Polizisten
APA/AP/Vincent Thian
Terror in Neuseeland

Suche nach möglichen Versäumnissen

Nach dem Angriff auf zwei Moscheen in der neuseeländischen Stadt Christchurch hat am Samstag die Suche nach möglichen Versäumnissen der Behörden begonnen. Es stelle sich die Frage, warum der Täter trotz seiner extremistischen Ansichten nicht im Visier der Geheimdienste war, sagte Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern. Die Polizei kündigte bereits weitere Informationen an.

Dem mutmaßlichen Täter, einem 28 Jahre alten Australier, wird vielfacher Mord zur Last gelegt. Er sitzt nun in einem Untersuchungsgefängnis. Bei einer Verurteilung droht ihm lebenslange Haft. Am Samstag musste die neuseeländische Polizei die Zahl der Todesopfer auf 50 nach oben korrigieren. Nach aktuellem Stand der Ermittlungen scheint der Verdächtige die Schüsse in den Moscheen alleine abgefeuert zu haben.

Zu einem Gerichtstermin am Samstag wurde der mutmaßliche Täter in Handschellen und weißer Häftlingskleidung vorgeführt. Dabei zeigte er das „Okay“-Zeichen in die Kameras, wie es in der englischsprachigen Welt verbreitet ist: Daumen und Zeigefinger zusammengehalten, die anderen Finger abgespreizt. Es ist eine Geste, mit der sich weiße Extremisten in aller Welt zu erkennen geben. Nach neuseeländischen Medienberichten äußerte er sich nicht zu den Vorwürfen. Der nächste Gerichtstermin ist am 5. April vorgesehen.

Fitnesstrainer und „stärkste Person der Stadt“

Vor der Tat soll er zudem ein 74-seitiges Hassmanifest veröffentlicht haben, aus dem deutlich wird, dass er es auf Muslime abgesehen hatte. Zugleich soll er darin zu Anschlägen auf ranghohe Politiker aufgerufen haben, die als „Feinde unserer Rasse“ bezeichnet werden. Das Manifest hatte der Verdächtige kurz vor dem Anschlag auch an das Büro der Premierministerin geschickt, wie der „New Zealand Herald“ berichtet. Laut der Zeitung „The Australian“ arbeitete der 28-Jährige früher als Fitnesstrainer. Schon damals soll er merkwürdige Kommentare von sich gegeben haben, berichtete das Blatt unter Berufung auf Nachbarn und Onlineeinträge des Australiers.

Mordanklage nach Terror in Neuseeland

Nach den Terroranschlägen in Neuseeland ist der Hauptverdächtige erstmals dem Haftrichter vorgeführt worden. Der 28-jährige Australier wird des Mordes angeklagt.

Sichtbar wurden seine extremistischen Ansichten etwa in einem Beitrag im Jahr 2011. Darin habe der Mann über sich geschrieben: „Ich bin ein Monster der Willenskraft. Ich brauche nur ein Ziel.“ In einem anderen Eintrag heißt es: „Ich dirigiere jeden Tag Fitnesskurse mit mehr als 20 Leuten, die mich die ganze Zeit anschauen, mir Fragen stellen und 60 Minuten lang meine Bewegungen nachmachen. Und ich genieße das. Mein Selbstbewusstsein ist durch die Decke. Ich bin die stärkste Person der Stadt.“ Als Lieblingsbeschäftigungen habe er damals Videospiele und „Stripperinnen mieten“ genannt.

Ideologische Verbindungen nach Europa vermutet

Ehemalige Nachbarn beschrieben ihn als jemanden aus einer „schönen Familie“. Er sei ein netter junger Mann gewesen. Die Mutter soll als Englischlehrerin tätig gewesen sein, der Vater an Triathlon-Wettbewerben teilgenommen haben. Balkan-Reisen des Mannes legen überdies ideologische Verbindungen nach Europa nahe. Er war von 2016 bis 2018 in Serbien, Bosnien-Herzegowina und Bulgarien.

Am Tag des Attentats veröffentlichte der Verdächtige zudem 17 Minuten lange Aufnahmen live im Internet. Diese hatte er mit einer Helmkamera gefilmt. Die Polizei hatte insgesamt 36 Minuten vom ersten Alarm bis zur Festnahme des mutmaßlichen Täters gebraucht. Im Wagen des Australiers wurde neben Feuerwaffen auch ein Sprengsatz sichergestellt, wie die Polizei am Samstag weiter mitteilte. Zu den anderen Verdächtigen sagten die Behörden: „Wir ermitteln derzeit, ob eine Person oder diese Personen in den Vorfall verwickelt waren.“

Kinder unter 39 Verletzten

Insgesamt 39 Menschen liegen noch mit Schusswunden in verschiedenen Krankenhäusern – darunter ein zweijähriger Bub und eine Vierjährige, die in Lebensgefahr schwebte. Christchurch steht nach dem Angriff nach wie vor unter Schock. In der Nähe der Tatorte legten viele Menschen Blumen nieder und zündeten Kerzen an. Insgesamt war es in der Stadt jedoch viel ruhiger als an normalen Samstagen. Viele Geschäfte blieben geschlossen.

Eine Frau legt Blumen nieder
APA/AP/Mark Baker
In der Nähe der Tatorte legten viele Menschen Blumen nieder und zündeten Kerzen an

Polizeichef Mike Bush sagte, der „absolute Mut“ von Polizisten und Zivilisten habe vermutlich weitere Opfer verhindert. Nach Angaben von Regierungschefin Jacinda Ardern wurde der mutmaßliche Attentäter nach dem Angriff auf die zweite Moschee von zwei Polizisten gestoppt, während er in seinem Wagen unterwegs war. Wäre er nicht aufgehalten worden, hätte er seinen Angriff vermutlich fortgesetzt.

Regierung will Waffengesetze verschärfen

Ardern besuchte am Samstag zudem ein Flüchtlingsheim mit Muslimen und richtete von dort eine Botschaft an das ganze Land: „Neuseeland ist in Trauer vereint.“ Vermutet wird, dass alle Todesopfer muslimischen Glaubens sind. Mit etwa 50.000 Gläubigen – darunter viele Einwanderer aus Staaten wie Pakistan und Bangladesch – sind Muslime in Neuseeland eine Minderheit. Der Pazifikstaat mit knapp fünf Millionen Einwohnern blieb bisher von Terrorismus und Amokläufen weitgehend verschont.

Neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern
AP/New Zealand Prime Minister Office
Regierungschefin Ardern besuchte am Samstag die neuseeländische Stadt Christchurch

Als Reaktion auf den brutalsten Anschlag in der jüngeren Geschichte Neuseelands will die Regierung die Waffengesetze verschärfen. Der Tatverdächtige hatte laut Ardern im November 2017 einen Waffenschein der Kategorie A erhalten und im folgenden Monat mit dem Kauf der fünf Waffen begonnen, die er bei dem Attentat benutzte. Er war auch Mitglied in einem Schützenverein. In Neuseeland kann jeder Bürger über 16 Jahren einen Waffenschein erhalten, wenn er einen Sicherheitskurs durchlaufen hat. Mit dem Schein können dann rechtmäßig Waffen erworben werden.

Kritik an Internetkonzernen

Terrorismusexperte Peter Neumann forderte unterdessen mehr Hilfe von Internetkonzernen im Anti-Terror-Kampf ein. Zwar sei eine hundertprozentige Liveüberwachung von YouTube, Facebook und anderen Plattformen zum Aufspüren blutrünstiger Terrorpropaganda unrealistisch, sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Samstag-Ausgaben). Dennoch könnten die Unternehmen mehr tun als bisher, um etwa die Übertragung von Attentaten zu erschweren.

Terrorismusforscher über Anschläge in Neuseeland

Terrorismusforscher Peter Neumann vom King’s College analysiert in der ZIB2 die Terroranschläge in Neuseeland.

„Gegen die rasante und massenhafte Verbreitung lässt sich nur mit mehr Einsatz von Personal und Technik vorgehen, mit deren Hilfe diese brutalen Videos gelöscht werden“, sagte Neumann, der am Londoner King’s College zu Extremismus und Radikalisierung forscht. „Die brutale Tat live zu übertragen dient zum einen einer narzisstischen Selbstinszenierung des Täters“, sagte Neumann, „zum anderen soll die Tat so medial verbreitet werden. Das ist neben Manifest und Verweisen durch den Attentäter Teil der Propagandastrategie.“