kritik. Diese folge keinerlei rechtsstaatlichen Prinzipien, so Erich Fenninger, Direktor der Volkshilfe Österreich: „Auch wenn nun die Rechtsberater dem Justizministerium unterstellt werden sollen: Da wird letztlich ein System geschaffen, das sich selbst kontrolliert. Die Regierungsvertreter sprechen vom Ziel, friktionsfreie Asylverfahren zu garantieren. Gemeint ist, dass Rechtsmittel, die eingebracht werden, als Störfaktor gesehen werden und nicht als Recht der Betroffenen auf ein faires Verfahren.“

Wenn die Grundversorgung der Länder in die Agentur eingegliedert werde, entstehe ein Regelkreis, der von außen jegliche Kontrollmöglichkeit unterbinde, so Fenninger: „Das bedeutet das Ende einer umfassenden Betreuung durch NGOs, die durch den nahen Kontakt zwischen Betroffenen und BetreuerInnen auch wesentliche Integrationsmaßnahmen umfasst haben“, ließ der Volkshilfe-Direktor in einer Aussendung mitteilen.

Er kritisierte auch den mutmaßlichen „sukzessiven“ Ausschluss der Zivilgesellschaft und erfahrener NGOs aus dem öffentlichen Leben. „Unsere Tätigkeit trägt nicht nur zu einem fairen Prozess für Asylsuchende bei, sondern sorgt auch für besseres Verständnis und höhere Akzeptanz für schutzsuchende Menschen. Die jetzt entschiedene Richtung wird den Fremdenhass ankurbeln und den sozialen Frieden in unserem Land vergiften.“