Demo gegen die EU-Urheberrechtsreform
picturedesk.com/dpa/Christoph Soeder
Lobbying bis zuletzt

Heißes Finale im Streit über EU-Copyright

Am Dienstag findet in Straßburg der letzte Akt im Drama um die EU-Urheberrechtreform statt. Das EU-Parlament stimmt dann final über die umstrittenen Neuerungen ab. Sowohl Kritiker als auch Befürworter setzen bis dahin alle Hebel für ihre Sache in Bewegung. Es wird mit harten Bandagen gekämpft.

Am Donnerstag blieb die deutschsprachige Wikipedia für 24 Stunden schwarz. Die Enzyklopädie hatte sich dem Protest der Gegner der Urheberrechtsreform angeschlossen, der seit Wochen tobt. Wie viele Netzdebatten zuvor, siehe etwa das Antipirateriegesetz ACTAS und die Vorratsdatenspeicherung, hat sich die Reform zum heißen politischen Eisen entwickelt. Seit Wochen wird der Entwurf seziert, diskutiert, geschmäht und hartnäckig verteidigt.

Die einen sehen ein handwerklich schlecht gemachtes Gesetz und eine Bedrohung für das Internet. Für die anderen ist es der richtige Weg, um große (US-)Onlinekonzerne endlich in die Mangel zu nehmen und Kunst-, Kultur- und Medienschaffende ordentlich zu vergüten. Beide Seiten versuchen nun bis zuletzt, die EU-Abgeordneten auf ihre Seite zu ziehen und zumindest die umstrittensten Teile zu kippen. Über 100 Abgeordnete haben via die österreichische NGO-Kampagne Pledge 2019 von epicenter.works bereits Zweifel an Teilen der Reform angemeldet.

Heftiges Lobbying von Anfang an

Die Debatte ist nicht zuletzt auch deswegen so heftig, weil sie von Beginn an durch ausgeprägtes Lobbying begleitet wurde. Immerhin standen sich in bei der Ausarbeitung des Gesetzes mit den US-Internetkonzernen und der Kreativwirtschaft, den Verlagen und den Rechteverwertern äußerst mächtige Kontrahenten gegenüber.

Schild auf einer Demo mit der Aufschrift „Dieser Protest kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden.“
picturedesk.com/dpa/Christoph Soeder
In den vergangenen Wochen wurde unter anderem in Deutschland immer wieder protestiert

Wer wann für was lobbyiert hat und in welchem Ausmaß, kann bis heute aufgrund lückenhafter Transparenzregelungen nicht hundertprozentig nachvollzogen werden werden. Klar ist aber: Beide Seiten versuchten in erheblichem Maße, Einfluss zu nehmen. Und in dem Getöse seien leisere Gegenstimmen wie jene aus der Bevölkerung übertönt worden, so die NGO Corporate Europe Observation, die Lobbying in der Europäischen Union beobachtet.

Seitdem die Reform in die Zielgerade gebogen ist, ist aber auch der zivilgesellschaftliche Protest gewachsen – nicht nur, aber vor allem bei den Jungen. Neben der Klimakrise ist es die Angst um das Netz, das politisches Interesse mobilisiert. In beiden Fällen wird um den Lebensraum gefürchtet – einer davon eben digital. Gerade online hat sich dann auch in den letzten Monaten eine breite Front gebildet, die sich in Videos, Blogeinträgen, Tweets und Diskussionen gegen die Reform, oder zumindest Teile davon, wendet. Angetrieben hat diesen Protest maßgeblich die Europaabgeordnete Julia Reda, die einzige Piratin im EU-Parlament. Sie hofft, dass zumindest die umstrittenen Artikel noch gekippt oder abgeändert werden.

Die großen Zankäpfel

Konkret sind es zwei Artikel, die für den heftigsten Protest sorgen. Artikel 11 sieht unter anderem vor, dass Plattformen in Zukunft zahlen sollen, wenn sie kleine Ausschnitte oder Überschriften von Presseerzeugnissen („Snippets“) zeigen.

Die deutsche EU-Abgeordnete Julia Reda
AP/CTK/Ondrej Deml
Julia Reda, einzige Piratin im EU-Parlament, wurde kurz vor dem Ende ihrer Amtszeit zur Wortführerin der Gegner

Der zweite große Zankapfel ist Artikel 13. Diesem zufolge müssen Plattformen verhindern, dass urheberrechtlich geschützte Werke auf ihren Seiten zugänglich sind. Um nicht haftbar gemacht zu werden, könnten die Betreiber Upload-Filter verwenden. Sie sollen geschützte Texte, Bilder oder Audiodateien automatisch erkennen und ein Hochladen blockieren. Diese Filter sind stark umstritten – denn sie seien nicht in der Lage, Urheberrechtsverletzungen genau von legalen Nutzungen zu unterscheiden, so die Kritik. Die Befürworter können die Angst um das Netz nicht nachvollziehen – für sie enthält die Reform ausreichende Ausnahmeregelungen.

Demotag in ganz Europa

Dass Netzaktivismus allein die Meinung der Abgeordneten nicht ändern wird, ist den Gegnern bewusst. Deswegen sollte der Protest am Samstag in einem europaweiten Aktionstag auf die Straße geholt werden. Mehr als 50 Demonstrationen waren geplant, die überwältigende Mehrzahl davon in Deutschland. Allein in München gingen nach Angaben der Polizei rund 40.000 Menschen unter dem Motto „Rette Dein Internet“ auf die Straße, die Veranstalter sprachen von mehr als 50.000. „Macht unser Internet nicht kaputt“ und „Das Internet bleibt, wie es ist“, hieß es auf den Plakaten. Demos gab es auch in Berlin und vielen weiteren deutschen Städten.

Demo in Berlin
APA/AFP/Odd Andersen
„Wenn du nicht weißt, wie du es reparieren kannst, hör auf es zu zerstören“ steht auf dem Schild eines Demonstranten in Berlin

In Österreich gab es Aktionen in Wien, Salzburg und Innsbruck. Laut Veranstalter nahmen 4.000 Personen in der Hauptstadt teil. Die Demonstration verlief vom Christian-Broda-Platz über die Mariahilfer Straße bis zum Rathaus. Mehrere Rednerinnen und Redner hielten Ansprachen gegen die Pläne, darunter der EU-Abgeordnete Michel Reimon (Grüne), Claudia Gamon (NEOS), Stephanie Cox (Jetzt), der Influencer Venicraft und Thomas Planinger von Wikimedia, der Trägerorganisation der Wikipedia.

Vor allem Debatte im deutschsprachigen Raum

Der größte Widerstand findet nichtsdestoweniger auf YouTube, Twitter, WhatsApp und Twitch statt – just auf jenen Portalen, welche die Urheberrechtsreform an die Kandare nehmen will. Das wurde der Gegenbewegung auch zur Last gelegt. YouTube verdiene an den Artikel-13-Protestvideos der Vlogger gutes Geld, lautet ein Vorwurf. Oder: Die Proteste würden gleich ganz von den Tech-Giganten orchestriert.

Exemplarisch steht ein Kommentar des Herausgebers der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ („FAZ“), Jürgen Kaube, laut dem Google derzeit „Armeen von Lobbyisten, angeblichen NGOs und Desinformationskampagnen“ einsetze, „um der Menschheit weiszumachen, das Internet breche demnächst zusammen, wenn das Urheberrecht auch in ihm durchgesetzt würde“. Den umgekehrten Vorwurf müssen sich dann aber auch Befürworter der Reform gefallen lassen: Ihnen werden von der Gegenseite Verbandelungen zwischen Fürsprechern in der Politik, großen Verwertungsgesellschaften und diversen Medien angelastet.

Der Ton ist rau – und zwar auf allen Seiten. Das zeigte sich auch, als die EU-Kommission die Gegner in einem später gelöschten Blogeintrag als „Mob“ bezeichnete. In diesem aufgeheizten Klima blickt man der Abstimmung am Dienstag gespannt entgegen. Wie diese ausgeht, ist offen. In den vergangenen Tagen machten jedenfalls auch die Befürworter noch einmal im großen Stil mobil: Am Freitag riefen 260 Medienorganisationen zur Unterstützung der Reform auf, ebenso ein großer Verband aus Rechteverwertern und Kreativunternehmern unter dem Motto „#Yes2Copyright“.

„Urheberrecht sichert 300.000 Arbeitsplätze in Österreich“

Die unabhängige Plattform Austria creative verwies am Samstag in einer Aussendung auf die Zukunft unzähliger Berufe, Arbeitsplätze und Unternehmen in den Kreativbranchen, die von der geplanten Regelung abhängen würden. Knapp 300.000 Arbeitsplätze sichere das Urheberrecht in Österreich. Das bedeute für die heimischen Volkswirtschaft mittel- wie unmittelbar einen Produktionswert von 34,12 Mrd. Euro.

„Geistiges Eigentum ist die Schlüsselressource einer modernen Industrie- und Wissensgesellschaft. Umso wichtiger sind angesichts der neuen Technologien des digitalen Zeitalters faire Rahmenbedingungen für künstlerisch-kreatives Handeln, um dessen Beitrag zu Innovation und Stärkung des Wirtschaftsstandortes Österreich zu erhalten", so Gernot Graninger, Generaldirektor der Verwertungsgesellschaft AKM und Gründungsmitglied von Austria creative. „Wir sind absolut für die Freiheit des Internets – und müssen gleichzeitig sicherstellen, dass auch die nächste Generation UrheberInnen von ihren kreativen Ideen leben können wird.“

Beinahe jeder zwölfte Arbeitsplatz in Österreich hänge vom Urheberrecht ab. "Deshalb sollte das Europäische Parlament Ja sagen zur Copyright-Richtlinie“, so Franz Medwenitsch, Geschäftsführer des Verbands der Österreichischen Musikwirtschaft – IFPI Austria, ebenfalls Mitglied von Austria creative.

Timmermans verteidigte Vorhaben

Unmittelbar vor dem Beginn der Proteste verteidigte EU-Kommissionsvize Frans Timmermans das Vorhaben. Es sei doch nicht gerecht, wenn nur Google mit geistigem Eigentum Gewinne mache, sagte der Niederländer den Zeitungen der deutschen Funke-Mediengruppe. „Daher versuchen wir, das über europäische Gesetzgebung zu regeln. Wir müssen Künstlerinnen und Künstler schützen“, sagte Timmermans.

„Es ist die Welt der jungen Menschen, dass im Netz alles frei verfügbar sein muss“, sagte Timmermans weiter. „Aber wenn man etwas erfindet, etwas schreibt, etwas macht – dann ist das Eigentum. Das kann man nicht einfach so wegnehmen.“

Entscheidend könnte letzten Endes aber sein, dass die Debatte in dieser Breite fast nur im deutschsprachigen Raum geführt wird. Und: Es kommt kaum vor, dass ein im Trilog – also ein zwischen Rat, Kommission und Parlament ausverhandelter Entwurf – vom Parlament noch einmal zurückgewiesen wird.