Foto „Traces Untitled“ von Weronika Gesicka
Weronika Gesicka und Jedno
Foto Wien

Die neuen Heimatbilder

Das Festival Foto Wien gießt ein Füllhorn an Ausstellungen über der Stadt aus. Erstmals hat der Europäische Fotomonat, an dem sich Wien seit 2004 beteiligt, auch eine eigene Festivalzentrale. So urban das Festival auch ist, viele Kameras richten sich heuer aufs Landleben und hinterfragen Klischees.

Der Monat der Fotografie wurde in den 1980er Jahren in Frankreich erfunden. Dort genießt das Medium einen viel höheren Stellenwert als in Österreich, wo es etwa bis heute kein einziges Fotomuseum gibt. „Es ist unser Ziel, die Fotografie in der Stadt sichtbarer zu machen“, sagte Bettina Leidl, Direktorin des Kunst Haus Wien. Leidl hat den Fotomonat heuer neu organisiert und für ein Festivalzentrum gesorgt.

Rund 130 Museen, Galerien und andere Ausstellungsorte beteiligen sich 2019 an der Foto Wien. Als Budget wurden von der Stadt Wien rund 270.000 Euro bereitgestellt. Die Festivalzentrale befindet sich in der leer stehenden Postsparkasse in der Wiener City. Den Veranstaltungsort sponsert die Signa Holding, die Otto Wagners Architekturikone 2013 erworben hat und demnächst umbauen will.

Die Kamera im Kuhstall

Als ein Schwerpunkt des aktuellen Festivals kann eine Art „neuer Heimatfotografie“ ausgemacht werden. Wurde in der letzten Dekade vor allem das Genre der Street Photography gefeiert, so rücken derzeit Bilder vom Landleben in den Fokus. Es sind also nicht mehr Beton, Glasfassaden und urbane Coolness gefragt, sondern Wiesenblumen und Stammtische. Für den Schnappschuss auf der Straße bildeten die Fifties und Sixties in Amerika einen zentralen Angelpunkt. Wenn Fotokünstlerinnen und -künstler heute im Kuhstall ihre Schuhe schmutzig machen, treten sie gegen die idealisierende Volkstümelei der 1930er Jahre an. Aber lässt sich Landleben überhaupt unsentimental darstellen?

Eva Szombat: Legs in the stable Tiszaujvaros (2012)
Eva Szombat
Knallbunt im Kuhstall: Das Landleben steht im Fokus der diesjährigen Foto Wien

„Die Sehnsucht nach dem Ländlichen ist heute allgegenwärtig“, sagte Verena Kaspar-Eisert, Kuratorin des Kunst Haus Wien. Allein schon der Boom von Landliebe- und Heimatmagazinen belege diesen Trend. Am Freitag eröffnet Kaspar-Eisert in dem grün bepflanzten Hundertwasser-Gebäude die Ausstellung „Über Leben am Land“, in der 20 Positionen aus Europa und den USA versammelt sind. Die Existenz jenseits der Städte sei auch durch die letzten politischen Entwicklungen spannender geworden, da die Stimmen aus der „Provinz“ und nicht mehr die aus den Metropolen den Ausschlag an den Wählerurnen gäben, erklärte die Ausstellungskuratorin.

Aussteiger wider Willen

Kein Schwein weit und breit ist auf den Dorfansichten von Peter Braunholz zu sehen, mit denen der Ausstellungsrundgang beginnt. Alle Leute nur drinnen bei Kaffee und Kuchen oder bereits weggezogen? Der deutsche Fotograf hat menschenleere Szenerien in ganz Europa festgehalten, aber durch ihre Helligkeit und Raumkomposition wirken die Straßenzüge in Spanien und Litauen plötzlich verwandt.

Peter Braunholz: TOPOPHILIA III (Villasandino/Spanien 2017)
Peter Braunholz, Courtesy Galerie Anja Knoess Köln
Braunholz’ „Topophilia III“: Der deutsche Fotograf hat menschenleere Szenerien in ganz Europa festgehalten

Land- und Stadtflucht werden in der Schau zum Thema. Die Fotografin Laura Henno porträtierte gestrandete US-Bürger in der kalifornischen Wüste. „Slab City“ ist ein wilder Campingplatz ohne Strom und Wasser auf einer ehemaligen Militärbasis. Auf Hennos Fotoporträts sitzen junge Pärchen, Alte und Alleinerzieherinnen auf dem kargen Boden und sehen eher wie Obdachlose denn wie freiwillige Aussteiger aus.

Fotostrecke mit 7 Bildern

Ed van der Elsken, Cuba, 1967
Ed van der Elsken / Nederlands Fotomuseum, Rotterdam, courtesy: Annet Gelink Gallery, Amsterdam
Ed van der Elsken, „Cuba“, 1967
Photo House, Tel Aviv
Photo House, Tel Aviv
Photo House, „Tel Aviv“
Hanna Putz & Sophie Thun, Paar 4, 2019
Hanna Putz & Sophie Thun
Hanna Putz & Sophie Thun, „Paar 4“, 2019
Edward Weston, Cabbage Leaf, 1931
Center for Creative Photography, Arizona, Foto: Hubert Auer
Edward Weston, „Cabbage Leaf“, 1931
Henri Cartier-Bresson, L’Espagne Vivra, 1938
Collection Ciné-Archives, film archive of the French communist party and the labour movement
Henri Cartier-Bresson, „L’Espagne vivra“, 1938
Mohamed Bourouissa, Nous sommes halles, 2002
ADAGP Mohamed Bourouissa 2019, Courtesy: Mohamed Bourouissa, kamel mennour, Paris/London und Blum & Poe, Los Angeles/NewYork/Tokyo
Mohamed Bourouissa, „Nous sommes halles“, 2002
Piero Percoco, C41 Portrait, 2018
Piero Percoco
Piero Percoco, „C41 Portrait“, 2018

„Gehen oder bleiben?“ Diese Frage stellt sich auch der junge Landwirt auf den Fotos von Anne Golaz. Die Schweizerin begleitete ihren zweifelnden Bruder jahrelang mit der Kamera und fing ganz unterschiedliche Impressionen vom Hofleben ein. Ihre Versiertheit beweist Golaz mit zwei Fotos, die an altmeisterliche Porträtmalerei erinnern. „Fast alle Künstlerinnen und Künstler der Ausstellung stammen selbst vom Land“, sagte Kaspar-Eisert.

Ausstellungshinweise:

  • „Über Leben am Land“, bis 25. August, Kunst Haus Wien, täglich 10.00 bis 18.00 Uhr
  • „Manfred Willmann“, bis 26. Mai, Albertina, täglich 10.00 bis 18.00, mittwochs und freitags bis 21.00 Uhr
  • „Retropia. Sprechen über Sehnsuchtsbilder vom Land“, von 5. April bis 2. Juni, Volkskundemuseum, dienstags bis sonntags 10.00 bis 17.00, donnerstags bis 20.00 Uhr

Allerdings sei es gewaltig, was sich durch die Digitalisierung innerhalb von zehn Jahren verändert habe. Die „Landjugend“, die der 1979 in Linz geborene Fotograf Paul Kranzler in seinen vielfach ausgezeichneten Serien porträtiert, hat via Smartphone Zugang zu einer globalen Medien- und Konsumkultur und nicht mehr bloß ein „Bravo“-Heft zum Träumen.

Heimat, schöne Heimat

Von den österreichischen Positionen sticht vor allem Lois Hechenblaikner hervor, der sich mit seiner Art der Heimatfotografie in Tirol schon Feinde gemacht hat. Galgenhumor spricht etwa aus Hechenblaikners Zyklus „Hinter den Bergen“, in dem er eigene Aufnahmen mit historischen Fotos kombiniert. So stehen etwa auf einem Schwarz-Weiß-Bild aus den 1930er Jahren Bauernbuben mit Schafen für die Kamera still; als zeitgenössisches Pendant hängt Hechenblaikner ein Gruppenbild daneben, das Golfspieler mit ihren Bags in einer ganz ähnlichen Haltung zeigt. Wenn eine ganze Familie Fanartikel der Zillertaler Schürzenjäger am Leib trägt oder Hansi Hinterseer beim Gipfelkreuz wie Jesus die Arme ausbreitet, dann spricht das Bände über unsere heutigen „Bergwelten“.

Schürzenjäger-Fans 2001
Lois Hechenblaikner
Ein eigener Blick auf die Tiroler Bergwelten: Hechenblaikners nüchtern betiteltes Bild „Familie – Schürzenjäger-Fans“

Vor einigen Wochen ließ der Fotograf Manfred Willmann mit einer Geste des Protests aufhorchen: Nachdem die Stadt Graz dem Musiker Andreas Gabalier das Goldene Ehrenkreuz zugesprochen hatte, kündigte Willmann an, seine eigene Auszeichnung von 2002 zu retournieren. „Kommerzialisierung und Volksverdummung“ spricht für den 1952 geborenen Fotografen aus Gabalier-Hits wie „Bergbauernbuam“.

Aus der Rückgabe der Medaille spricht ein Kulturkampf darum, wie hierzulande mit „Heimat“ umgegangen wird. Willmanns aktuelle Retrospektive in der Albertina beweist, dass der langjährige Herausgeber der Zeitschrift „Camera Austria“ ein besonderes Auge für das Landleben besitzt.

Poesie des Alltags

Es sind die starken Farben und Kontraste dieser Fotokunst, die unmittelbar anziehen. Da schleckt sich ein Kater Blut vom Maul, ein bunt geblümtes Tischtuch leuchtet unter Tellern voll Nudelsuppe und der rote Schnabel eines schwarzen Schwans glänzt im Dunkeln. Willmann startete zu einer Zeit mit Farbfilm, als dieser noch als kommerziell und amateurhaft galt. Mit der Serie „Die Welt ist schön“ feiert der Steirer die Poesie des Alltags, wie es zehn Jahre zuvor der US-Fotograf William Eggleston vorgemacht hat. Mit Porträts von Familie und Freunden, Landschaftsfotos und Stillleben aus dem nächsten Umfeld gibt der Fotograf viel Persönliches preis. Sein spezieller Stil grenzt Willmann jedoch von tagebuchartigen und dokumentarischen Genres ab.

Beide Bilder: Manfred Willmann: Ohne Titel, aus der Serie „Das Land“, 1981-1993, Lambda Print (Albertina, Wien)
Manfred Willmann
Werke von Willmann: Der Künstler ließ zuletzt mit einer Geste des Protests aufhorchen

Die Zyklen des bäuerlichen Kosmos bringt der Fotograf durch Vanitas-Motive zum Ausdruck, wenn er etwa einen Schweinskopf im Kübel und reife Äpfel auf dem Baum verewigt. Die Verwendung von Blitzlicht verstärkt die Farben und verleiht Nachtaufnahmen einen besonderen Reiz. Wer bei Willmann genau hinsieht, erkennt nicht nur einen Trachtenjankerträger mit Weinglas, sondern vor allem dessen von der Arbeit zerschundene Hand auf der Schankbudel. Die Faschisten hätten die Idee des Ländlichen missbraucht, und jetzt käme es zu einer „Wiederkehr eines kitschig-verlogenen Heimatbegriffs“, sagte Willmann im Albertina-Interview. Einer solchen Ideologie setze er Hinfälligkeit, das Alltägliche und Schmutzige gegenüber. „Mein Land zeigt eine Welt des Vergänglichen, aber auch Momente großer Schönheit und Stärke.“

„Bregenzerwaldhaus“ in Vorarlberg (1. Hälfte 20. Jahrhundert)
Volkskundemuseum Wien
In der Schau „Retropia“ widmet sich das Volkskundemuseum Wien ab April der Heimatfotografie

Brisante heile Welt

Anfang April nimmt auch das Volkskundemuseum Wien die Heimatfotografie von einst und heute unter die Lupe. Unter dem Titel „Retropia. Sprechen über Sehnsuchtsbilder vom Land“ werden zwei Forschungsprojekte präsentiert. Vom Austrofaschismus bis zur Biowerbung reicht die Palette der versammelten Sujets, die heile Welt versprechen. In der interaktiven Ausstellung wird hinterfragt, wie Bilder von glücklichen Ferkeln, Mädchen in Dirndln und Almwiesen das österreichische Unbewusste bis heute prägen. Seine eigene Sehnsucht zu erforschen ist der erste Schritt zur Besserung.