Britische Pfund und Euro-Geldscheine
Reuters/Dado Ruvic
Studie

Harter Brexit wäre finanzieller Alptraum

Gibt es keine Einigung, wie das Ausscheiden Großbritanniens aus der EU geordnet ablaufen kann, werden das nicht nur die Briten deutlich zu spüren bekommen. Auch andere EU-Mitglieder müssten sich bei einem „No Deal“-Brexit auf Einbußen einstellen. Das zeigt eine am Donnerstag veröffentlichte Studie der deutschen Bertelsmann Stiftung.

Die errechneten Einbußen gründen sich auf mehrere Faktoren: Einerseits würden Waren und Dienstleistungen bei einem harten Brexit durch neue Zölle auf dem Binnenmarkt teurer. Andererseits hätte ein schwächerer Handel mit Großbritannien ebenfalls Preisaufschläge zur Folge.

Denn in vielen europäischen Branchen könnte dann ein schwächerer Wettbewerb herrschen. Anreize für neue Investitionen und Innovationen fielen weg, worunter schließlich die Produktivität der Unternehmen litte – eine gedämpfte Lohnentwicklung wäre die Folge. Für die Studie wurden insgesamt 300 Regionen untersucht.

Briten verlieren fast 900 Euro pro Kopf

Die größten Verluste pro Kopf und Jahr hätten Großbritannien (873 Euro), Irland (726 Euro) und Luxemburg (220 Euro) zu erwarten. Vom Wohlstandsverlust wäre nach dem Vereinigten Königreich vor allem das exportorientierte Deutschland von einem harten Brexit betroffen – gefolgt von Frankreich und Italien. Die Deutschen müssten sich auf ein um knapp zehn Milliarden Euro geringeres Bruttoinlandsprodukt (BIP) einstellen – das bedeutet statistisch gesehen rund 115 Euro pro Kopf weniger. Laut den Studienautoren entspricht das 0,3 Prozent des BIP.

Es sei von regional unterschiedlichen Auswirkungen auszugehen. Nordrhein-Westfalen (NRW) wäre voraussichtlich besonders stark betroffen, auch weil Großbritannien für den NRW-Export eine große Rolle spiele. Bayern würde bei den absoluten Einkommensverlusten ebenfalls recht deutlich verlieren. Zudem treffe der Brexit stark Regionen mit einem hohen Anteil an mittelständischen Unternehmen – etwa das Umland von Stuttgart und Hamburg und das Rheinland.

Für die Bertelsmann-Studie wurde ein regionalökonomisches Gravitationsmodell verwendet, das Marktgröße und Entfernung von Handelspartnern berücksichtigt – auf der Basis von Daten über amtliche Handelsströme.

Österreich nur wenig betroffen

Die Franzosen hätten fast acht Mrd. Euro weniger, die Italiener vier Mrd. Euro weniger. Insgesamt müssten die EU-Länder ohne Großbritannien mit Einkommensverlusten von 40 Mrd. Euro pro Jahr rechnen. Österreich wäre nur gering betroffen, zeigt die Studie. Pro Kopf bedeutet das einen Verlust von 83 Euro – der elfthöchste Wert in Europa. Insgesamt würde der Wohlstandsverlust für Österreich 724 Mio. Euro betragen, gemessen am Bruttoinlandsprodukt von rund 386 Mrd. Euro im Jahr 2018.

Grafik zum Brexit und die Auswirkung auf Österreich
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA/Bertelsmann Stiftung

Regional gibt es große Unterschiede. Am wenigsten wäre das Burgenland betroffen, am stärksten Salzburg. Die Wiener lägen mit 85 Euro leicht über dem Österreich-Schnitt. In Wien wäre vor allem die Pharmabranche betroffen. Diese macht rund ein Fünftel ihrer Exportumsätze mit Großbritannien. Folgen gäbe es auch für den Wiener Tourismus. Die Wirtschaftskammer relativierte allerdings die Angaben der deutschen Studie – mehr dazu in wien.ORF.at.

Größter Verlierer Großbritannien

Größter Verlierer wäre laut der Studie Großbritannien. Auf das Vereinigte Königreich kommen der Studie zufolge Einkommensverluste von jährlich 57 Milliarden Euro – 875 Euro pro Kopf – zu. Die Verlagerung von Vermögen hat bereits begonnen.

Grafik zum Brexit und den Wohlstandsverlust
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA/Bertelsmann Stiftung

Vermögen im Wert von einer Billion Pfund (1,17 Billionen Euro) wurde einer Untersuchung der Unternehmensberatung EY zufolge bereits von London in die EU transferiert. Zudem wurden 7.000 Arbeitsplätze verlagert. Banken, Vermögensverwalter und Versicherer hätte Teile ihrer Geschäfte in der EU angesiedelt, um Störungen durch den bis jetzt für den 29. März geplanten Brexit zu verhindern.

USA und China profitieren

Bei einem weichen Brexit würden die Einkommensverluste deutlich geringer ausfallen, in Deutschland könnten sie sich laut der Bertelsmann-Studie auf fünf Milliarden Euro halbieren. In Großbritannien fielen die Einbußen auf 32 Milliarden Euro, in ganz Europa sänken die Einbußen von 40 Milliarden auf 22 Milliarden Euro.

Einige Länder außerhalb Europas könnten nach Angaben der Forscher sogar vom Brexit profitieren. Dazu zählten besonders die USA und China, in geringerem Umfang auch Russland. Das liegt daran, dass ein Brexit negative Auswirkungen auf europäische Wertschöpfungsketten hätte. „Dadurch würde der Handel innerhalb Europas teurer und die Wirtschaftsbeziehungen mit dem Rest der Welt attraktiver“, sagte ein Mitautor der Studie, Dominic Ponattu.