Tourist in Venedig
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Massentourismus

„Airbnb“ in Venedig vor 450 Jahren

Der Massentourismus und seine Folgen sorgen in mehr und mehr Städten für Debatten. Diese versuchen mit allen möglichen Mitteln, den Ansturm in geordneten Bahnen zu halten. In der Lagunenstadt Venedig wiederholt sich auf gewisse Weise ein ziemlich altes Kapitel der Geschichte, nur in anderen Dimensionen.

Mit rund 30 Mio. Besucherinnen und Besuchern pro Jahr ist die Stadt der Inbegriff des Massentourismus. Mit den Schattenseiten ihrer Popularität kämpfen auch andere Metropolen von Barcelona bis Paris. Immer wieder genannt wird etwa die Verteuerung von Wohnraum in den Innenstädten durch den Boom der kurzfristigen Vermietung von Privatquartieren.

Die globale Reiselust habe zur Folge, dass es für Städte schwieriger wird, die Interessen von Besuchern mit den Bedürfnissen der Einheimischen unter einen Hut zu bringen, hieß es kürzlich in einem Artikel der Historikerin Rosa Salzberg von der britischen Universität Warwick. Der Boom der Privatvermietung führe zu steigenden Preisen und „erodiert lokale Gemeinschaften“.

Probleme und Profit

Venedig sei heute eine der „am schlimmsten betroffenen Städte“ überhaupt: Die Einwohnerzahl sei auf ein Rekordtief gefallen, die Stadt suche nach Maßnahmen, um die negativen Effekte des Besucheransturm zu dämpfen. In der Lagunenstadt sollen Tagesgäste anfangs künftig drei Euro „Eintritt“ zahlen. Die Stadtregierung will damit unter anderem Reinigungs- und Instandhaltungskosten unterstützend finanzieren.

Touristen in Venedig
Reuters/Manuel Silvestri
Venedig zählt an die 30 Mio. Gäste pro Jahr

Aber: Die Stadt hat nicht nur Probleme, sie sitze auch auf einem reichen Schatz von Erfahrung im Umgang mit Zuwanderung und Tourismus, schreibt die Historikerin, spezialisiert auf italienische Geschichte. Nicht nur das: Venedig habe immer auch davon profitiert.

Die Anfänge des Tourismus

In der Renaissance etwa, als Venedig eine blühende Weltmetropole des Handels war, sei so etwas wie ein „großer informeller Wohnungsmarkt“ – eine Art Airbnb an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit – entstanden, ähnlich schwer überschau- und regulierbar bzw. zu besteuern wie privat vermietete Kurzzeitquartiere heute. Damals, zur Blütezeit der Stadt im 16. Jahrhundert, sei die Bevölkerungszahl binnen 50 Jahren von 100.000 auf 170.000 gestiegen. Heute sinkt sie kontinuierlich, im historischen Zentrum leben keine 60.000 Einheimischen mehr.

Touristen in Venedig
APA/AFP/Vincenzo Pinto
Besucher drängen sich auf der Seufzerbrücke

Während heute Markusplatz und Lagune zum internationalen touristischen Pflichtprogramm gehören, seien damals Kaufleute und Unternehmer aus aller Welt, Migranten auf der Suche nach Arbeit, aber auch vor Krieg und Armut Geflohene gekommen, schreibt die britische Historikerin. Es kamen auch schon die ersten Reisenden, Dichter und Gelehrten, die das kulturelle Erbe der Stadt erkunden wollten. Sie alle hatten eines gemeinsam: „Alle diese Menschen mussten irgendwo wohnen.“

Markt schon damals kaum zu überblicken

Ihre Forschung habe gezeigt, schreibt Salzberg, wie damals Hunderte Venezianer und Venezianerinnen ihre Chance gesehen hätten, als Vermieter Geld zu verdienen – darunter seien zahlreiche Frauen gewesen. Das rapide Wachstum dieses „informellen“ Wirtschaftssektors habe rasch die Regierenden auf den Plan gerufen.

Man habe nicht nur eine Bedrohung durch Seuchen, sondern gleichfalls durch „bedrohliche politische und religiöse Ideen“ gesehen, die Regierung sei darauf bedacht gewesen, die Anwesenheit von Fremden in der Stadt zu überwachen und zu regulieren. Außerdem seien auch damals schon die Konkurrenz zwischen Hotels und Privatquartieren sowie Steuern ein Thema gewesen.

Also habe die Regierung „ein bisschen wie heute“ versucht, die Vermieter zu besteuern. Den neuen Wirtschaftszweig ganz abzustellen habe man aber nicht versucht. Man sei sich bewusst gewesen, dass die Fremden in vielfacher Hinsicht wichtig für Wirtschaft und Kultur gewesen seien. Alle, die „wertvolle Güter, innovative Ideen oder wichtige Arbeitskraft“ in die Stadt brachten, seien willkommen gewesen. Man habe auch gesehen, dass viele wirtschaftlich Schwache von der Entwicklung profitiert hätten.

Bausteine für einen Wirtschaftszweig

Bei Weitem nicht jeder oder jede sei aber willkommen gewesen. Es habe viel Kategorien von „unerwünschten“ Personen gegeben, so die Historikerin, die man nicht in der Stadt haben wollte, darunter Bettler und Prostituierte. Dasselbe habe in unterschiedlichem Ausmaß auch für religiöse Minderheiten gegolten.

Trotzdem habe man stets auch die Vorteile der frühen Tourismuswirtschaft im Auge behalten. Quartiere seien lizenziert worden, sie waren später Baustein für die touristische Infrastruktur der Lagunenstadt. Der Stadt sei es gelungen, eine Art Balance zwischen den Interessen ihrer Gäste und denen der Einheimischen zu halten.

Andere Dimensionen

Heute werde das allerdings schwieriger. Die Rahmenbedingungen sind – nicht verwunderlich – ganz andere. Die Gründe, warum Menschen in die Stadt kommen, seien andere, schlicht auch die Zahlen. Pro Tag zählt Venedig im Durchschnitt zwischen 80.000 und 90.000 Besucher, rund 30 Millionen pro Jahr. Andere beliebte Metropolen kämpfen ebenfalls mit Problemen und versuchen etwa, den privaten Mietmarkt stärker – oder überhaupt – zu regulieren.

Ein Beispiel dafür ist Paris. Die französische Hauptstadt liegt seit geraumer Zeit mit dem Wohnungsvermittler Airbnb im Clinch. Sie wirft der Onlineplattform Verstöße gegen Auflagen vor, es gehe dabei um rund 1.000 nicht registrierte Angebote, hieß es zuletzt. Frankreich drohte mit Strafen über 12,5 Mio. Euro – 12.500 Euro für jedes Angebot. Paris erlaubt es Privatpersonen nur, ihre Quartiere maximal 120 Tage pro Jahr als Touristenunterkunft zu vermieten.

Bürgermeisterin Anne Hidalgo sprach mit Blick auf den angespannten Mietmarkt im Stadtzentrum von einer „sehr sensiblen Frage“. Sie warnte vor einer Entwicklung wie in „Venedig oder Barcelona, wo sich Einwohner gegen Besucher wenden“. In Barcelona wurde schon einmal ein Bus mit Touristen attackiert. Wohnungsknappheit durch den Boom privater Urlaubsunterkünfte ist auch in deutschen Städten ein Thema, New York hat wie Paris Beschränkungen erlassen.

Künftig Registrierungspflicht in Österreich

In Österreich war das Geschäftsfeld bisher nicht geregelt. Wie die Bundesregierung zuletzt ankündigte, soll sich das künftig ändern. Zum einen werde die entsprechende EU-Richtlinie zur Meldepflicht für Buchungen und Umsätze bereits 2020 umgesetzt. Darüber hinaus werde eine „österreichweit einheitliche Registrierungspflicht für alle Privatvermietungen“ über Onlineplattformen eingeführt. Ziel sei, dass ab 2020 „nur mehr Wohnungen über Airbnb und andere Plattformen vermietet werden, für die auch ordnungsgemäß Abgaben und Steuern entrichtet werden“.