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Ciao

ORF.at verabschiedet sich von Facebook

Am 5. Dezember 2017 hat ORF.at seinen Auftritt auf Facebook gestartet. Mit 1. April wird die ORF.at-Seite auf Wunsch der ORF-Geschäftsführung im Zuge einer Reorganisation der ORF-Facebook-Auftritte eingestellt. Andere ORF-Seiten – wie die der ZIB – bleiben erhalten. Schon zum Start wurde hier das schwierige Verhältnis zwischen Medien und Facebook von ORF.at ausführlich thematisiert. In knapp 17 Monaten kamen einige einschlägige Erfahrungen dazu.

Der ORF hatte im Vorjahr beschlossen, auf Basis der Channel-Strategie eine deutlich reduzierte Anzahl von Facebook-Auftritten zu betreiben und seine Social-Media-Ressourcen zu bündeln. So werden auch die Facebook-Seiten einzelner Sendungen in neue Senderauftritte für ORF eins und ORF2 übergeführt.

„Im Kampf um das Gut Aufmerksamkeit ist Facebook eine Arena, in der es um nicht weniger geht als die Frage, in welche Richtung die Gesellschaft und das politische Zusammenleben gehen“, hieß es an dieser Stelle im Dezember 2017. Diese Feststellung hat auch heute noch Gültigkeit, doch viele Faktoren haben sich geändert. Die Hoffnung, dass sich bei Facebook einiges zum Positiven verändert, dürfte wohl angesichts der Entwicklungen der vergangenen Monate begraben werden. Datenlecks, kommerzielle Nutzung von persönlichen Daten und die „steuerschonende“ Vorgangsweise des Konzerns sorgten weiter für Negativschlagzeilen.

Ewiges Schrauben am Algorithmus

Dazu kommt der höchst problematische Umgang mit Inhalten: Harmlose Inhalte werden häufig zensuriert und gelöscht, während der Konzern es nicht schafft, Hass und Gewalt – siehe zuletzt die Liveübertragung des Terroranschlags von Christchurch – auf seiner Plattform in den Griff zu bekommen. Von dem offenbar aussichtslosen Kampf gegen politische Manipulation durch die Verbreitung von „Fake News“ ganz zu schweigen.

Gleichzeitig schraubte Facebook im Hintergrund ständig an seinem Algorithmus, der bestimmt, wer was in seinem Newsfeed zu sehen bekommt. Relativ gleichzeitig mit dem Start von ORF.at auf Facebook gab Gründer und Konzernchef Mark Zuckerberg die Parole aus, „Leute näher zusammenbringen“ zu wollen. Das hieß schlicht und ergreifend, Seiteninhalte – eben auch jene von Medien – bei der Verbreitung deutlich herunterzufahren.

Viele Medienhäuser schwer getroffen

Schon in den Jahren davor hatte es immer wieder Änderungen gegeben, Seitenpostings erreichten in den Blütezeiten von News im Netzwerk relativ viele Menschen – und damit war auch das Wachstum von Facebook-Seiten vergleichsweise einfach. Erste Beschwerden über das Schrumpfen der „organischen Reichweite“, also der Zahl an Personen, die ein Posting in ihrer Facebook-Timeline sehen, wurden schon vor Jahren laut.

Zunächst wurden Clickbait-Plattformen („Sie werden nie erraten, was nach dieser Szene passierte“), die jahrelang auf Facebook gute Geschäfte gemacht hatten, nach und nach aus den Timelines verdrängt. Doch auch klassische Medien, die groß in ihre Social-Media-Abteilungen investierten – und dafür teilweise ihre Kernprodukte vernachlässigten –, trafen die Algorithmusänderungen und damit das Einbrechen ihrer Reichweite schwer.

Seitenbesuche eingebrochen

Im Frühjahr 2018, also in den Monaten nach Zuckerbergs Ankündigung, beklagten viele Betreiber von Nachrichtenseiten stark sinkende Reichweiten auf Facebook. Und die von Facebook ausgewiesene Reichweite heißt nur, dass Nutzerinnen und Nutzer ein Posting in ihrer Timeline angezeigt bekommen. Ob und wie oft darauf geklickt wird, ist eine ganz andere Sache.

Das US-Nachrichtenportal Slate etwa berichtete, dass die Seitenbesuche via Facebook von Jänner 2017 bis Mai 2018 um 80 Prozent eingebrochen waren. Viele Medien starteten mit einem Dauerfeuer auf Facebook und setzen seitdem 50 Postings und mehr pro Tag ab, um doch noch mehr Menschen zu erreichen.

Der späte Start und seine Folgen

Was für einige Medien auf Facebook zum existenziellen Problem wurde, äußerte sich für ORF.at, wo der Auftritt als Spielbein mit vergleichsweise geringen Ressourcen und nicht als Standbein konzipiert ist, „nur“ als Startproblem. Dass der späte Einstieg – das gesetzliche Facebook-Verbot für den ORF wurde erst 2013 und 2014 aufgehoben, und danach verstrich viel ungenützte Zeit – durchaus eine Herausforderung sein würde, war klar. Das Ausmaß aber nicht ganz. Das Wachstum entwickelte sich nach tollem Start zäh – jedenfalls unter den ohnehin keineswegs überzogenen Erwartungen für die reichweitenstärkste Nachrichtenplattform des Landes. Freilich entpuppten sich gerade in den ersten Wochen nicht alle Ideen für den Auftritt als wirklich gute Ideen.

Postings versanden

Zuletzt wiesen die Facebook-Zahlen für ORF.at eine durchschnittliche Reichweite von Postings aus, die 16 Prozent der Abonnentinnen und Abonnenten entspricht. Ganz nachvollziehbar sind die Angaben in der täglichen Arbeit nicht. Immer wieder gibt es Postings, die aus nicht erklärlichen Gründen nicht einmal fünf Prozent der Abonnenten erreichen, nach ORF.at-Schätzungen erreichen die meisten rund zehn Prozent.

Bei Ausreißern nach oben, wenn Meldungen stark gelikt, kommentiert und geteilt werden, ist in den Stunden danach fast so etwas wie eine Drosselung späterer Postings zu bemerken. Tage, an denen ORF.at auf Facebook mehr Menschen als die Abonnentenzahl erreicht, kommen vielleicht ein-, zweimal in der Woche vor.

Schenken und Zahlen hätte geholfen

Besonders zwei weitere Faktoren hemmten das Wachstum von ORF.at auf Facebook: Zum einen wurde der Auftritt so konzeptioniert, dass vor allem auf geteilte Links gesetzt wurde – und vergleichsweise wenig Inhalte auf die Plattform hochgeladen und ihr damit geschenkt wurden. Nur: Facebook spielt entsprechende Inhalte wie Bilder und Videos stärker aus, setzt man wie ORF.at auf viele Links – also hinaus aus dem Sozialen Netzwerk –, wird man mit geringerer Reichweite „bestraft“.

Und: Für ORF.at als öffentlich-rechtlichen Anbieter kam es nicht infrage, mit Zahlungen an Facebook, immerhin direkter Gegner auf dem Markt um Werbegelder, Beiträge zu pushen. Dabei wirbt Facebook auf der Administratorenseite aggressiv unter etlichen Beiträgen, dass mit einer eher kleinen Zahlung – in der Regel zwischen 25 und 40 Euro – das entsprechende Posting eine fünf- bis zehnmal größere Reichweite erzielen kann. Dass entsprechende Angebote von anderen Seitenbetreibern – und auch politischen Parteien – stark genutzt werden, sieht jeder Facebook-User täglich.

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Dezenter Hinweis auf die Zahlungsmöglichkeit – mit kleinen Anzeigefehlern

Emotionalisierung zieht

Die Drosselung der Ausspielung von Nachrichten auf Facebook hatte auch inhaltliche Folgen: Die Emotionalisierung nahm sogar noch zu. Die Nieman Foundation, das renommierte Journalismusforschungsinstitut an der Universität Harvard, publizierte zuletzt eine Studie des Marktbeobachters NewsWhip. Dieser verzeichnete einen weiteren Aufschwung kontroverser Themen. Nachrichtenpostings über umstrittene und emotionalisierende Themen wie Religion, Abtreibung und Waffen waren jene, die die größten Reichweiten erzielten.

Bezeichnend ist der Titel des heuer bisher meistgeteilten Nachrichtenartikels: „Mutmaßlicher Menschenhändler und Kinderschänder könnte in unserer Gegend sein“ wurde mehr als 800.000-mal geteilt, dahinter verbarg sich ein lediglich 120 Worte langer Text eines texanischen Lokalradiosenders. An solchen Phänomenen ist Facebook per se nicht schuld, es zeigt aber, dass in Sozialen Netzwerken sehr oft nicht „Intelligenz“ auf das folgt, was mit „Schwarm“ beginnt.

Gleichzeitig nahm 2018 insgesamt gegenüber dem Jahr davor die Zahl der Interaktionen bei Medienmeldungen – also Likes, Kommentare und Teilen – deutlich zu. Und: Das meistgebrauchte Emoji unter Nachrichtenartikeln war nicht „Gefällt mir“, sondern „wütend“.

Unklare Spielregeln

Facebook ist also insgesamt nicht das einfachste Biotop für seriöse Nachrichtenmedien: ein Kooperationspartner, der gleichzeitig Konkurrent ist, der seine Spielregeln nicht kommuniziert und ständig ändert – und wo mittlerweile tendenziell jene die besseren Karten haben, die auf Emotionen setzen, Affekte bedienen und Empörung bewirtschaften.

Dass Facebook darauf sein Geschäftsmodell aufbaut und Reichweite verkauft, ist einem kommerziell ausgerichteten Konzern an sich nicht vorzuwerfen. Aber das Netzwerk ist damit eben keine neutrale Plattform. Irgendwann stellt sich die Frage für ein Nachrichtenmedium, welchen Nutzen ein Facebook-Auftritt hat – und was man dafür in Kauf nehmen muss.

Was bleibt

Der Dank von ORF.at gilt all jenen, die in den vergangenen 17 Monaten ORF.at und unsere Postings auf Facebook gelikt und geteilt und Beiträge sachlich und oft auch witzig kommentiert haben. Das Layout von ORF.at-Artikeln bei Posting-Vorschaubildern, der blaue, gelbe oder je nach Kanal sonst wie farbige Balken mit Logo bleibt freilich erhalten – und privat teilen kann man ja die Artikel weiterhin. Damit legen wir das Auftauchen von ORF.at-Texten auf Facebook in die Hände unserer Leserinnen und Leser. Und dort sind sie gut aufgehoben.