Ungarns  Ministerpräsident Victor Orban
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„Österreichische Lösung“

EVP spielt bei FIDESZ-Problem auf Zeit

Es war ein deutliches Votum: Mit 190 zu drei Stimmen hat die Europäische Volkspartei (EVP) am Mittwoch die ungarische FIDESZ zumindest vorläufig aus ihren Reihen verbannt. Eine prominent besetzte Kommission soll nun über die weitere Zukunft entscheiden. Es ist eine in doppeltem Sinne „österreichische Lösung“.

Provokationen, Regelbrüche, ein Aushöhlen von Demokratie, Medien- und Meinungsfreiheit: Seit Jahren ringt die EVP immer wieder mit FIDESZ, nun waren die Konservativen kurz vor der EU-Wahl zum Handeln gezwungen. Und die Entscheidung ist eindeutiger ausgefallen als im Vorfeld spekuliert: Nach einer stundenlangen und wohl hart geführten Vorstandssitzung einigte sich die EVP darauf, FIDESZ’ Mitgliedschaft zu suspendieren. Das bedeutet: Die Partei hat ab sofort kein Stimmrecht mehr, darf keine Kandidaten für Ämter nominieren und nimmt an keinen Treffen der Konservativen mehr teil.

An Drohkulisse vorbeimanövriert

Damit hat EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber (CSU) das Problem FIDESZ zwar nicht gelöst, aber zumindest bis auf die Zeit nach der EU-Wahl vertagt. Die im Vorfeld gefürchtete Spaltung der Partei konnte vorläufig vermieden werden, wie auch Orban betonte. Und mit einem Passus, dem zufolge sich FIDESZ und die EVP gemeinsam auf ein Kaltstellen der Mitgliedschaft geeinigt hätten, konnte die ungarische Regierungspartei auch ihr Gesicht waren. Die Pause gebe auch der FIDESZ selbst die Chance, ihr Verhältnis zur EVP zu bewerten.

Manfred Weber (CSU)
AP/Francisco Seco
Manfred Weber will einen Schlussstrich unter das FIDESZ-Problem ziehen

Die ungarische Partei hatte in den vergangenen Wochen eine potente Drohkulisse aufgebaut und unter anderem mitgeteilt, FIDESZ werde bei einer Suspendierung selbst aus der EVP austreten. Der Gedanke daran hatte dort wiederum Ängste geweckt, Orban könnte gemeinsam mit der polnischen PiS, der italienischen Lega und anderen EU-skeptischen Parteien eine neue Fraktion schmieden. Was theoretisch nach wie vor passieren könnte – immerhin findet die Fraktionsbildung erst nach der Europawahl statt.

Doch das ist vorläufig in die Ferne gerückt. Weber will sich nun „auf den Wahlkampf“ konzentrieren – was wohl bedeutet, dass die Partei das Thema FIDESZ ad acta legen will. Dafür hat Weber das Szepter an einen „Weisenrat“ weitergegeben. Der soll – wohl frühstens im Herbst, aber auf jeden Fall nach der Wahl – entscheiden, ob und wann die ungarische Partei wieder vollwertiges Mitglied werden soll. Dazu müsse Orban auch die drei im Vorfeld gestellten Bedingungen erfüllen: eine Entschuldigung bei der EVP, ein Ende der aktuellen Anti-Brüssel-Kampagne und ein Verbleib der Zentraleuropäischen Universität (CEU) in Budapest.

ORF-Korrespondenten zu FIDESZ-Suspendierung

Die ORF-Korrespondenten Ernst Gelegs und Peter Fritz analysieren aus Budapest und Brüssel die EVP-Entscheidung. Sie sehen einen Etappensieg Orbans.

Schüssels Wiedersehen mit dem Weisenrat

In dem dreiköpfigen Gremium sollen neben Altkanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) auch der EU-Ratsvorsitzende Herman van Rompuy und Ex-EU-Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering sitzen. Konkret Schüssel hat Erfahrung mit dem Instrument: Als er im Jahr 2000 die ÖVP-FPÖ-Regierung bildete und EU-Staaten daraufhin Sanktionen gegen Österreich verhängten, wurde ebenfalls ein Weisenrat gebildet. Dieser begleitete das Ende der Maßnahmen und prüfte die politische und demokratische Lage in Österreich.

Schüssel stellte sich in der Vergangenheit wiederholt hinter Orban. Dabei dürften wohl auch die Erfahrung aus dem Jahr 2000 eine Rolle spielen: Schüssel hatte Orban in den Folgejahren zugute gehalten, dass Ungarn Österreich „in schweren Zeiten“ solidarisch gegenübergestanden sei. Van Rompuy gilt hingegen als Orban-Kritiker: Langfristig sei für FIDESZ „kein Platz mehr in der EVP“, sagte der Belgier kürzlich.

Orban installiert „Gegen-Weisenrat“

Orban selbst befürwortete das Konzept Weisenrat: „Was gut für Österreich ist, ist auch gut für uns“, sagte er nach der Entscheidung. "Nun wird er (der Weisenrat, Anm.) uns unter die Lupe nehmen. Also werde ich wohl heute in 20 Jahren auch eine Untersuchung vornehmen“, so Orban laut Regierungssprecher Zoltan Kovacs. Allerdings wollte Orban auch eine Art „Gegen-Weisenrat“ installieren, der die Verhandlungen übernimmt.

Grafik zur EVP
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA/EU-Parlament

Ohnehin sendete der Premier in einer Pressekonferenz am Abend ambivalente Signale. Er wolle nun exklusiv „für den Sieg der Europäischen Volkspartei werben“, damit die EVP „die stimmenstärkste, größte und mächtigste Allianz in Europa ist“. Dafür wolle er Weber unterstützen. Gleichzeitig unterstrich Orban seine am Wochenende gestellte Forderung, die EVP müsse migrationskritische Kräfte fördern: „Wir können nur einer parlamentarischen Gruppe angehören, die klar gegen Migration ist und sich vollkommen der Verteidigung des Christentums verschreibt“, so Orban. Doch Weber wollte gleich zu Beginn seiner Pressekonferenz klarstellen, dass am Mittwoch keine politischen Inhalte debattiert worden seien.

Opposition sieht „politischen Trick“

Für den CSU-Politiker könnte die Entscheidung von Mittwoch jedenfalls noch direkte Folgen haben. Weber würde gerne Nachfolger von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker werden – aller Voraussicht nach braucht er dafür zusätzlich zu den Stimmen der Großen Koalition im Europäischen Parlament auch noch jene der Grünen oder der liberalen ALDE. Doch beide könnten in dem Kompromiss mit FIDESZ ein rotes Tuch sehen. Die Vereinbarung sei ein „politischer Trick“, der Europa beschäme und darauf abziele, dass Orban bleiben kann, schrieb etwa der ALDE-Fraktionschef Guy Verhofstadt. Einen „Versuch, sich vor der Wahl Zeit zu kaufen“, orteten die Grünen im EU-Parlament.

Ob die Debatte über Ungarn nun zumindest vorläufig verstummt, wird sich weisen. Wenig Bewegung scheint es jedenfalls beim Artikel-7-Verfahren zu geben, welches das EU-Parlament im Herbst aufgrund von Demokratie- und Vertragsverletzungen gegen Ungarn eingeleitet hatte. Dieses liegt laut der Berichterstatterin des Parlaments, der grünen Abgeordnete Judith Sargentini, derzeit de facto auf Eis.